Anthropologischer Blick
Fotografien von Iwan Baan in Herford
Text: Kuhlmann, Elmar, Minden
Anthropologischer Blick
Fotografien von Iwan Baan in Herford
Text: Kuhlmann, Elmar, Minden
Seinen Seiteneinstieg in die Architekturfotografie nahm er mit einer Dokumentation des CCTV-Towers von Rem Koolhaas in Peking. 2010, kaum fünf Jahre später, erhält Iwan Baan den erstmals verliehenen Photography Award des Julius Shulman Institute. Zu jener Zeit arbeitet der Fotograf an der Dokumentation des europäischen Spätwerks von Richard Neutra für das ostwestfälische MARTa (Bauwelt 21.10). Nun ist Baan dorthin zurückgekehrt – mit der ersten Einzelausstellung seiner Fotografien in Deutschland.
In der Sichtachse der langgestreckten Herforder Lippold-Galerie fällt sogleich eine großformatige Reproduktion ins Auge. Die atemberaubende Nachtaufnahme der 2012 vom Hurrikan Sandy durch Stromausfall verdunkelten Metropole New York – aufgenommen aus einem Helikopter – ging um die Welt. Zum Zeitpunkt der Vereinbarung der jüngst eröffneten Ausstellung existierte diese noch nicht, so wenig wie die anderen insgesamt 60 Exponate. Statt auf seinen fotografischen Fundus zurückzugreifen, schlug Iwan Baan damals vor, das ihm bevorstehende Arbeitsjahr in Form eines visuellen Reisetagebuchs zu inszenieren. Seit dem Brandschaden in seinem Amsterdamer Atelier lebe er „im Koffer“, bekennt der niederländische Fotograf, was ein Blick auf die Projektliste belegt. Ganze drei der in der Ausstellung dokumentierten 52 Arbeitswochen waren einem Heimataufenthalt vorbehalten.
Fraglos beherrscht der 1975 geborene Alumnus der Den Haager Kunstakademie die „klassische“ Gebäudefotografie, zu sehen sind Bauwerke etwa von Fujimoto, Hadid, Ito, Morphosis oder SANAA. Doch „Baans Blick ist ein anthropologischer. Für ihn sind Gebäude Katalysatoren und Bühnen für soziale Ereignisse“, beschreibt Kulturredakteur Jörg Häntzschel im begleitenden Katalog Baans enormes Themenspektrum und die Gabe, sich scheinbar mühelos zwischen anonymen und prominenten Architekturen zu bewegen. Durch Mash-up der klassischen Genres von Reportage- und Architekturfotografie finden sich Einstellungen und Perspektiven von faszinierender Unmittelbarkeit. Eine Darstellung von Bauwerken ohne Umgebung ist Baan ebenso fremd wie die menschenleerer Innenräume. Stets sucht er in der Architektur die implizite Lebenswirklichkeit ihrer Initia- toren, Nutzer oder Bewohner. Fällt indessen der Blick von oben auf Häuserschluchten und Baumwipfel (Baan steuert inzwischen eine eigene Drohnenkamera), werden stadträumliche und kulturlandschaftliche Strukturen dimensioniert und in präzisen Bildkompositionen festgehalten.
Entstanden ist nichts Geringeres als ein farbintensives Ein-Jahres-Kompendium zur Vielgestaltigkeit globaler Zivilisationsformen in Asien, Europa, Nord- und Südamerika. Mit Ausnahme einer einzigen schwarz-weißen Luftaufnahme, einem spektakulären Zoom-Out der entfesselten Megacity Beijing aus verhältnismäßig klarem Himmel, das deren zügellos ausufernde Baufelder bis zur Unkenntlichkeit des Maß- stabs hin miniaturisiert: ein Bild von tragischem Gehalt, durchaus atypisch für den für seinen augenscheinlichen Optimismus gepriesenen Fotografen. Ob Lagos, Kairo oder Baku – Baans fotografisches Interesse gilt jenen Momenten und Situationen, aus denen die Anpassungsfähigkeit und der Lebenswille der menschlichen Spezies selbst unter unwürdigs-ten sozialen Verhältnissen spricht. Zugleich zeigt er sich in seinen Bildfolgen zutiefst überzeugt von der durchwirkenden Strahlkraft innovativer, individuell eingepasster Architektur, gerade im Kontext unterprivilegierter Zustände. „Solange er mit seiner Kamera so viele unterschiedliche Beispiele dafür findet“, wie sich die von Iwan Baan diagnostizierte „Pest des Immergleichen“ zurückdrängen lasse, so Häntzschels Fazit im Ausstellungskatalog, „gibt es Grund zur Hoffnung.“
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