Architekt der Macht
Das Moskauer MUAR präsentiert das Gesamtwerk von Boris Iofan, einem der einflussreichsten Planer der Stalinzeit
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
Architekt der Macht
Das Moskauer MUAR präsentiert das Gesamtwerk von Boris Iofan, einem der einflussreichsten Planer der Stalinzeit
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
Sein Name ist für immer mit dem „Palast der Sowjets“ verbunden. Jahre seines Lebens widmete Boris Iofan dem ehrgeizigsten Bauvorhaben der Stalinzeit, das – Ironie der Geschichte – zunächst wegen des Krieges und dann wegen Materialproblemen, im Grunde aber wegen seiner Ausmaße, die alle Möglichkeiten der Sowjetunion überstiegen, nie über die Fundamente hinauswuchs.
Dem „Dworez Sowjetow“ ist folglich der größte Saal im Staatlichen Schtschussew-Architekturmuseum (MUAR) in Moskau gewidmet, das derzeit das Gesamtwerk Iofans vorstellt. Dabei kann das Museum ganz aus dem eigenen Bestand schöpfen, landeten hier doch die Arbeiten und Nachlässe der bedeutendsten Baumeister des offiziellen Stalinstils. Die in jeder Hinsicht meisterlichen, großformatigen Zeichnungen, Ansichten und Risse machen die mit großer Sorgfalt zusammengestellte Ausstellung zu einem visuellen Erlebnis.
Boris Michailowitsch Iofan, 1891 in Odessa geboren und an der Kunstschule seiner Heimatstadt ausgebildet, ging im Alter von 19 Jahren nach St. Petersburg, dem kulturellen Zentrum des Zarenreichs, um bei einem neoklassischen Architekten zu arbeiten. Dem Neoklassizismus blieb er treu: Er ging nach Rom, absolvierte dort ein weiteres Studium am Königlichen Institut der Schönen Künste und blieb fortan in der italienischen Hauptstadt.
Iofans gebautes Werk ist überschaubar. Enorm jedoch war seine Arbeitsleistung, die sich bei jedem Projekt in einer Fülle sorgfältigster Darstellungen zeigt. 1924 mit seiner Frau Olga Ruffo und zwei Söhnen nach Moskau zurückgekehrt, musste er sich weniger mit bescheidenen Aufträgen, wohl aber mit bescheidenen Mitteln arrangieren. Und er musste sich stilistisch anpassen. Die Wohnhäuser in der Rusakowskij-Straße, begonnen bald nachdem er in Moskau Fuß gefasst hatte, zeigen als einzigen Verweis auf seine italienische Zeit eine abgewandelte Serliana, ein Drei-Fenster-Motiv, innerhalb der schmucklosen Fassaden. Bei den folgenden Gebäuden für das Chemie-Institut (1926/27) und für die Landwirtschaftliche Akademie (1927–31) treten gerundete und im ersten Fall auch voll verglaste Treppentürme plastisch aus den Fassaden hervor – ein Motiv, das sich bei zahlreichen Arbeiterklubs dieser stilistisch noch nicht reglementierten Periode zeigt.
Sozialistischer Klassizismus
Iofans wichtigster Entwurf dieser Jahre ist jedoch das berühmt-berüchtigte „Haus an der Uferstraße“, der Wohnkomplex für die Funktionärselite an der Moskwa, schräg gegenüber dem Kreml. Diese Stadt in der Stadt, mit eigenen Läden, einem Theater und einem Kino, mit Hunderten von Wohnungen, mehreren, geschickt verbundenen Innenhöfen ist im Grunde eine Wohnburg, jederzeit nach außen abzuschotten und zu sichern. Die Wohnungsgrundrisse sind konventionell, um nicht, in der Sprache der Zeit, „bourgeois“ zu sagen; aber so wollte es die Machtelite. Mit Blick auf die neoklassizistische Überzeugung Iofans ist es ein erstaunlich chamäleonhaftes Werk: Der herausragenden Rolle des Films in der Kultur des Stalinismus trägt der Kinoannex Rechnung, der mit seinem gewölbten, die Form des Zuschauerraums abbildenden Metalldach an Architekten wie Nikolai Ladowski denken lässt, nicht aber an den „bekannten“ Iofan der Stalinära.
