Bauwelt

Bauhaus, Junkers, Zyklon B

Die zwiespältige Moderne in Dessau

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

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Henri Cartier-Bresson, Dessau Juni 1945.
© Magnum Photos, Courtesy Fondation Henri Cartier-Bresson

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Henri Cartier-Bresson, Dessau Juni 1945.

© Magnum Photos, Courtesy Fondation Henri Cartier-Bresson


Bauhaus, Junkers, Zyklon B

Die zwiespältige Moderne in Dessau

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

Dessau, während der Weimarer Republik weltbekanntes Experimentierfeld der Moderne, „avancierte“ im Dritten Reich zur größten deutschen Luftwaffenschmiede. Eine Ausstellung im Bauhaus beleuchtet die Vorgeschichte der Luftangriffe vom März 1945, bei denen auch die Häuser Gropius und Moholy-Nagy zerstört wurden.
Ex-Bauhaus-Direktor Philipp Oswalt, Kurator der Schau, liefert einen vielschichtigen Blick auf die zwiespältige Entwicklung der Stadt – die auch die Hauptproduktionsstätte des Zyklon B war – vom ersten lokalen Wahlerfolg der Nazis bis zum Kriegsende.
Eine der Leitideen von Walter Gropius beim Umzug des Bauhauses nach Dessau 1925 war, die handwerklich ausgerichtete Schule in Richtung Industrie-Design weiterzuentwickeln: „Kunst und Technik – eine neue Einheit“, so die Maxime. Die Firma von Hugo Junkers war zu dieser Zeit noch etwas, das man heute als interdisziplinäres Forschungszentrum mit angeschlossener Fertigungsanlage bezeichnen würde, mit rund 5000 Mitarbeitern aber schon der größte Arbeitgeber in Dessau. Junkers Mitarbeiter unterstützten die Bauhäusler bei ihren Experimenten und praktizierten in den Werkstätten der Fabrik genau das, was Gropius mit der Synthese von Werk- und Formmeister in Weimar immer vorgeschwebt hatte. Viele der aus dieser Zusammenarbeit hervorgegangenen Produkte, Marcel Breuers Stahlrohrmöbel zum Beispiel, sind Design-Ikonen der Moderne.
Das Bauhaus und Hugo Junkers, beide ereilte ein ähnliches Schicksal. Sie wurden von den Nationalsozialisten aus Dessau vertrieben und ihre Wirkungsstätten in den Dienst des Regimes gestellt. Die verstaatlichten Junkers Flugzeug- und Motorenwerke wurden Dreh- und Angelpunkt des Luftrüstungsprogramms. Innerhalb von wenigen Monaten entstan­-den neue Produktionshallen. Die legendäre Ju 52 (der Standard-Linienflieger der Lufthansa) wurde zum Behelfsbomber modifiziert und von der deutschen „Legion Condor“ im Spanischen Bürgerkrieg, so auch bei der Bombardierung von Guernica, eingesetzt.
Für die späteren Kampfflugzeug-Großserien führte man eine arbeitsteilige Produktion ein: Zuliefer­betriebe an verschiedenen Standorten fertigten einzelne Bauteile, im Hauptwerk fanden nur noch Endmontage und Typenentwicklung statt. Diese Art der Dezentralisierung sollte eine „luftkriegssichere“ Produktion garantieren. Die daraus resultierende Vorstellung ei­nes durchgrünten Dessau hielt sich als Idealbild bis in die Nachkriegszeit.
Die Hochkonjunktur jener Jahre machte Dessau attraktiv: Zwischen 1933 und 1941 wuchs die Stadt inkl. des 1935 eingemeindeten Roßlau von 79.000 auf 135.000 Einwohner und richtete sich vollständig auf den Rüstungskonzern aus. Neue Wohnsiedlungen schossen förmlich aus dem Boden. Bei Kriegsbeginn waren fast 40 Prozent der Dessauer von Junkers abhängig. In der Ausstellung dokumentieren Schwarzpläne und Luftbilder der US-Army die enorme Neubautätigkeit, historische und aktuelle Fotos geben den Bauten ein Gesicht. Und obwohl vieles wieder zerstört wurde, finden sich bis heute Relikte dieser Zeit, vom Dessauer Theater bis zu den 1940/41 von der werkseigenen Baugesellschaft errichteten Wohn- und Geschäftshäusern an den „Sieben Säulen“.
