Bauwelt

Am Raster arbeiten sich nicht nur Architekten ab

zeigen Künstler­statements in Stuttgart

Text: Meister-Klaiber, Dagmar, Ulm

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Foto: Frank Kleinbach, © VG Bild-Kunst, Bonn 2012

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Am Raster arbeiten sich nicht nur Architekten ab

zeigen Künstler­statements in Stuttgart

Text: Meister-Klaiber, Dagmar, Ulm

Es bietet Struktur, Rahmen, Gerüst und Methode, es ordnet, gruppiert und leitet, ist zentrumslos, beliebig erweiterbar und hoch effizient, kann aber auch zum spannungslosen Gefüge, zum einengenden Korsett, ja zur Fessel werden, die die Gestaltungsfreiheit im Zaum hält – sofern man keinen Ausbruch aus dem System wagt.
Welche Chancen aber auch Risiken das Prinzip Raster bereithält, benennt der französische Künstler François Morellet treffend: „Ich liebe die beiden großen Prinzipien, wenn sie sich verbinden, und ich ertrage sie kaum, wenn ich ihnen einzeln begegne: die Ordnung und die Unordnung, oder, wenn man will: die Logik und das Absurde. Ich liebe den Ablauf eines unerbittlich scheinenden Systems unter der Bedingung, dass ein anderes System oder irgendeine Störung dazwischen haut oder höflicher ausgedrückt, es belebt.“ 
Die „Rasterfahndung“, so der Titel der Gruppenausstellung im Stuttgarter Kunstmuseum, fängt eine beachtliche Bandbreite künstlerischer Positionen zum Thema Raster ein. Wer danach fahndet, wird spätestens in der Kunst der Moderne fündig. Seit Piet Mondrian und den Bauhaus-Künstlern, die Wegbereiter für die Koordinatenordnung in der Bildgestaltung waren, ist das Raster zum künstlerischen Thema geworden; die Konkret-Konstruktiven haben es weiterverfolgt, und in der jungen Kunst ist es mit neuen Ansätzen wieder mächtig präsent. Umso erstaunlicher, dass bisher noch niemand das Thema aufbereitet hat. Kuratorin Simone Schimpf füllt diese Lücke nun mit ihrer Präsentation von rund fünfzig Künstlerstatements von Vertretern der Konkreten Kunst, der ZERO-Bewegung, der Minimal Art, der Pop Art und der Gegenwartskunst.
Ins Raster dieser Schau passen ihrer formalen Strenge, aber auch ihrer Persiflagequalitäten wegen Arbeiten wie die von Attila Kovács, der sich die „Hommage an das Quadrat“ von Josef Albers (1888–1976) vornimmt, alle Möglichkeiten der Komposition durchspielt und in kleinteiligstem Raster eine zig-fache Quadrat-Hymne zelebriert. Natürlich darf Günther Uecker nicht fehlen, der seine Nägel als strukturierendes Element rasterförmig auf die Platte setzt, oder François Morellet, der Linien nach dem Zufalls­prinzip anordnet und industrielle Gitter benutzt, um Oberfläche in Bewegung zu setzen, wie bei einem mehrfach überlagerten Armierungsgitter, dessen Tiefe beeindruckende grafische Muster erzeugt.
Wie Schwingung in die starre Ordnung kommt, zeigt auch Katharina Hinsberg. Mit einer raumfüllenden Installation lotet sie bis in die letzte Ecke das Potenzial ihrer begehbaren Struktur aus. Im Quadrat­raster gehängte Schnüre mit roten Kugeln bilden je nach Perspektive unterschiedliche Muster, die durch die Bewegung des Betrachters zu interaktiv generierten Raumbildern werden.
Alles hat seine (Un-)Ordnung
Beim Ausstellungskapitel zum „medialen Raster“ steht nicht mehr allein das Formale im Zentrum. Die Frage nach der Wahrnehmungsveränderung durch die Massenmedien etwa und danach, wann aus einem Raster ein Bild entsteht und wie weit man eine Darstellung auf Pixel oder Punkte reduzieren kann, ist am Beispiel der markant gepuzzelten Porträts von Chuck Close erkenntnisreich zu studieren. Mit der Störung des Rasters, dem Aufbrechen der Syste­matik und den Grenzen jeder Ordnung beschäftigen sich nicht nur die Altmeister. Unter dem Titel „Durchs Raster fallen“ thematisiert eine junge Künstlergeneration die Vielschichtigkeit und Störanfälligkeit der technologisierten Gesellschaft. Virtuelle Rastersysteme greift die Soundkünstlerin Christina Kubisch mit einer Audioarbeit auf, die den nervigen Ton elektromagnetischer Wellen von Sicherheitsschranken hörbar macht. Mona Hatoums kubischer Stahlkäfig mag auf das erfolgreiche Ende einer „Rasterfahndung“ verweisen, die hinter Gittern enden kann.
Zum Abschluss des Parcours landet man bei der Architektur, wo die mehrdeutige Struktur von unterschiedlichen Gebilden vereinnahmt wird: von der Bauhaus-Architektur in den Fotos von Günther Förg, über den Plattenbau als Tapetenmuster von Annett Zinsmeister bis zum anonymen Tempel der Macht in den Gemälden von Sarah Morris. Morris bildet mit perspektivisch angelegten Feldern und Linien Raumstrukturen in schrillen Farbtönen, die als gemalte Sequenz zu ihrem parallel dazu laufenden Film über das hektische Treiben in New York gesehen werden können. Hier wird das Raster zum ästhetischen Mittel, um gesellschaftliche Strukturen zu visualisieren.
Das Prinzip Raster zeigt sich also durchaus flexibel – und nicht nur so, wie Timm Ulrichs es in einem Werk interpretiert. Seine originelle Quadratstruktur, die er aus dem Wort Raster bildet, lässt er mit „Starre“ enden. Von der Ausstellung Rasterfahndung kann man Eines auf jeden Fall lernen: Alles hat seine Ordnung, und Störungen gehören zum System.
Fakten
Architekten Albers, Josef (1888–1976); Förg, Günther, München; Morris, Sarah, London/New York, Ulrichs, Timm
aus Bauwelt 22.2012
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