Bauwelt

„Bei den Nymphenburger Höfen ist die Obergrenze an Dichte erreicht“

Interview mit Ferdinand Stracke

Text: Hofmann, Marc, München/Zürich

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Synopse aus vier Zeittafeln: WohnOrt München von Ferdinand Stracke

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Ferdinand Stracke
Foto: Kaye Geipel

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Ferdinand Stracke

Foto: Kaye Geipel


„Bei den Nymphenburger Höfen ist die Obergrenze an Dichte erreicht“

Interview mit Ferdinand Stracke

Text: Hofmann, Marc, München/Zürich

Die Entwicklung des Wohnstandorts München ist seit der Nachkriegszeit durch eine Abfolge großer neuer Quartiere bestimmt, die sich als Abbild unterschiedlicher Konzepte in den Stadtgrundriss gebrannt haben. Wie haben sich diese Ideen im Lauf der Jahrzehnte verändert?
Der Stadtplaner Ferdinand Stracke, der Münchens Entwicklung über 50 Jahre hinweg analysiert und mitbestimmt hat, wird von einem Planer der jüngeren Generation mit der Frage konfrontiert: Ist München heute noch bereit, Wagnisse wie in den 60er Jahren einzugehen und aus Fehlern zu lernen?

Seit dem Wiederaufbau wurden vier Stadtentwicklungspläne für München erarbeitet. Beim sogenannten Jensen-Plan von 1963, bei den Stadtentwicklungsplänen von 1975 und 1983 und der „Perspektive München“ von 1998, die sich aktuell in der Fortschreibung befindet, werden ganz unterschiedliche Haltungen sichtbar. Wie unterscheiden sie sich in ihren Kernpunkten?


Wir sollten zuerst kurz die Staffelbauordnung (1904) von Theodor Fischer erwähnen, einfach weil sie so genial war. Sie hatte noch ein Bild der Stadt, ein Dichtemodell, vor Augen und ist im Grunde ein dreidimensionaler Flächennutzungsplan. Sie war als räumliches Modell gedacht, in das diese Stadt in ihrer Wachstumsdynamik geordnet hineinwächst. Das war damals noch möglich und hat sehr lange gehalten, bis 1979. Der Jensen-Plan denkt die Gesamtstadt dann auch von außen: Die Art und Weise, wie dieser Plan ganz bewusst die Freihaltung der Zwischenräume als Grünschneisen bis an den inneren Stadtkörper fordert, ist eine sehr weitsichtige, über die kommunalen Grenzen hinaus gehende Betrachtung des Raums, wie wir sie heute wieder als dringend erforderlich erkennen. Mit dem Jensen-Plan wurde damals geradezu eine neue Großstadttypologie erfunden. Die Stadtentwicklungspläne von 1975 und 1983 sind eigentlich Flächennutzungspläne. Sie stehen für ein gut verwaltetes Stadtwachstum. Mit ihnen wird kein Ziel, keine Vision mehr formuliert und ihre Betrachtung endet an Fragen der Stadtgrenze.

Und wie beurteilen Sie die aktuelle Entwicklungsplanung? Welche Ziele sind heute wichtig, gibt es das wieder, eine zeitgemäße Vision von Stadt?


Der Stadtentwicklungsplan von 1998 die „Perspektive München“ verkörperte bereits eine völlig andere, moderne Auffassung von Planung, die München dringend nötig hatte. Hier ist nicht mehr der Flächennutzungsplan Grundlage der Stadtentwicklung, sondern das Erkennen von Prozessen und der Notwendigkeit, diese Prozesse fortzuschreiben und, so weit nötig, planerisch abzubilden. Als wichtiger Faktor kommt hinzu, dass der Bürger in den letzten zwanzig Jahren in einem Maße in die Stadtentwicklung einbezogen worden ist, wie das vorher nicht der Fall war. Es gibt keine Vision, es gibt aber die wirksame Steuerung einer geordneten Stadtentwicklung im Sinne einer Umsetzung beschlossener Entwicklungsziele.

Wurde bei der Umsetzung des Mottos der „Perspektive München“ – es lautet kompakt-urban-grün – das Grün nicht etwas zu groß geschrieben? Kann man sich angesichts eines prognostizierten Wachstums um 150.000 Einwohner bis 2030 die opulenten Freiflächenwerte eigentlich noch leisten?


