„Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander“
Interview mit Michael Braum
Text: Geipel, Kaye, Berlin; Schade-Bünsow, Boris, Berlin
„Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander“
Interview mit Michael Braum
Text: Geipel, Kaye, Berlin; Schade-Bünsow, Boris, Berlin
Michael Braum, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur, hat angekündigt, für eine zweite Amtszeit nicht zur Verfügung zu stehen. Der Konvent der Baukultur, der im Juni in Hamburg stattfand und mit dem „Hamburger Appell für mehr Baukultur in der städtischen Verkehrsinfrastruktur“ schloss, war ihm deshalb Anlass, ein Resümee seiner Arbeit vorzutragen. Wir sprachen mit Michael Braum über seine Auffassung von der Stiftung und die Gründe für den Rückzug.
Der diesjährige Konvent der Baukultur hatte das Thema „StattVerkehrStadt“. Was muss sich in puncto Verkehrsinfrastruktur in Deutschland ändern?
Michael Braum | Wir haben das Thema Verkehrsbaukultur auf die Agenda gesetzt, weil wir die Diskussion über den Verkehr mit einer Diskussion über kulturelle Werte verbinden möchten. Wir hoffen, dass die Gesellschaft die veränderte Mobilität im 21. Jahrhundert als Chance für einen baukulturellen Wertediskurs verstehen wird. Selbst die Automobilindustrie bestätigt inzwischen, dass wir zukünftig auf Systeme zurückgreifen werden, die uns andere Voraussetzungen für die Gestaltung des öffentlichen Raums bieten, als es gegenwärtig der Fall ist.
Wie heute besteht aber auch in Zukunft die Gefahr, dass quantifizierbare Dimensionen die Verkehrsplanung bestimmen – Verkehrsmenge und Fließgeschwindigkeiten führen auf diese Weise zu einer unantastbaren Dimensionierung der Straßenräume. In der Politik greifen andere Aspekte zunehmend Raum: Wir müssen weg von der Fixierung auf Geschwindigkeit, die zu einem Schubladendenken der einzelnen Verkehrsträger führt. Emissionsärmere Verkehrsarten werden in erheblichem Maße zunehmen – umweltverträglicher werden sie dadurch nicht automatisch. Jetzt müssen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, den motorisierten Individualverkehr zu zügeln: Wir können ihn uns einfach nicht mehr leisten! Und das alles hat Konsequenzen für unsere gebaute Umwelt, die es zu gestalten gilt.
Wie bewerten Sie die Arbeit der Bundesstiftung Baukultur in den zurückliegenden fünf Jahren?
Was sich gezeigt hat: Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander. Wir haben wichtige Projekte initiiert und richtige Themen angestoßen. Aber die Intensität, mit der man das in die Breite tragen könnte, ist nicht im notwendigen Umfang erreicht. Ich finde auch: Die Rolle der Stiftung als unabhängige Institution, die Themen aufgreift und weiterverfolgt, ist noch nicht im notwendigen Rahmen umgesetzt. Das hängt nicht allein mit den Ressourcen zusammen, die der Stiftung zur Verfügung stehen.
Und: Es ist nicht ganz leicht, vor allem für die Verbände, die die Initiierung der Stiftung seinerzeit mitgetragen haben, sie tatsächlich als unabhängige Instanz zu begreifen und zu unterstützen. So besteht die Gefahr, dass sich die Stiftung in die alltäglichen Lobbykonkurrenzen einreiht. Mir fehlte in den letzten Jahren bei einigen Akteuren die Souveränität, die eigentlich vonnöten wäre, damit so eine Institution ihre Kraft überhaupt erst entfalten kann.
Die Stiftung in dieser Hinsicht zu verändern – das ist ein anspruchsvolles Ziel. Warum stehen Sie für eine zweite Amtszeit nicht zur Verfügung?
Weil ich die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit nur füllen kann, wenn die notwendigen Voraussetzungen – strukturell wie personell – vorhanden sind. Darüber hinaus scheint es zurzeit einen Richtungsstreit zu geben über das Grundverständnis von der Bundesstiftung Baukultur, die ja in diesem Jahr im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung von PriceWaterhouseCoopers evaluiert wurde. Soll sie als Kommunikationsstiftung eine Werbeagentur in Sachen Baukultur sein, die Themen nur begleitet? Oder wird sie zu einer inhaltlichen Instanz, zu einer treibenden Kraft? Nach meiner Auffassung brauchen wir eine Institution, die sich als Mahnerin in Sachen Baukultur versteht. Und auf dieser Basis sollten sich die öffentliche Hand und die Privatwirtschaft eine solche Institution leisten.
Und nun droht die „inhaltsleere“ Kommunikationsstiftung, die mit Ihnen nicht zu machen ist?
