„Auch in Zukunft werden wir an Mies nur schwer vorbeikommen“
Rethinking Mies: Interview mit Axel Sowa
Text: Ballhausen, Nils, Berlin
„Auch in Zukunft werden wir an Mies nur schwer vorbeikommen“
Rethinking Mies: Interview mit Axel Sowa
Text: Ballhausen, Nils, Berlin
Ein Gespräch mit Axel Sowa, dem Mit-Initiator des internationalen Symposiums „Rethinking Mies – Mies neu denken“, das vom 25. bis 27. Oktober in Aachen stattfand.
Wie kam es zu der Idee für das Symposium?
Axel Sowa | 2009 kam Werner Blaser, einer der prominentesten Fotografen von Mies van der Rohes Werken, als Gast zu den Aachener Montagabendgesprächen. Er fragte: „Warum macht ihr eigentlich nichts zu seinem 125. Geburtstag?“ Aus dem Verein „Aachen_Fenster“ trat Klaus Klever mit dem Vorschlag an uns heran, den Tag zum Anlass zu nehmen, um in Aachen einmal anders über Mies zu reden, als das bisher der Fall war.
Welchen Stellenwert hat Mies in Aachen?
AS | Mies hat seine Geburtsstadt rasch verlassen. Eine Straße und eine Schule sind nach ihm benannt. Es gibt hier den Verein Mies-van-der-Rohe-Haus, der ihn im Rahmen eines Festaktes geehrt hat. Das Ganze hatte einen eher hagiographischen Charakter. Wir wollten herausfinden, warum Mies noch heute für verschiedene Disziplinen eine feste Bezugsgröße ist. Im Avery-Index der Columbia Universität findet man zu Mies über tausend Einträge in zeitgenössischen Zeitschriften, und man fragt sich, warum es diese anhaltende Bezugnahme auf ihn gibt? Ist das Klassikerpflege? Lässt sich eine produktive Aneignung seines Erbes beobachten?
Haben zeitgenössische Architekten Schwierigkeiten, sich auf die Generationen vor ihnen zu beziehen?
AS | Sagen wir es so: Das Verhältnis zwischen spirituellen Vorfahren und ihren mehr oder weniger legitimen Nachkommen ist äußerst gespannt in unserer Zeit.
Woran liegt das?
AS | Künstlerische Invention im Sinne einer Nachfolge und Imitation klassischer Vorbilder ist eigentlich schon im 19. Jahrhundert aus dem Blick geraten und mehr noch seit der Zeit, in der die Reproduktionstechniken immer versierter wurden. Auf die unglaubliche Flut industriell erzeugter Imitate und identischer Kopien reagierte die Kunst unter anderem mit Readymades, später auch mit der Aneignungskunst. Wenn etwa Sherrie Levine sich die Arbeiten von Marcel Duchamps nochmals vornimmt oder Elaine Sturtevant mit Hut den Beuys nachspielt, beziehen sie sich in zitierender Weise auf ein Vorbild und erkennen, wenn auch nicht ohne Ironie, dessen Autorität an. Auch die Architekten der Nachkriegsgeneration benennen ihre Vorbilder und arbeiten sich an ihnen ab. Wilfried Kuehn nennt in seinem Vortrag Allison und Peter Smithson oder die Eames, die sich durchaus noch auf Le Corbusier oder Mies bezogen. Nach Team 10 ist es dann schwierig geworden, weil der Originalitätsdruck erhöht wurde, die Aufforderung, ein originäres Werk zu schaffen, das alle Bindungen zu bisher Dagewesenem kappt. Seltsamerweise hat die Postmoderne die Schwierigkeit der Bezugnahme nur noch dramatisiert.
Barry Bergdoll, Kurator am MoMA, erwähnte die Mies-Renaissance, die Anfang der 90er Jahre einsetzte, als die ehemals jenseits des Eisernen Vorhangs gelegenen Werke von Mies wieder zugänglich wurden. Die ganzheitliche Beurteilung von Person und Werk sei so erst möglich geworden.
AS | In den späten 80er und frühen 90er Jahren konnte man an den Universitäten ein neues Interesse an einer Aufarbeitung der Moderne bemerken. Man entdeckte die Verwerfungen in der einst so klaren Demarkationslinie zwischen „Tradition“ und „Moderne“. Im Rahmen der Doppelausstellung „Mies in Berlin“ und „Mies in America“, kuratiert von Terence Riley, Barry Bergdoll und Phyllis Lambert, kam eine Vielzahl von Indizien zum Vorschein: ein fast biedermeierliches Frühwerk und die Schwierigkeiten, die der amerikanische Mies mit einem Haus in Jackson Hole, Wyoming, hatte.
