Architektur nach einem unermesslichen Desaster
Walid Raad kommentiert im Louvre den Museumsboom in der arabischen Welt
Text: Hofmann, Franck, Nantes/Berlin
Architektur nach einem unermesslichen Desaster
Walid Raad kommentiert im Louvre den Museumsboom in der arabischen Welt
Text: Hofmann, Franck, Nantes/Berlin
Ein hoher Saal, drei Wände aus grobem Sichtbeton, die vierte Wand aus historischem Mauerwerk. Wer die mit einer Videoarbeit markierte Schwelle zwischen den Mauern des mittelalterlichen Louvre und der Salle de la Maquette übertritt – die Schwelle zwischen dem europäischen Erbe und einer globalen Zukunft der Künste, wenn man so will – gerät in ein komplexes Reflexionssystem, an dem zunächst die Leere irritiert.
Die Leere ist der Resonanzraum des Videos, das amorphe Strukturen und Farbabstufungen, Grade von Schärfe und Verschwommenheit, Kunstobjekte an der Grenze der Sichtbarkeit zum Erscheinen und zum Verschwinden bringt.
Walid Raad, 1967 im Libanon geboren und heute in New York lebend, befasst sich seit einigen Jahren mit dem wachsenden Interesse an den Künsten des Islam und der kulturellen Infrastruktur in Europa und der arabischen Welt, die infolge dieses Interesses entsteht. Nun ist der Pariser Louvre, selbst Akteur in diesem Prozess (Bauwelt 5), Station von Raads reflexiver ästhetischer Praxis, die Video, Installation, Edition und Performance verbindet. In der Ausstellung „Préface à la première édition“ wendet sich der Künstler den Elementen der Künste, den Bedingungen ihrer Existenz zu. Mit dem Video und einem fotografischen Mappenwerk kommentiert er 28 Objekte aus der neuen Louvre-Abteilung „Künste des Islam“ die zusammen mit 266 anderen Werken zwischen 2016 und 2046 an den Louvre Abu Dhabi ausgeliehen werden sollen.
Raad antizipiert eine Wandlung der Dinge, die mit diesem Schritt unzweifelhaft zu erwarten sei. Wird sie Folge der klimatischen Bedingungen in der arabischen Wüste sein? Oder werden die Veränderungen immaterieller und psychologischer Natur sein? Vielleicht aber können die Künste des Islam zum Gegenstand einer ganz anderen Metamorphose werden: Es ist eine ästhetische Verwandlung, die Raad imaginiert und im Louvre vor Augen führt, mit der er auf den Boom der Kunstmuseen in der arabischen Welt ebenso zu reagieren versucht, wie auf das „unermessliche Desaster“, das deren Hintergrund bildet. Der Autor Jalal Toufic hat dieses „unermessliche Desaster“ mit Blick auf den libanesischen Bürgerkrieg in einem Walid Raad gewidmeten Text formuliert: „Ob ein Desaster unermesslich ist, hängt nicht von der Zahl der Toten, der Intensität seelischer Traumata oder dem Ausmaß des materiellen Schadens ab, sondern davon, ob uns im Anschluss an ein solches Desaster Symptome eines Rückzugs der Tradition begegnen. Wo sich unermessliche Desaster ereignen, verschärft sich der materielle Verlust der Traditionsgüter (infolge von Zerstörung oder Raub für die Museen des Siegers) durch einen immateriellen Rückzug.“ Was Toufic mit Blick auf die Dinge sagt, und Raad an ausgewählten Objekten der Louvre-Sammlung erprobt, gilt auch für die Architektur: für historische Gebäude in der arabischen Welt, die Zeichen des Desasters tragen, und für Neubauten, die sich in dessen Geschichte einschreiben. Formuliert ist hier die conditio des Bauens von Museen in der arabischen Welt heute.