Das Haus an der Uferstraße entwarf Boris Iofan bereits 1927; seine zum Fluss hin symmetrische Anlage mit zwei zehn Geschosse hohen und von gedeckten Terrassen bekrönten Ecktürmen lässt an den Eklektizismus der Wohnhöfe des „Roten Wien“ denken, die zur gleichen Zeit entstanden. Ein anderer Einfluss wird in der Ausstellung durch ein zur Fototapete vergrößertes Panorama vom Manhattan der 30er Jahre visualisiert: die USA. Vor diesem Hintergrund ist auch der Pavillon für die Weltausstellung von 1937 in Paris zu sehen, der bekannte Turmbau, bekrönt von der Skulptur „Arbeiter und Kolchosbäuerin“ (der Iofan – ebenso wie seinem deutschen Gegenspieler Speer – eine Goldmedaille einbrachte), desgleichen der weit weniger bekannte Pavillon für New York zwei Jahre darauf.
Längst arbeitete Iofan da am Palast der Sowjets: In der ersten Wettbewerbsrunde 1930/31 war er in die engere Auswahl gelangt und bildete nach dem Sieg in der zweiten Runde 1934 mit Wladimir Gelfreich und Wladimir Schtschuko das einzig verbliebene Kollektiv. Die Ausstellung wartet mit dynamischen Kohlezeichnungen der frühen Entwurfsphase auf, aber auch mit einer großformatigen Schnittzeichnung aus dem Jahr 1948, in der ein vom Pantheon hergeleiteter Rundsaal mit kassettierter Kuppel und absteigenden, antikischen Sitzreihen den Kern des Turmbaus bildet. Die Kuppelschale steigt über Kolonnaden auf, die vor eine Wand gestellt sind. Gerade so muss Iofan es Jahrzehnte zuvor in Rom gesehen haben.
Boris Iofan lebte bis 1976; gebaut hat er nur noch weniges, darunter das 1956, bereits in der „Tauwetter“-Periode, fertiggestellte Petroleum-Gas-Institut. Es muss ihn geschmerzt haben, sogar Plattenbausiedlungen entwerfen zu müssen. In der Ausstellung sind ein Schreibtisch mit gedrechselten Beinen und ein zierliches Regal aufgebaut, in dem Architekturbücher auf Häkeldeckchen aufgereiht stehen, daneben ein Hutständer: Soll das der Arbeitsplatz sein, an dem Iofan seine grandiosen Entwürfe ersann? Fotos zeigen den gutaussehenden Mann an großen Zeichentischen, energisch und von aufmerksamen Mitarbeitern umgeben: Inbegriff der technischen Intelligenz, die in der Sowjetunion besonderes Ansehen genoss. Es ist die Tragik Iofans, dass die Krönung seines Lebenswerks Papier blieb.
Boris Michailowitsch Iofan, 1891 in Odessa geboren und an der Kunstschule seiner Heimatstadt ausgebildet, ging im Alter von 19 Jahren nach St. Petersburg, dem kulturellen Zentrum des Zarenreichs, um bei einem neoklassischen Architekten zu arbeiten. Dem Neoklassizismus blieb er treu: Er ging nach Rom, absolvierte dort ein weiteres Studium am Königlichen Institut der Schönen Künste und blieb fortan in der italienischen Hauptstadt.
Iofans gebautes Werk ist überschaubar. Enorm jedoch war seine Arbeitsleistung, die sich bei jedem Projekt in einer Fülle sorgfältigster Darstellungen zeigt. 1924 mit seiner Frau Olga Ruffo und zwei Söhnen nach Moskau zurückgekehrt, musste er sich weniger mit bescheidenen Aufträgen, wohl aber mit bescheidenen Mitteln arrangieren. Und er musste sich stilistisch anpassen. Die Wohnhäuser in der Rusakowskij-Straße, begonnen bald nachdem er in Moskau Fuß gefasst hatte, zeigen als einzigen Verweis auf seine italienische Zeit eine abgewandelte Serliana, ein Drei-Fenster-Motiv, innerhalb der schmucklosen Fassaden. Bei den folgenden Gebäuden für das Chemie-Institut (1926/27) und für die Landwirtschaftliche Akademie (1927–31) treten gerundete und im ersten Fall auch voll verglaste Treppentürme plastisch aus den Fassaden hervor – ein Motiv, das sich bei zahlreichen Arbeiterklubs dieser stilistisch noch nicht reglementierten Periode zeigt.
