Bauwelt

Architektur in Uniform

Pariser Schau zur Verwandtschaft von Krieg und Moderne

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

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Eine Burg aus Sandsäcken sichert das Chor­gestühl der Kathedrale von Amiens, um 1940.
© Emmanuel-Louis Mas/Ministère de la culture et de la communication/Médiathèque de l’architecture & du patrimoine

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Eine Burg aus Sandsäcken sichert das Chor­gestühl der Kathedrale von Amiens, um 1940.

© Emmanuel-Louis Mas/Ministère de la culture et de la communication/Médiathèque de l’architecture & du patrimoine


Architektur in Uniform

Pariser Schau zur Verwandtschaft von Krieg und Moderne

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

Le Corbusier wollte seinem Plan Voisin zufolge 1925 bekanntlich das ganze Pariser Zentrum abreißen, um stattdessen kreuzförmige Wohnhochhäuser zu errichten, mit viel Licht, Luft und Sonne für jedermann.
Dazu kam es nicht, wie überhaupt die Konzepte der radikalen Moderne Papier blieben. Zum Glück, möchte man nach einem Dreivierteljahrhundert modernen Städtebaus sagen. Doch so groß war das Glück gar nicht. Die Gedanken blieben in den Köpfen. Nicht der geplante Abriss fand statt, sondern der Zweite Weltkrieg, der die Tabula rasa für die Moderne bereitete.
Die Moderne trug seit den 30er Jahren ihren Teil zu den Kriegsvorbereitungen bei, und umgekehrt ermöglichte der Krieg die Durchsetzung der Moderne in Architektur und Städtebau. Das ist, kurz gesagt, die Doppelthese der Ausstellung „Architektur in Uniform. Planen und Bauen für den Zweiten Weltkrieg“, die der Pariser Historiker Jean-Louis Cohen für das Canadian Centre for Architecture erarbeitet hat und die nun in Paris selbst, in der Cité de l’architecture & du patrimoine, gezeigt wird. Erst im vergangenen Jahr ist mit dem Sammelband von Jörn Düwel und Niels Gutschow, „A Blessing in Disguise. War and Town Planning in Europe, 1940–1945“, der Zusammenhang von Moderne und Krieg umfassend dargestellt worden (Bauwelt 31.2013). Cohens in einer Erstversion bereits 2011 in Montréal gezeigte Ausstellung mag insofern als Vorgänger gelten, aber Streit darum, wer nun der Erstgeborene sei, wäre fehl am Platze. Es ist vielmehr außerordentlich ertragreich, dass an verschiedenen Orten der Welt ein jahrzehntelanges Tabu gefallen ist und engagiert, aber ohne Häme auf die verleugnete Verwandtschaft zwischen der Moderne und ihrem vermeintlichen Antipoden, dem Krieg, geblickt werden kann.
Denn natürlich schiebt auch Cohen der Moderne nicht einfach eine Mitschuld am Krieg in die Schuhe. Die Zusammenhänge sind komplex. Die Ausstellung zeigt beispielsweise in den größtenteils Entwurf gebliebenen Visionen von Totendenkmalen, sei es aus Nazideutschland oder der Sowjetunion Stalins, eine reaktionäre Tradition, die nie gestorben war, sondern sich auf der Basis ihres akademisch geschulten Könnens stets den Machthabern andienen konnte. Andererseits arbeiteten die Ideen zu Standardisierung, Industrialisierung und Reproduzierbarkeit des Bauens den Notwendigkeiten des Krieges zu. Die Vertreter der Moderne waren sich im Klaren darüber, dass der Krieg, der in den 30er Jahren noch Zukunft, aber bereits greifbar war, vor allem ein Luftkrieg mit verheerenden Auswirkungen für die Städte werden würde.
Einfach nur zynisch?
Entwurfszeichnungen spielen in der Pariser Übersicht selbstverständlich eine große Rolle, auch Fotografien wie die eindrucksvolle Serie der Aufnahmen vom zerstörten Köln, die August Sander 1945 anfertigte. Aber zugleich sind es Objekte, die auf die To­talität der Kriegsvorbereitungen aufmerksam machen. Mit einem Mal dürfen zahlreiche Rohstoffe und Ma­terialien nicht mehr im Privathaushalt verwendet werden, weil sie für die Rüstungsproduktion benötigt werden. Surrogate treten ihren Siegeszug an, auch Recycling steht – ausgerechnet im Konsum­paradies USA – hoch im Kurs. „Schmeißt nichts mehr weg!