Das Desaster – es ist letztlich der europäische Kolonialismus. Und will die Architektur daran festhalten, eine gegenwärtige Sprache zu entwickeln, hat sie auf die Herausforderung zu reagieren, die eine Beschäftigung mit den Künsten des Islam in der globalisierten Welt stellt. Raad legt im dritten Teil seiner Ausstellung Formelemente dieser Anstrengung zurecht; an den Architekten ist es, sie aufzugreifen. Statt auf Kunstobjekte lenkt er unseren Blick auf Schatten, die in wechselnder Folge auf Boden und Wände projiziert werden, die sich mit dem visuellen Nachklang des Videos und des Mappenwerks verweben – Bilder, die durch die wechselnde Beleuchtung eines mehrfach gewinkelten Bandes erzeugt werden, das über den Köpfen der Betrachter schwebt: ein filigraner Schattenriss, der an Tür- und Durchgangssituationen des europäischen Museumsbaus erinnert und zu keiner geschlossenen Form mehr findet. Das Emblem einer kommenden Architektur?
Walid Raad, 1967 im Libanon geboren und heute in New York lebend, befasst sich seit einigen Jahren mit dem wachsenden Interesse an den Künsten des Islam und der kulturellen Infrastruktur in Europa und der arabischen Welt, die infolge dieses Interesses entsteht. Nun ist der Pariser Louvre, selbst Akteur in diesem Prozess (Bauwelt 5), Station von Raads reflexiver ästhetischer Praxis, die Video, Installation, Edition und Performance verbindet. In der Ausstellung „Préface à la première édition“ wendet sich der Künstler den Elementen der Künste, den Bedingungen ihrer Existenz zu. Mit dem Video und einem fotografischen Mappenwerk kommentiert er 28 Objekte aus der neuen Louvre-Abteilung „Künste des Islam“ die zusammen mit 266 anderen Werken zwischen 2016 und 2046 an den Louvre Abu Dhabi ausgeliehen werden sollen.
Raad antizipiert eine Wandlung der Dinge, die mit diesem Schritt unzweifelhaft zu erwarten sei. Wird sie Folge der klimatischen Bedingungen in der arabischen Wüste sein? Oder werden die Veränderungen immaterieller und psychologischer Natur sein? Vielleicht aber können die Künste des Islam zum Gegenstand einer ganz anderen Metamorphose werden: Es ist eine ästhetische Verwandlung, die Raad imaginiert und im Louvre vor Augen führt, mit der er auf den Boom der Kunstmuseen in der arabischen Welt ebenso zu reagieren versucht, wie auf das „unermessliche Desaster“, das deren Hintergrund bildet. Der Autor Jalal Toufic hat dieses „unermessliche Desaster“ mit Blick auf den libanesischen Bürgerkrieg in einem Walid Raad gewidmeten Text formuliert: „Ob ein Desaster unermesslich ist, hängt nicht von der Zahl der Toten, der Intensität seelischer Traumata oder dem Ausmaß des materiellen Schadens ab, sondern davon, ob uns im Anschluss an ein solches Desaster Symptome eines Rückzugs der Tradition begegnen. Wo sich unermessliche Desaster ereignen, verschärft sich der materielle Verlust der Traditionsgüter (infolge von Zerstörung oder Raub für die Museen des Siegers) durch einen immateriellen Rückzug.“ Was Toufic mit Blick auf die Dinge sagt, und Raad an ausgewählten Objekten der Louvre-Sammlung erprobt, gilt auch für die Architektur: für historische Gebäude in der arabischen Welt, die Zeichen des Desasters tragen, und für Neubauten, die sich in dessen Geschichte einschreiben. Formuliert ist hier die conditio des Bauens von Museen in der arabischen Welt heute.
Das Desaster – es ist letztlich der europäische Kolonialismus. Und will die Architektur daran festhalten, eine gegenwärtige Sprache zu entwickeln, hat sie auf die Herausforderung zu reagieren, die eine Beschäftigung mit den Künsten des Islam in der globalisierten Welt stellt. Raad legt im dritten Teil seiner Ausstellung Formelemente dieser Anstrengung zurecht; an den Architekten ist es, sie aufzugreifen. Statt auf Kunstobjekte lenkt er unseren Blick auf Schatten, die in wechselnder Folge auf Boden und Wände projiziert werden, die sich mit dem visuellen Nachklang des Videos und des Mappenwerks verweben – Bilder, die durch die wechselnde Beleuchtung eines mehrfach gewinkelten Bandes erzeugt werden, das über den Köpfen der Betrachter schwebt: ein filigraner Schattenriss, der an Tür- und Durchgangssituationen des europäischen Museumsbaus erinnert und zu keiner geschlossenen Form mehr findet. Das Emblem einer kommenden Architektur?
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