Sozialistischer Klassizismus
Iofans wichtigster Entwurf dieser Jahre ist jedoch das berühmt-berüchtigte „Haus an der Uferstraße“, der Wohnkomplex für die Funktionärselite an der Moskwa, schräg gegenüber dem Kreml. Diese Stadt in der Stadt, mit eigenen Läden, einem Theater und einem Kino, mit Hunderten von Wohnungen, mehreren, geschickt verbundenen Innenhöfen ist im Grunde eine Wohnburg, jederzeit nach außen abzuschotten und zu sichern. Die Wohnungsgrundrisse sind konventionell, um nicht, in der Sprache der Zeit, „bourgeois“ zu sagen; aber so wollte es die Machtelite. Mit Blick auf die neoklassizistische Überzeugung Iofans ist es ein erstaunlich chamäleonhaftes Werk: Der herausragenden Rolle des Films in der Kultur des Stalinismus trägt der Kinoannex Rechnung, der mit seinem gewölbten, die Form des Zuschauerraums abbildenden Metalldach an Architekten wie Nikolai Ladowski denken lässt, nicht aber an den „bekannten“ Iofan der Stalinära.
Das Haus an der Uferstraße entwarf Boris Iofan bereits 1927; seine zum Fluss hin symmetrische Anlage mit zwei zehn Geschosse hohen und von gedeckten Terrassen bekrönten Ecktürmen lässt an den Eklektizismus der Wohnhöfe des „Roten Wien“ denken, die zur gleichen Zeit entstanden. Ein anderer Einfluss wird in der Ausstellung durch ein zur Fototapete vergrößertes Panorama vom Manhattan der 30er Jahre visualisiert: die USA. Vor diesem Hintergrund ist auch der Pavillon für die Weltausstellung von 1937 in Paris zu sehen, der bekannte Turmbau, bekrönt von der Skulptur „Arbeiter und Kolchosbäuerin“ (der Iofan – ebenso wie seinem deutschen Gegenspieler Speer – eine Goldmedaille einbrachte), desgleichen der weit weniger bekannte Pavillon für New York zwei Jahre darauf.
Längst arbeitete Iofan da am Palast der Sowjets: In der ersten Wettbewerbsrunde 1930/31 war er in die engere Auswahl gelangt und bildete nach dem Sieg in der zweiten Runde 1934 mit Wladimir Gelfreich und Wladimir Schtschuko das einzig verbliebene Kollektiv. Die Ausstellung wartet mit dynamischen Kohlezeichnungen der frühen Entwurfsphase auf, aber auch mit einer großformatigen Schnittzeichnung aus dem Jahr 1948, in der ein vom Pantheon hergeleiteter Rundsaal mit kassettierter Kuppel und absteigenden, antikischen Sitzreihen den Kern des Turmbaus bildet. Die Kuppelschale steigt über Kolonnaden auf, die vor eine Wand gestellt sind. Gerade so muss Iofan es Jahrzehnte zuvor in Rom gesehen haben.
Boris Iofan lebte bis 1976; gebaut hat er nur noch weniges, darunter das 1956, bereits in der „Tauwetter“-Periode, fertiggestellte Petroleum-Gas-Institut. Es muss ihn geschmerzt haben, sogar Plattenbausiedlungen entwerfen zu müssen. In der Ausstellung sind ein Schreibtisch mit gedrechselten Beinen und ein zierliches Regal aufgebaut, in dem Architekturbücher auf Häkeldeckchen aufgereiht stehen, daneben ein Hutständer: Soll das der Arbeitsplatz sein, an dem Iofan seine grandiosen Entwürfe ersann? Fotos zeigen den gutaussehenden Mann an großen Zeichentischen, energisch und von aufmerksamen Mitarbeitern umgeben: Inbegriff der technischen Intelligenz, die in der Sowjetunion besonderes Ansehen genoss. Es ist die Tragik Iofans, dass die Krönung seines Lebenswerks Papier blieb.
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