Versteckte Rettung
Um den legendären Hamburger Musikclub Grünspan schwelt ein Konflikt: Wie lässt sich seine denkmalgeschützte und inzwischen in die Jahre gekommene Wandgestaltung retten?
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
Versteckte Rettung
Um den legendären Hamburger Musikclub Grünspan schwelt ein Konflikt: Wie lässt sich seine denkmalgeschützte und inzwischen in die Jahre gekommene Wandgestaltung retten?
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
Die Denkmalpflege wollte die Bemalung restaurieren, die Künstler sie abschlagen und neu auftragen lassen. Nun zeichnet sich ein ungewöhnlicher Kompromiss ab.
Das „Grünspan“ ist ein international bekannter Club im Herzen von St. Pauli. Er gehört zu den ältesten Musik- und Tanzlokalen der Stadt, entstand im Jahr 1889/90, wurde später jedoch immer wieder umgebaut. Das Haus diente als Konzerthalle, Hippodrom, Lichtspieltheater, „Tanzlokal mit Nacktbetrieb“ und sogar Badeanstalt. Nach einem erneuten Besitzerwechsel bekam die Vergnügungsstätte 1968 den Namen Grünspan (mittlerweile umbenannt in: Gruenspan) und etablierte sich als Szenedisco. Die beiden Künstler Werner Nöfer (*1937) und Dieter Glasmacher (*1940) erhielten damals den Auftrag, die Eingangsfassade an der Großen Freiheit umzugestalten. Sie schufen eine dreiteilige, auf Holzplatten gemalte, wie Pop-Art wirkende Arbeit.
Zuvor wurden für den Ausbau der Simon-von-Utrecht-Straße in St. Pauli viele Häuser abgerissen. Am Grünspan-Club wurde dadurch eine lange Brandwand freigelegt, die später ausgebessert, gestrichen und den beiden Künstlern ebenfalls für eine freie Gestaltung zur Verfügung gestellt wurde. Die von ihnen konzipierten Bildmotive wurden im Sommer 1969 durch zwei Kunststudenten an der Wand aufgetragen. Der Gebäudekomplex des Clubs besteht aus mehreren aneinandergereihten Baukörpern. Die aus mehreren Motiven bestehende Brandwandbemalung greift diese Gliederung auf. Nöfer gestaltete die äußeren Wandbereiche, Glasmacher den mittleren Saaltrakt. Am markantesten ist die Giebelwand an der Straßenkreuzung. Hier wurde eine auf Nöfers Grafik „Periskopisch“ (1967) basierende Darstellung aufgetragen: Der Blick auf eine abstrahierte Landschaft mit Himmel, Horizont und grünen Wiesen durch ein Periskop. In Glasmachers Part sind figürliche Darstellungen zu sehen, hinterlegt mit Wellen-, Kachel- und Streifenmustern („Striptease im Schwimmbad“).
Wandmalereien im Außenbereich wurden früher meist als Fresko realisiert, eine Technik, bei der die Farbpigmente auf den noch frischen Putz aufgebracht werden und sich dann dauerhaft mit dem Untergrund verbinden. Die Grünspan-Wandgestaltung war jedoch eines der ersten großen „Wallpaintings“ Europas und wurde, um besonders leuchtende Farbtöne zu bekommen, mit Alkydharzfarben aufgemalt – die schnell ausblichen. Auch mussten immer wieder Risse gekittet, Fehlstellen im Putz ausgebessert und einzelne schadhafte Teilbereiche übermalt werden. Ein erster Versuch Mitte der Siebzigerjahre, die abgeplatzten Stellen zu restaurieren, erfolgte mit deutlich helleren Farbtönen. Weitere Restaurierungen wurden 1986 und 2000 durchgeführt, einige Teilbereiche sind dabei dreimal übermalt worden. Der Zustand der Wand verschlechterte sich aber weiter: Die ungenügende Gründung des Gebäudekomplexes führt zu Rissen, die Alterung der mehrfachen Übermalungen wirkte sich durch Schwindprozesse verheerend auf die originale Malschicht aus, Witterungseinflüsse und mangelnder Bauunterhalt ließen Wasser eindringen und beschleunigten die Schadensprozesse.
2020 lehnten die beiden Künstler eine weitere Restaurierung mit Hinweis auf ihr Urheberrecht ab und schalteten einen Anwalt ein. Sie plädierten dafür, den alten Putz komplett abzunehmen, zu erneuern und das Motiv danach neu auftragen zu lassen, nach den alten Vorlagen. Der Gebäudekomplex des Clubs steht jedoch seit langem unter Denkmalschutz und die Fassadengestaltung wurde bereits 1987 miterfasst. Die Zeugnisfähigkeit und Aussagekraft von Denkmalen ist an authentisch überlieferte Substanz gebunden. Daher kam für die Denkmalpflege eine Zerstörung der Original-Malschicht des Bildes nicht in Frage – laut den früheren Freilegungs- und Konservierungsversuchen ist sie offenbar noch zu etwa 80 bis 90 Prozent unter den späteren Übermalungen erhalten.
Im Rahmen der Weiterentwicklung des Areals plant die Eigentümerin, die Sprinkenhof GmbH, nun die umfassende Instandsetzung, Sanierung und Erweiterung des Club-Gebäudes. Da die Atmosphäre der Räume durch die überlieferte, geschichtsträchtige Bausubstanz bestimmt wird ist dem Denkmalschutzamt – neben dem Erhalt des Wandbildes – auch der Erhalt der Konstruktion und Ausstattung, insbesondere des Saales, mit den verschiedenen Nutzungsschichten wichtig. Die Brandwand mit dem Gemälde neigt sich aber immer stärker nach außen. Mittlerweile musste sie mithilfe von großen dreieckigen Stahlböcken stabilisiert werden, die vor dem Saalbau aufgestellt wurden und durch Zuganker mit dem gesamten Gebäude verbunden sind, um den Spielbetrieb des Clubs weiterhin aufrecht erhalten zu können. Bei der geplanten Sanierung soll eine Gründungsverbesserung durchgeführt und auch ein additives, wie ein „Korsett“ wirkendes Tragsystem installiert werden, sodass die Statik des Gebäudes anschließend auch ohne zusätzliche Abstützungsmaßnahme wieder gewährleistet ist.
Was nun die denkmalgeschützte Wandgestaltung betrifft: Sie soll laut den aktuellen Planungen dauerhaft an der Bestandswand gesichert und eine zusätzliche Außenwand davorgesetzt werden. An dieser soll dann eine makellose Replik desselben Motivs mit der ursprünglichen Farbigkeit aufgetragen werden. Mit diesem Vorgehen wurde, wie es scheint, ein für alle Beteiligten annehmbarer Kompromiss gefunden – auch wenn die originale Wandgestaltung danach nicht mehr zu sehen sein wird.
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