Bauwelt

Architektur für Zeiten des Umbruchs

17. Berliner Gespräch des BDA

Text: Rumpf, Peter, Berlin

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Innenraum der Schule für die dänische Minderheit in Schleswig von Arkitektfirmaet C.F. Møller
Foto: Poul Ib Henriksen

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Innenraum der Schule für die dänische Minderheit in Schleswig von Arkitektfirmaet C.F. Møller

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Architektur für Zeiten des Umbruchs

17. Berliner Gespräch des BDA

Text: Rumpf, Peter, Berlin

Erderwärmung, Überalterung, virtuelle Revolution. Wie begegnen die Architekten den Zukunfsszenarien von Klimaforschern, Soziologen und Politikwissenschaftlern?
Die Zukunft sieht nicht rosig aus, für uns, für den gesamten Globus. Die Erderwärmung steigt weiter. Unwetter, Dürrekatastrophen, Hochwasser, Hitzewellen nehmen zu. Die Teilung der Gesellschaft in die, die sehr viel haben, und die restlichen 90 Prozent ist nicht aufzuhalten. Überalterung und Geburtenrückgang lassen ganze Landstriche veröden, während sich in Ballungszentren sozialer Sprengstoff anhäuft. Hinzu kommt: Die virtuelle Revolution wird alle und alles verändern. Teledemokratie ersetzt Anwesenheitsdemokratie. Das urbane Kraftfeld verliert sich in universeller Gleichzeitigkeit. Alles zu viel, alles zu schnell. Und wir, die Architekten, wie begegnen wir diesem Armageddon?
Der BDA zumindest wollte Wege aufzeigen. Zu seinem jährlichen „Berliner Gespräch“ lud er Anfang Dezember drei Experten in Sachen Zukunft ein: den Meteorologen Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, den Soziologen Hans Bertram von der Humboldt-Universität und den Politikwissenschaftler und Rektor der Berliner Lessing-Hochschule Bernd Guggenberger. Der erste entwickelte anhand von Karten und Tabellen eine finstere Prognose für die nächsten 40 Jahre, in denen es erheblich nasser, heißer, stürmischer und gefährlicher wird. Schon die Hitzewelle 2003 – so erinnerte er seine Zuhörer – forderte 70.000 Tote. In den letzten 30 Jahren verzeichnete die Münchener Rück einen Anstieg von 300 auf 800 Extremereignisse. Am Polareis schmilzt alle drei Tage eine Fläche von der Größe Berlins, während anderswo 450 Quadratkilometer neue Wüste entstehen.
Gebaute Gegenwelten
Angesichts solcher Aussichten nannte Gerstengarbe das Projekt des Architekten Günter Pfeifer und seines Ingenieurs Markus Pfeil einen Tropfen auf den heißen Stein. Diese stellten den Umbau der Kirche St. Augustinus in Heilbronn und den gelungenen Versuch vor, mit einfachen Mitteln das Klima im Kirchenraum zu regulieren. Vereinfacht ausgedrückt: Eine unter das Beton-Satteldach gespannte durchscheinende Polycarbonathaut schafft eine Pufferzone, in die ein einfacher Ventilator solar erwärmte oder natürlich gekühlte Luft bläst. Energiegewinnung statt Wärmedämmung. Ein architektonisch reizvolles und ökologisch durchdachtes Projekt, wenn auch, wie gesagt, nur ein Tropfen ...
... etwa auf die Szenarien des Soziologen Bertram, die von Segregation und Migration handeln, vom Übergang der Industriegesellschaft über die Wissensgesellschaft zur Freizeitgesellschaft, vom verschärften Wettbewerb der Regionen um kluge Köpfe und von neuen Lebenslaufmodellen. Auf einige der Verwerfungen können der Architekt Jörg Leeser und sein Bauträger Achim Nagel mit ihrem Smart Price House antworten. Auf eine Wiese der IBA Hamburg in Wilhelmsburg stellten sie ihren „Grundbau“: ein auf fünf Geschosse erhöhtes Maison Dom-Ino von Corbusier, also leere Geschossplatten auf Stützen plus Treppenhaus. Den Ausbau besorgen nun die „Siedler“ nach und nach, drei Wohnungen pro Etage. Material und Werkzeug kommen mit Rabatt aus einem Partner-Baumarkt. Die Mischung der Bewerber ist bunt, die Empathie garantiert, die Leidensfähigkeit aller am Anschlag und das Ergebnis im Sommer zu besichtigen.
Eine Treppe wird zum Wissenszentrum
Abschließend zum Thema Demokratie und zum Umgang mit ihr. Gegen den „Verlust der persönlichen Bindung und Verantwortung beim Eintritt ins digitale Universum“ (Bernd Guggenberger), gegen Info-Schrott, eine sich ändernde Rolle der Familie usw. stellte der Architekt Julian Weyer eine Schule für die dänische Minderheit in Schleswig vor. Zwei Drittel der 560 Jugendlichen kommen aus bildungsfernen Schichten, aber 70 Prozent schaffen das Abitur (Schnitt in Schleswig-Holstein: 28 Prozent). Acht Stunden Unterricht in dänischer Sprache, meist nicht im Klassenzimmer, sondern irgendwo im Haus oder im Park (Lernlandschaft). Gebäude, Inventar samt Bibliothek und „Vision“ sind das Geschenk einer privaten dänischen Stiftung. Das Herzstück bildet die multifunktionale Treppe: ein offenes „Wissenszen­trum“. Jørgen Kühl, Rektor der Schule, sprühte sichtlich vor Begeisterung über die aggressionsfreie Atmosphäre unter seinen Schülern und vor Stolz auf die Qualität der Architektur, der er Entscheidendes für das Gelingen der „Vision“ zuschreibt.
Der BDA nannte sein diesjähriges Gespräch „Architektur als Lebensmittel“ – was das Ergebnis nur bedingt umschreibt. Es sei denn, man nimmt die Informationen der Experten als harte Kost und die drei gebauten Gegenwelten als kalorienreiche, aber schmackhafte Nahrung.

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