Ideologische Neuprogrammierung
Auf fast allen bekannten Fotografien des Bauhausgebäudes steht es auf der grünen Wiese; Gropius ließ es 1925/26 in einem damals unbebauten Stadterweiterungsgebiet errichten. Ab 1933 wurde die Umgebung jedoch rasant verdichtet und der dabei vor dem Bauhaus entstandene Platz mit einem Denkmal für den von den Nationalsozialisten zum Märtyrer stilisierten Albert Leo Schlageter ideologisch neu besetzt. Nach und nach bewirtschaftete Junkers die Bauhaus-Bauten und erwarb sie. Das Atelierhaus nutzte zunächst die Landesfrauenarbeitsschule. Mit Kriegsbeginn zogen dort ­Verwaltung, Konstruktionsbüro und Propaganda-Abteilung des Rüstungsunternehmens ein. Die Meisterhäuser waren nach dem Auszug der Bauhäusler ebenfalls begehrt, später residierte dort die Junkers-Elite. Das Direktorenhaus bezog der Test- und Chefpilot Karlheinz Kindermann mit seiner Familie. Er hatte an der Entwicklung der Ju 88 (des deutschen Standard-Sturzkampfbombers) mitgewirkt und war Leiter der Flugbetriebsabteilung. In Gropius’ ehemaligem Wohnhaus ging fortan die Luftwaffenprominenz ein und aus.
Henri Cartier-Bresson
Im Sockelgeschoss des Bauhauses wird im Rahmen der Ausstellung Henri Cartier-Bressons Fotoserie „Dessau Juni 1945“ gezeigt, die der französische Fotograf und spätere Mitbegründer der Agentur Magnum aufnahm, kurz bevor die Amerikaner aus Dessau ab- und die Russen einrückten. Die Bilder zeigen eine in Trümmern liegende Stadt, zerstörte Brücken, unzählige „Displaced Persons“, die im Freien cam­pieren, scheinbar endlose Ströme von Zwangsarbeitern aus Osten und Westen auf dem Weg in die Heimat, die sich an einer Ponton-Brücke über die Mulde begegnen. Das bekannteste Motiv, eine „Gerichtsszene“ in der als Durchgangslager genutzten Flak-Kaserne in Dessau-Kochstedt, bei der eine junge Frau als frühere Gestapo-Informantin entlarvt wird, beweist eindrucksvoll Cartier-Bressons Gespür für den richtigen Augenblick. Das Bild ist zum Sinnbild für das Ende der Nazi-Herrschaft geworden und zum Symbol für die bald folgende Debatte über Schuld, Reue und Bestrafung.
Wer genau hinschaut, dem vermittelt die Ausstellung – ohne dass sie dezidiert darauf einginge – auch die tieferen Ursachen für das aktuelle Dilemma, in dem Dessau steckt. Die Flächenbom­bardements der Alliierten zerstörten die Stadt nahezu vollständig. Und seit dem „autogerechten“ Wiederaufbau der DDR-Zeit fehlt der Stadt bis heute ein deutlich ablesbares Zentrum. Daher setzt das ört­liche Stadtentwicklungskonzept neben dem Wörlitzer Park vor allem auf die „Nationale Profilierung als die Bauhausstadt“. Die fundierte Recherche von Oswalt und seinem Team zu den dunkelsten Kapiteln der Stadtgeschichte kollidieren vermutlich empfindlich mit der Strategie in der Stadt, Dessau-Roßlau als „Vision eines menschenwürdigen Lebens durch Fortschritt und Innovation im Einklang mit der Natur“ zu vermarkten. Eine Ausstellung, die derart versiert und umfangreich das widersprüchliche Erbe der Moderne in Dessau beleuchtet, wird nicht jedem gefallen.

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