Bauwelt

Architektur als künstlerisches Material

Fotografien von Thomas Florschuetz im Museum Wiesbaden

Text: Kraft, Simone, Heidelberg

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Thomas Florschuetz, Enclosure (NM) 25, 2009/10 (Ausschnitt)
© Courtesy Galerie m, Bochum

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Thomas Florschuetz, Enclosure (NM) 25, 2009/10 (Ausschnitt)

© Courtesy Galerie m, Bochum


Architektur als künstlerisches Material

Fotografien von Thomas Florschuetz im Museum Wiesbaden

Text: Kraft, Simone, Heidelberg

Man darf sich nicht täuschen lassen vom ersten Blick auf die großformatigen Fotografien im Museum Wiesbaden. Zwar sind darauf Gebäude zu sehen – äußerst bekannte sogar, errichtet von Architekten wie Le Corbusier oder Oscar Niemeyer –, trotzdem handelt es sich nicht um Architekturfotografie im klassischen Sinne.
Es ist nicht das dokumentarische Porträt dieser Bauten, das Thomas Florschuetz (Jahrgang 1957) festzuhalten sucht. Vielmehr spürt er signifikante Ausschnitte, Details, Teilansichten auf und folgt dabei einem ästhetischen Konzept, nicht der Logik der abgebildeten Architektur.
„Florschuetz versucht nicht die Intention des Architekten in Idealansichten herauszuarbeiten, sondern tritt in einen kritischen Dialog mit dem Baumeister und dessen Arbeit ein“, schreibt Museumsdirektor Alexander Klar im Katalog. Enclosure (CC) 31 etwa zeigt einen modernistisch nüchternen Innenraum, der von Sichtbeton bestimmt wird. Statt einer perspektivischen Durchsicht in den Raum hinein, wie man es von solchen Aufnahmen gewohnt ist, wird der Blick jedoch buchstäblich verstellt: Eine Zwischenwand und eine Stütze nehmen die Bildmitte ein, das Zentrum des Bildes ist „zugebaut“. Statt weiter Sicht: geschlossene Blickachsen. Wo ist das Motiv? Was sehen wir da? Der Betrachter verspürt unwillkürlich das Bedürfnis, zur Seite zu treten, um die Säule herum, an der Wand vorbei zu schauen, um den Innenraum zu erfassen – denn ein angeschnittenes Fenster und diffuses Licht verraten, dass es ein „Dahinter“ geben muss. Zwar wird hier ein Innenraum präsentiert, aber das Gebäude selbst ist nicht zu erkennen. Dass es sich um den Capitol Complex in Chandigarh handelt, verrät nur das Kürzel CC im Bildtitel.
Fragment, Struktur, Form
Die Aufnahme gehört zu der Serie Assembly, an der Florschuetz seit 2010 arbeitet und die in Wiesbaden erstmals gezeigt wird. Sie umfasst Fotografien aus Regierungs- und Versammlungsgebäuden in Brasilien, Indien, Deutschland und den USA, etwa Niemeyers Brasília oder Kahns Salk Institute in La Jolla. Aber auch Aufnahmen aus dem Berliner Palast der Republik kurz vor dem Abriss sind dabei und vom Neuen Museum. Hier ebenso: Ansichten von Innen- und Außenräumen als Abfolgen von Wandflächen und Durchlässen, von Strukturen, Formen und Materialien.
Das Fragment, die ausgewählte Teilansicht, ist wesentliches Element von Florschuetz’ Bildsprache. Damit sind die stets menschenleeren Fotografien der Assembly-Serie eine konsequente Weiterentwicklung seiner Arbeit: Florschuetz’ Tableaus aus Teilansichten menschlicher Körper aus den 80er-Jahren zählen zu den Klassikern der jüngeren Fotografiegeschichte. Übrigens sind auch in Wiesbaden Menschen „eingestreut“: Die Individuals, auch sie zum ersten Mal öffentlich zu sehen, zeigen bildfüllende Rückenansichten und bilden einen ebenso irritierenden wie amüsanten Gegenpol zu den Bauansichten.
„Vollendet“ sind die Arbeiten von Thomas Florschuetz im Grunde erst mit der Inszenierung im Ausstellungsraum (oder alternativ in einer Publikation). Denn nicht das Einzelbild, sondern die Komposition in Bildgruppen verdeutlicht sein Konzept. Viele seiner Aufnahmen sind in Wiederholung entstanden. So zeigen häufig zwei oder mehr von ihnen die gleiche Ansicht mit oft nur minimalen Verschiebungen, unterschiedlichen Zooms, leichten Kamera­schwenks – was den Betrachter zwingt, sehr genau hinzuschauen.
Die Räumlichkeiten in Wiesbaden sind wie geschaffen für Florschuetz’ Bildkonzept: Die Fotografien werden im Zentrum des Theodor-Fischer-Baus inszeniert, es gibt hier eine Vielzahl von Durchblicken und Zwischengängen, die es erlauben, zwischen Assembly und Ausstellungen in anderen Sälen zu pendeln – aktuell ist neben Teilen der ständigen Sammlung eine Sonderschau zur modernen Malerei zu sehen. Wie um zu bekräftigen: Die Fotografie hat ihren Platz inmitten der Kunst. 

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