“, mahnt ein französisches Plakat. Wunderbare Glaskannen und Plastikschüsseln, wie sie das Museum of Modern Art 1942/43 unter dem Titel „Useful Objects in Wartime“ vorführte, sind jetzt in der Ausstellung wieder zu sehen, auch die Möbel von Jean Prouvé, der vom kriegswichtigen Metall auf Holz umstellen musste. Konrad Wachsmann, 1941 in die USA emi­griert, treibt die Entwicklung von Holzhäusern voran, die schnell überall aufgestellt werden können. Überraschend dann aber doch, dass das „Mero“-System, als Abkürzung für „Mengeringhausen Rohrbauweisen“ nach seinem Erfinder benannt, per Flugzeug an seine Einsatzorte transportiert werden sollte. Über das Versuchsstadium gediehen diese Überlegungen zu Kriegszeiten nicht hinaus, aber sie legten – wie viele andere Projekte auch – den Grund für die schnelle Modernisierung Europas und insbesondere Westdeutschlands nach 1945.
Für die Architektur steht jedoch der Bau von Fabriken für die Rüstungsproduktion im Vordergrund, und auf diesem Gebiet zeigt sich die Verbindung zur Moderne am innigsten. Albert Kahn, der sowohl die US-Automobilindustrie mit zahllosen Fabrikationsgebäuden versorgt hat als auch die Sowjetunion des ersten Fünfjahrplans, entwirft die Panzerfabrik von Chrysler in Michigan. Mit ihrer voll verglasten Fassade wäre sie eine Ikone einer unbefleckten Moderne, rollte da nicht eben ein – 1941 noch ziemlich unbeholfener – „tank“ aus einem Tor der Endlosfassade. Zur gleichen Zeit entwirft Mies van der Rohe die Bauten des Illinois Institute of Technology, das direkt an der Kriegsforschung beteiligt ist. Und in Deutschland sind Ernst Neufert oder auch Herbert Rimpl dabei, all die Bauhaus-Ideen vom rationellen Bauen zu verwirklichen, nur eben für die andere Seite.
Vier Makroprojekte führt die Ausstellung vor, um die Dimension der Mobilisierung der Ressourcen zu zeigen: das Pentagon bei Washington, die geheime Stadt Oak Ridge für das Atombombenprojekt, die Raketenfabrik von Peenemünde und, horribile dictu, die Kombination von Industrie und Vernichtungslager in Auschwitz. Ludwig Hilberseimer, inzwischen ebenfalls in Chicago, wird mit dem nüchternen Satz zitiert, die „Grundtendenz der Epoche“ sei „auf den großen Maßstab gerichtet“. War die Moderne einfach nur zynisch?
Tragödie Drancy
Dazu passt, dass ausgerechnet das hochmoderne Wohnsiedlungsprojekt von 1934 in Drancy bei Paris, eine Art frühes Plattenbauensemble, zur Sammelstelle für die Deportation der französischen Juden wird. Das größte Gebäude in Form eines U erweist sich als ideal für die Bewachung der im Innenhof zusammengetriebenen Gefangenen. Eben noch, 1942, hatte Josep Lluís Sert, Architekt des spanisch-repu­blikanischen Pavillons bei der Weltausstellung 1937, dieses Wohnbauvorhaben als beispielhaft für die anstehende Nachkriegszeit bezeichnet. Und in der Tat sind dessen Architekten, wie Eugène Beaudouin oder Marcel Lods, später an führender Stelle am Wiederaufbau beteiligt. Dass Beaudouin 1942 einen Plan zur Sanierung des alten Marseille vor­gelegt hatte, der die bald darauf von der deutschen Besatzung vorgenommene Sprengung des verwinkelten Hafenviertels vorwegnahm, hat ihn nach der Befreiung in arge Bedrängnis gebracht. Tatsächlich ist es ein Beleg dafür, dass die Planungsbesessenheit der Moderne mit der Formierung der Gesellschaft, mit der Sozialtechnologie gleich welcher po­litischer Couleur, Hand in Hand geht.
Für Deutschland ist hinlänglich bekannt, dass sich die Architekten aus den Planungsstäben rund um Rüstungsminister Albert Speer, die ihrerseits vielfach von modernen Ausbildungsstätten kamen, nach dem Krieg bestens vorbereitet an den Wiederaufbau machten – der jedoch weitgehend derjenige Neubau war, den die Moderne stets gefordert hatte: Licht, Luft und Sonne; und breite Straßenschneisen, um das verheerende Übergreifen der Brände zu verhindern, das die Architekten schon vor dem Krieg als ein Übel vergangener Bauweisen erkannt hatten. Und was tun mit den Rüstungsfabriken, zumal in den USA? Sie stellten jetzt massenhaft Konsumgüter her. Auch dafür wies der Krieg die Richtung.

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