Sollte das Symposium diesen Bruch kitten?
AS | Nein, das nicht. Im Symposium kam oft zur Sprache, dass das Mysterium des Bruchs nach wie vor besteht. Man kann aber heute die Protagonisten komplexer erscheinen lassen als in der Geschichtsschreibung von Sigfried Giedeon oder Nikolaus Pevsner. Der propagandistische, glättende Blick der Nachkriegszeit ist einer facettenreichen Beschreibung gewichen.
Was mag in Mies vorgegangen sein, als er um 1920 diese Wendung vollzogen hat: von den vordergründig betulichen Villen hin zum Projekt für ein Glashochhaus an der Friedrichstraße. Gibt es dafür inzwischen eine Erklärung?
AS | Ich fand den Gedanken von Beatriz Colomina aufschlussreich, dass die Not der Radikalisierung eine Art Selbsterschaffung erzwingt. Seit Baudelaire bearbeiten viele der modernen Protagonisten nicht nur ihr Werk, sondern auch ihre persönliche Erscheinung, ihren Körper. Sie erzeugen eine mediale Persona, die das Werk hervorbringt, begleitet und verkörpert. Hinzu kommen Medien der Veröffentlichung. Le Corbusier schreibt im Esprit Nouveau unter zwanzig Pseudonymen über sich, wie gut er ist. In der Zeitschrift „G“, herausgegeben von Hans Richter, erhält Mies Raum zur Darstellung seiner manifestartigen Entwürfe. Durch den Körper des Architekten und das Medium der Schrift entsteht eine neue Person, deren Haltung verständlich wird. Diese Dynamik sprengt das Verhältnis zwischen dem konservativen, privaten Bauherrn und dem modernen Architekten, der die Öffentlichkeit sucht. Ohne die Maschinerie der Veröffentlichung lässt sich das Glashochhaus an der Friedrichstraße nicht denken.
Was können Architekten heute von Mies lernen, ist es möglich, eine Leitlinie herauszuarbeiten?
AS | Es gibt viele Leitlinien. Die Tagung hat die Pluralität der Methoden aufgezeigt, sich von Mies inspirieren zu lassen. Fragt man diejenigen Architekten, für die Mies eine Art Säulenheiliger ist, welche Aspekte sie für die eigene Arbeit übernehmen, dann findet man allenfalls bestimmte Vorgehensweisen. Einzelne Themen und Aspekte werden untersucht und zur Weiterbearbeitung ausgewählt. Hier trennen sich die Wege der Philologen und Praktiker. Die einen suchen Anschlussmöglichkeiten an offene Frage, die schon Mies gestellt hat; den anderen geht es um Mies als historische Person, um die Essenz, den „genetischen Code“ oder ein dem Werk zugrunde liegendes geistiges Prinzip.
Junya Ishigami erwähnt Mies nicht, arbeitet aber radikal „miesianisch“. Sein KAIT Workshop in Kanagawa besteht im Wesentlichen aus 350 Flachstahlstützen, die willkürlich im Raum zu stehen scheinen. Er nennt es: Flexibilität durch Indifferenz.
AS | Der Begriff wird leicht mit Gleichgültigkeit verwechselt, es geht ihm aber um das Indeterminierte, um die offengelassene oder ausgelassene Festlegung. In Ishigamis Stützenwald erkennt man nicht sofort die Absicht des Autors, dieses „Wohlmeinende“ der Planer.
Ich hatte den Eindruck, dass die praktizierenden Architekten und die Theoretiker oft aneinander vorbeiredeten.
AS | Vielleicht sind die Fragestellungen zu unterschiedlich: Architekten müssen ständig Entscheidungen treffen und sich mit originären Werken behaupten, während Architekturhistoriker vor allem sorgsam mit dem Wissen ihrer Vorgänger umgehen müssen, um es zu sichern und zu erweitern. Gleichwohl denke ich, dass die Disziplin Architektur und ihre Wissenskultur viel von der kritischen Auseinandersetzung mit Vorbildern lernen kann, die oft etwas vorschnell in den Adelsstand der „modernen Klassiker“ erhoben werden.
Das nächste Jubiläum steht 2019 an, zum 50. Todestag, bzw. 2036, zum 150. Geburtstag. Wie wird Mies dann gesehen?
AS | Wenn man Barry Bergdoll folgt, gibt es auch in der Mies-Rezeption Konjunkturzyklen. Selbst wenn wir keine linearen Verläufe annehmen dürfen, haben wir es im Fall von Mies mit einer bemerkenswerten Wissensakkumulation zu tun. Auch in Zukunft werden wir an ihm nur schwer vorbeikommen.
0 Kommentare