Bauwelt

Apotheose der Idealstadt

La Città Ideale

Text: Bodenschatz, Harald, Berlin

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Soprintendenza per i Beni Storici Artistici ed Etnoantropologici delle Marche; Walters Art Museum Baltimore

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Apotheose der Idealstadt

La Città Ideale

Text: Bodenschatz, Harald, Berlin

Eine Renaissance-Schau im italienischen Urbino, in deren Mittelpunkt die berühmten „Idealstadt“-Bilder stehen, provoziert eine Reihe äußerst gegenwärti­ger Fragen zum Wesen der Stadt.
Urbino dient zurzeit als Bühne einer prächtigen Ausstellung: „La città ideale. L’utopia del rinascimento a Urbino tra Piero della Francesca e Raffaello“. Der Ort der von Lorenza Mochi Onori und Vittoria Garibaldi kuratierten Schau ist nicht zufällig gewählt: Wirkten in dieser kleinen Stadt der Region Marken doch im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts zahlreiche Per­sonen, die Kunst- und Baugeschichte geschrieben ha­ben. Voraussetzung dafür war ein kunstbeflissener Herrscher: der 1444 bis 1482 regierende Federico da Montefeltro. Urbino selbst gilt heute als Musterstadt der Renaissance, der Herzogpalast, ein einzigartiges Gesamtkunstwerk, als „Stadt in der Form eines Palastes“. In diesem Palast wird die Ausstellung präsentiert – gleichsam als Krönung des Bauwerks.

Die beiden in Urbino gezeigten Idealstadt-Bilder, aus Urbino selbst und aus dem Walters Art Museum in Baltimore (das dritte, aus Berlin, wurde nicht ausgeliehen), erscheinen wie eine geheimnisvolle Apotheose der Idealstadt. Unklar ist immer noch, von wem, wo, wann und für wen die Bilder gemalt wurden. Viele prominente Künstler wurden bereits als Autoren bemüht. Heute ist man vorsichtiger: Die Autorenschaft wird ganz zurückhaltend einem „Maler aus Mittelitalien“ zugeschrieben, als Zeit der Erstellung werden die Jahre „1480/1490?“ vermutet. Eine weitere Frage erscheint dagegen geklärt: Die Bilder waren Teil eines Möbelstücks.

Bühne der Herrschaft

Die Ausstellung und vor allem der Katalog verfolgen eine präzise, aber einschränkende Methode: Gefragt wird vor allem nach dem kunstgeschichtlichen Kontext (Auftraggeber, Maler, Besitz, Rezeption) und dem kunstgeschichtlichen Inhalt (Bezug und Form der Architektur). Die Idealstadt wird als Spiegelung der aufgeklärten, gerechten Herrschaft des Herzogs interpretiert, die Selbstinszenierung der Herrschaft aber nicht infrage gestellt. Was ebenfalls fehlt, ist eine städtebauliche Auseinandersetzung mit den Bildern, aber auch ein Bezug zur Städtebaugeschichte.
 
Die Berliner Idealstadt zeigt eine eher schlichte Form: eine aufgeweitete Straße, die sich kurz vor dem perspektivisch betonten Hafen verengt und die im Vordergrund von einer zweiten aufgeweiteten Stra­ße gequert wird. Der öffentliche Raum ist menschenleer, die Erdgeschosszonen der Gebäude sind abweisend und erlauben keine urbane Nutzung – etwa Läden, Gastwirtschaften, Handwerksbetriebe.
 