So ist es. Noch einmal: Ich finde, die Stiftung muss den Finger in die Wunde legen und auf Probleme hinweisen können. Das ist aber nur möglich, wenn alle Akteure Souveränität an den Tag legen. Die Stiftung ist eben keine Interessenlobby! Baukultur ist in erster Linie ein Interessensausgleich, an dessen Ende dann auch noch etwas wie Schönheit und Wertigkeit entstehen kann. Und nicht, ich sag es mal ganz platt: Hier haben wir einen Klimawandel – jetzt müssen wir Photovoltaik legitimieren. Oder: Wir haben einen demographischen Wandel – und jetzt wird mit dem Argument der Barrierefreiheit aller Gestaltungsanspruch beiseite geschoben.
Ihre Amtszeit dauert noch bis März 2013. Was dürfen wir in den nächsten Monaten erwarten?
Ich habe auf die inhaltliche Profilierung gesetzt und meine nach wie vor, dass sie richtig ist. Jetzt werden wir als Ergebnis des Konvents ein Buch zum Thema „Die Baukultur des Verkehrs“ herausgeben. Das Buch macht deutlich, dass Verkehr sehr viel mit Kultur zu tun hat – und Verkehrsinfrastruktur mit dem öffentlichen Raum. Das andere Projekt, das wir auch auf dem Konvent vorgestellt haben, nennt sich „bkult.de“, das ist unser Debatten-Portal im Internet. Ich hoffe, dass wir damit eine Streitkultur etablieren können und dass es als Diskursformat weiter verfolgt wird. Das dritte Projekt liegt mir eher wegen der Drittmittelakquisition am Herzen. Zusammen mit der Deutschen Bundesstiftung Umwelt verfolgen wir das Thema „Baukultur im Klimawandel“ mit ganz unterschiedlichen Formaten.
Sie haben mit „public space, öffentlicher Raum“ und „öffentlicher Verkehr“ Themen gesetzt, die die Baukultur nach außen öffnet. Was sollte die Stiftung als nächstes wichtiges Thema behandeln?
Wir haben uns ganz bewusst zunächst der „Baukultur des Öffentlichen“ zugewandt, weil sich hier entscheidet, ob Baukultur nur ein Lippenbekenntnis
ist oder mehr. Was ich als nächstes Thema aufgerufen hätte, wenn ich weiter gemacht hätte, ist das Thema Wohnen. In der Netzwerkreihe „WieWeiterWohnen“, die wir gemeinsam mit dem Förderverein und der Wohnungswirtschaft initiiert haben, wollen wir mit Hilfe herausragender Projekte Zeichen setzen, wie man das Thema Wohnen in all seiner Komplexität neu denken muss. In Zusammenhang mit dem demographischen Wandel, mit vielfältigeren Grundrissen, mit Bodenpolitik und vielem mehr. Wie kriegen wir eine Liegenschaftspolitik hin, die es erlaubt, dass wir sozial, demographisch, ethnisch und funktional gemischte Innenstadtquartiere so entwickeln, dass sie kinder- und alterstauglich sind? Wie kriegen wir es hin, neben Bauträgerkonzepten eine Vielfalt zu erzeugen, die innovationsfreundlicher ist?
Michael Braum | Wir haben das Thema Verkehrsbaukultur auf die Agenda gesetzt, weil wir die Diskussion über den Verkehr mit einer Diskussion über kulturelle Werte verbinden möchten. Wir hoffen, dass die Gesellschaft die veränderte Mobilität im 21. Jahrhundert als Chance für einen baukulturellen Wertediskurs verstehen wird. Selbst die Automobilindustrie bestätigt inzwischen, dass wir zukünftig auf Systeme zurückgreifen werden, die uns andere Voraussetzungen für die Gestaltung des öffentlichen Raums bieten, als es gegenwärtig der Fall ist.
Wie heute besteht aber auch in Zukunft die Gefahr, dass quantifizierbare Dimensionen die Verkehrsplanung bestimmen – Verkehrsmenge und Fließgeschwindigkeiten führen auf diese Weise zu einer unantastbaren Dimensionierung der Straßenräume. In der Politik greifen andere Aspekte zunehmend Raum: Wir müssen weg von der Fixierung auf Geschwindigkeit, die zu einem Schubladendenken der einzelnen Verkehrsträger führt. Emissionsärmere Verkehrsarten werden in erheblichem Maße zunehmen – umweltverträglicher werden sie dadurch nicht automatisch. Jetzt müssen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, den motorisierten Individualverkehr zu zügeln: Wir können ihn uns einfach nicht mehr leisten! Und das alles hat Konsequenzen für unsere gebaute Umwelt, die es zu gestalten gilt.
Wie bewerten Sie die Arbeit der Bundesstiftung Baukultur in den zurückliegenden fünf Jahren?
Was sich gezeigt hat: Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander. Wir haben wichtige Projekte initiiert und richtige Themen angestoßen. Aber die Intensität, mit der man das in die Breite tragen könnte, ist nicht im notwendigen Umfang erreicht. Ich finde auch: Die Rolle der Stiftung als unabhängige Institution, die Themen aufgreift und weiterverfolgt, ist noch nicht im notwendigen Rahmen umgesetzt. Das hängt nicht allein mit den Ressourcen zusammen, die der Stiftung zur Verfügung stehen.
