Abramowitschs Neu Holland
Urbanisierung eines ehemaligen Militärgeländes in St. Petersburg
Text: Kil, Wolfgang, Berlin
Abramowitschs Neu Holland
Urbanisierung eines ehemaligen Militärgeländes in St. Petersburg
Text: Kil, Wolfgang, Berlin
Vor 20 Jahren verließ das Militär die Insel Neu Holland mitten in St.Petersburg. Der Milliardär Roman Abramowitsch will in ihre Wandlung zum lebendigen Stadtteil investieren. Ein „Wettbewerb“ mit geladener Architektur-Prominenz ist Teil der PR-Strategie.
Es geht um einen der verwunschensten Orte in St.Petersburg: Nowaja Gollandija, auf Deutsch Neu Holland, ist eine von Kanälen gebildete künstliche Insel, als erster befestigter Militärhafen Russlands von Peter I. 1719–21 am Rande der Altstadt angelegt. Die ein großes Dreieck bildenden Umfassungsbauten zeigen, im Kontrast zur sonst von italienischen und französischen Baumeistern geprägten Residenz, die typischen Formen niederländischen Backsteinbarocks. Als Militäranlage blieb das Areal der Öffentlichkeit bis Anfang der 1990er Jahre verschlossen. Dann wurde es aufgegeben und fiel in einen Dornröschenschlaf, der die marode Bausubstanz noch weiter ruinierte.
Nach der Jahrtausendwende entdeckten Investoren das fast schon zugewucherte, acht Hektar große Denkmalensemble und versprachen, die alten Kasernen, Kasematten und maritimen Depots durch Kultur und Kommerz zu urbanisieren. „An Island for Business and Pleasure“ versprachen die Bautafeln, mit Sir Norman Foster war ein renommierter Architekt mit im Boot. Doch dessen Entwurf einer banalen Shopping-Landschaft blieb vor den Ehrfurcht gebietenden Backsteingesimsen und -portalen seltsam blass. Kaum strahlten die ersten Außenfassaden in frischem Glanz, kamen 2009 die Arbeiten zum Erliegen. Angeblich hatte der Geldgeber das Land verlassen. Der Stadtarchitekt gab im Bauwelt-Interview (Heft 24.2010) der Finanzkrise die Schuld.
Im Dezember 2010 schrieb die Stadt das Gelände erneut aus, diesmal ging der Zuschlag an Roman Abramowitsch, einen der ganz Oberen auf der russischen Reichtumsskala, dessen Investmentgesellschaft Millhouse LLC kräftig im internationalen Immobilienwesen mitmischt. In St.Petersburg wird sein Engagement für den vernachlässigten Ort allgemein begrüßt, denn der mit Öl und Aluminium reich gewordene Magnat hatte nicht nur einst als Gouverneur einer fernöstlichen Region die dortige Wirtschaft aus eigener Schatulle angekurbelt, sondern gerade erst als Denkmalretter von sich reden gemacht: Seine Lebensgefährtin Darja Shukowa ließ über ihre denkmalpflegende Iris-Stiftung das berühmte Busdepot von Konstantin Melnikow (1927) in Moskau restaurieren und betreibt dort jetzt erfolgreich die „Garage“, ein Zentrum für internationale Kunst.
Nun also Neu Holland: Um das PR-Karussell anzuschieben, lud die Iris-Stiftung mit organisatorischer Unterstützung der Londoner Architecture Foundation zum Gutachterverfahren. Mit Chipperfield, Lacaton/Vassal, MVRDV und OMA war die aktuelle Premiumleague ansehnlich vertreten. Zwei russische Büros sorgten für die „regionale“ Quote. Statt einer Jury fungierte ein Kreis englischer und russischer Kunstkritiker und Akademiker als „Berater“ der Ausloberin, sie empfahlen schließlich den Entwurf des New Yorker Büros WORKac zur Ausführung. In die engere Wahl hatten es noch David Chipperfield, MVRDV und Studio44 aus St. Petersburg geschafft.
Dass sich im Siegerentwurf von WORKac ein kultureller Impuls wie beim Moskauer Garage-Projekt wiederholt, muss bezweifelt werden: Ausladende Großstrukturen belagern und durchdringen sämtliche Umfassungsbauten, was den Denkmalbestand zur Kulisse degradiert. Mittendrin verspricht die Animation der New Yorker ein x-beliebiges Mall-Ambiente, für die Aura der einst maritimen Festung ist da keinerlei Gespür. Noch schlimmer gilt das für MVRDV, deren plakative Spielformen grundsätzliches Desinteresse am Kontext offensichtlich werden lassen. Nur David Chipperfield und besonders Studio44 mit ihrer deutlichen Zurückhaltung nehmen das historische Ensemble als „emotionale Landschaft“ ernst. In ihrer kleinteiligen Funktionsgliederung steckt ein Masterplan, also die Möglichkeit einer schrittweisen Realisierung, um dem schwierigen Ort Zeit zur Identitätsfindung zu lassen.
Doch wenn ein Global Player mit 290 Mio. Euro parat steht, will der natürlich möglichst bald renditeschmiegsame Baulichkeiten sehen. Und was Petersburger Normalbürger sich von der eigentlich unbekannten Stadtinsel erhoffen, wissen wir nicht.
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