Auf dem Idealstadt-Bild aus Baltimore ist ein abgesenkter und gestalterisch betonter, gleichsam sakraler Platz zu erkennen. Weiter entsteht der Eindruck, dass sich um die drei kulissenartig präsentierten Hauptbauten in der Bildmitte – das geschrumpfte Kolosseum, der verwandelte Konstantinsbogen und ein undefinierbares Baptisterium – ein etwas amorpher Raum erstreckt. Hinter dem Triumphbogen führt eine aufgeweitete Straße zu einem niedrigeren turmbekrönten Bau, der die aus der Logik der Perspektive konstruierte Raumkomposition schließt. Urbane Funktionen in den Erdgeschosszonen fehlen wieder. Menschen werden diesmal nicht aus dem Bild verbannt, wirken aber eher als Staffage denn als Bürger, geschweige denn als eigentliche Herren der Stadt.
 
Die Idealstadt aus Urbino sticht unübersehbar heraus. Zwar ist wieder eine querende Hauptstraße zu erkennen, um den zentralen tempelartigen Rundbau entfaltet sich aber eine weitaus komplexer konstruierte Raumfolge: Im Vordergrund erstreckt sich ein öffentlicher Raum, der durch Brunnen markiert wird. Während links vom Rundbau nur ein schmaler Durchgang möglich ist, weitet sich rechts durch das Zurücktreten des dritten und vierten sichtbaren Gebäudes ein neuer, noch großartigerer Platz, dessen asymmetrische Struktur durch die Kirche im Hintergrund rechts noch einmal betont wird. Der gesamte öffentliche Raum ist menschenleer, den zentralen Punkt des Bildes bildet ein prächtiger Eingang in den Rundbau, der – ein weiteres Rätsel – ein wenig, aber nicht wirklich einladend geöffnet ist. Urbane Funktionen in den Erdgeschossen sind wiederum nicht vorhanden.

Die Idealstädte erweisen sich so als trifunktional: Das Wohnen bildet die Kulisse der das Zentrum markierenden sakralen Bauten und Herrschaftszeichen. Die rationale Stadt diente der Repräsentation der Herrschaft nach Innen wie Außen, weniger dem Gebrauch der Untertanen. Und die Bilder implizieren eine weitere wichtige städtebauliche Botschaft: die Kritik an der mittelalterlichen Stadt. Weniger an den mittelalterlichen Gebäuden, die an einigen Stellen in die Idealstadt integriert werden, als an der Struktur der öffentlichen Räume. Der unregelmäßigen, „ungeordneten“ mittelalterlichen Stadt wird die geordnete Idealstadt gegenübergestellt. „Die Idealstadt ist die rationale Stadt“, deren Form „wissenschaftlich“, d.h. mathematisch begründet ist. Damit wird unmissverständlich die überkommene Stadt kulturell entwertet.

Schöne, rationale Stadt?

Längst sind die Idealstadt-Bilder zum wirkungsmächtigen Gegenstand aktueller Debatten geworden. Unabhängig von ihrer – ungeklärten – historischen Bedeutung sind sie erst vor einem halben Jahrhundert zu Idealstädten proklamiert worden – eine zeitgenössische Setzung a posteriori, die allerdings einige Grundsatzfragen aufwirft: Ist eine Stadt nur schön, wenn sie harmonisch und „rational“ gestaltet ist? Wie hängen Wissenschaft und Städtebau zusammen? Bedarf der Bau einer geordneten Stadt eines Alleinherrschers, eines guten, aufgeklärten Tyrannen? Oder umgekehrt? Bedarf die rationale Stadt der Entmün­digung der Stadtbürger? Schließt eine schöne Stadt den alltäglichen Gebrauch aus? Kann eine schöne und rationale Stadt nur dann entstehen, wenn die überkommene Stadt vollkommen negiert, denunziert, entsorgt wird?
 
Die Ausstellung ist eine Reise wert! Und natürlich Urbino selbst: Dort kann man erleben, wie nach Schließung der Ausstellung im Herzogspalast der davor liegende prächtige Renaissanceplatz verödet – fast wie auf den Idealstadt-Bildern, während etwas entfernt, auf der durch urbane Erdgeschosszonen bereicherten Piazza della Repubblica (sic!), wo sich die wichtigsten Straßen kreuzen, das Stadtleben brummt.

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