Und: Es ist nicht ganz leicht, vor allem für die Verbände, die die Initiierung der Stiftung seinerzeit mitgetragen haben, sie tatsächlich als unabhängige Instanz zu begreifen und zu unterstützen. So besteht die Gefahr, dass sich die Stiftung in die alltäglichen Lobbykonkurrenzen einreiht. Mir fehlte in den letzten Jahren bei einigen Akteuren die Souveränität, die eigentlich vonnöten wäre, damit so eine Institution ihre Kraft überhaupt erst entfalten kann.
Die Stiftung in dieser Hinsicht zu verändern – das ist ein anspruchsvolles Ziel. Warum stehen Sie für eine zweite Amtszeit nicht zur Verfügung?
Weil ich die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit nur füllen kann, wenn die notwendigen Voraussetzungen – strukturell wie personell – vorhanden sind. Darüber hinaus scheint es zurzeit einen Richtungsstreit zu geben über das Grundverständnis von der Bundesstiftung Baukultur, die ja in diesem Jahr im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung von PriceWaterhouseCoopers evaluiert wurde. Soll sie als Kommunikationsstiftung eine Werbeagentur in Sachen Baukultur sein, die Themen nur begleitet? Oder wird sie zu einer inhaltlichen Instanz, zu einer treibenden Kraft? Nach meiner Auffassung brauchen wir eine Institution, die sich als Mahnerin in Sachen Baukultur versteht. Und auf dieser Basis sollten sich die öffentliche Hand und die Privatwirtschaft eine solche Institution leisten.
Und nun droht die „inhaltsleere“ Kommunikationsstiftung, die mit Ihnen nicht zu machen ist?
So ist es. Noch einmal: Ich finde, die Stiftung muss den Finger in die Wunde legen und auf Probleme hinweisen können. Das ist aber nur möglich, wenn alle Akteure Souveränität an den Tag legen. Die Stiftung ist eben keine Interessenlobby! Baukultur ist in erster Linie ein Interessensausgleich, an dessen Ende dann auch noch etwas wie Schönheit und Wertigkeit entstehen kann. Und nicht, ich sag es mal ganz platt: Hier haben wir einen Klimawandel – jetzt müssen wir Photovoltaik legitimieren. Oder: Wir haben einen demographischen Wandel – und jetzt wird mit dem Argument der Barrierefreiheit aller Gestaltungsanspruch beiseite geschoben.
Ihre Amtszeit dauert noch bis März 2013. Was dürfen wir in den nächsten Monaten erwarten?
Ich habe auf die inhaltliche Profilierung gesetzt und meine nach wie vor, dass sie richtig ist. Jetzt werden wir als Ergebnis des Konvents ein Buch zum Thema „Die Baukultur des Verkehrs“ herausgeben. Das Buch macht deutlich, dass Verkehr sehr viel mit Kultur zu tun hat – und Verkehrsinfrastruktur mit dem öffentlichen Raum. Das andere Projekt, das wir auch auf dem Konvent vorgestellt haben, nennt sich „bkult.de“, das ist unser Debatten-Portal im Internet. Ich hoffe, dass wir damit eine Streitkultur etablieren können und dass es als Diskursformat weiter verfolgt wird. Das dritte Projekt liegt mir eher wegen der Drittmittelakquisition am Herzen. Zusammen mit der Deutschen Bundesstiftung Umwelt verfolgen wir das Thema „Baukultur im Klimawandel“ mit ganz unterschiedlichen Formaten.
Sie haben mit „public space, öffentlicher Raum“ und „öffentlicher Verkehr“ Themen gesetzt, die die Baukultur nach außen öffnet. Was sollte die Stiftung als nächstes wichtiges Thema behandeln?
Wir haben uns ganz bewusst zunächst der „Baukultur des Öffentlichen“ zugewandt, weil sich hier entscheidet, ob Baukultur nur ein Lippenbekenntnis
ist oder mehr. Was ich als nächstes Thema aufgerufen hätte, wenn ich weiter gemacht hätte, ist das Thema Wohnen. In der Netzwerkreihe „WieWeiterWohnen“, die wir gemeinsam mit dem Förderverein und der Wohnungswirtschaft initiiert haben, wollen wir mit Hilfe herausragender Projekte Zeichen setzen, wie man das Thema Wohnen in all seiner Komplexität neu denken muss. In Zusammenhang mit dem demographischen Wandel, mit vielfältigeren Grundrissen, mit Bodenpolitik und vielem mehr. Wie kriegen wir eine Liegenschaftspolitik hin, die es erlaubt, dass wir sozial, demographisch, ethnisch und funktional gemischte Innenstadtquartiere so entwickeln, dass sie kinder- und alterstauglich sind? Wie kriegen wir es hin, neben Bauträgerkonzepten eine Vielfalt zu erzeugen, die innovationsfreundlicher ist?
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