Das Prinzip sollte man auf keinen Fall aufgeben. Man muss aber über die Definition von Grün nachdenken; mit der Unterscheidung zwischen Grünräumen, die für Luftaustausch und Freizeit echt wirksam sind, oder lediglich grüner Garnierung.

Wie sieht es aus mit den heutigen Wachstumsmöglichkeiten? Gibt es überhaupt noch Flächenpotenziale außerhalb der Kernstadt, aber innerhalb der Stadtgrenze?

Mit Sicherheit. Es wird ja in der Presse gerne behauptet, dass München in puncto Wachstum eigentlich am Ende sei, und wenn noch 150.000 Menschen dazu kommen sollten, ginge nichts mehr. Das ist nicht so. München hat noch eine wirkliche Flexibilität, etwa im Norden. Ein Beispiel: Man hat sich den ökologischen Luxus geleistet, dass man die Panzerwiese, trotz U-Bahn-Anschluss, nur teilweise mit dem Quartier „Nordheide“ bebaut hat; hier lässt sich weiterdenken. Es gibt auch noch landwirtschaftliche Flächen, vor allem im Nordwesten der Stadt. Konkret befindet sich der Stadtteil Freiham an der westlichen Peripherie in Realisierung, ebenso die Aktivierung des ehemaligen Siemensgeländes im Süden („Südseite“).

Stichwort Nachverdichtung: Sie ist Teil des normalen Prozesses der Stadtentwicklung. Sie selbst haben dieses Thema vor einigen Jahren in Form ihrer Hochhausstudie behandelt. Zur Zeit lässt die Stadt die Möglichkeiten der Nachverdichtung im Rahmen des Projektes „LaSie“ – das ist die Abkürzung für Langfristige Siedlungsentwicklung“ – strategisch untersuchen. Wie weit kann München die bauliche Dichte ausreizen?

Natürlich wird man weiter verdichten. Aber wir sehen bei den im Bau befindlichen Nymphenburger Höfen (Seite 12), auch bei den Lenbachgärten, eine Obergrenze der Verdichtung. Wichtig ist, dass man mit einer differenzierten Vorstellung von Dichte operiert. Allein mit einer weiteren Erhöhung der allgemeinen Nutzungsdichte lassen sich die Entwicklungsprobleme Münchens nicht lösen. Wir sind doch längst soweit, dass wir das Wachstum der Stadt synchron mit der Entwicklung des gesamten Wirtschaftsraums München jenseits der Stadtgrenzen sehen müssen. Es ist höchste Zeit, dass dies auf kommunalpolitischer Ebene zu einer neuen, grenzübergreifenden Handlungsmaxime wird – dieses Denken war ja auch bereits im eingangs zitierten Jensen-Plan angelegt. München hat in seiner Gesamtfläche im Verhältnis zu seiner Einwohnerzahl eine sehr kleine Grundfläche und damit bereits eine rechnerisch sehr hohe Dichte, trotz der unglaublich vielen Einfamilienhäuser in der Stadt.

Stichwort Einfamilienhäuser: 57 Prozent der Fläche Münchens werden momentan von Ein- bzw. Zweifamilienhausgebieten eingenommen. Hier ließe sich doch etwas machen?


Und 20 Prozent der Münchener wohnen in diesen Einfami­lienhausgebieten. Diese sind zum großen Teil, was man gar nicht glaubt, nach den ersten Villenkolonien im 19. Jahrhundert, mit den Reichskleinsiedlungen aus der Zeit des Nationalsozialismus und in den 30er Jahren, als eigentlich Armut herrschte, entstanden. Und dann besonders in der Zeit direkt nach dem Zweiten Weltkrieg, im Rahmen von phantastischen Förderbedingungen.

Eine Nachverdichtung, gerade bei den vom öffentlichen Nahverkehr gut erschlossenen kernstadtnahen Ein- und Zweifamilienhausgebieten, liegt doch eigentlich auf der Hand. Im Rahmen der LaSie hat das Fachgutachterteam um Dietrich Fink eine Reihe konkreter Vorschläge gemacht. Wie beurteilen Sie diese?


Es wurden interessante Vorschläge gemacht, die eigentlich im Wesentlichen der gängigen Praxis entsprechen. Ich bezweifle aber, dass in der Nachverdichtung dieser Ein- und Zweifamilienhausgebiete große Potenziale liegen – der Nachverdichtungsprozess, der jetzt schon stattfindet, produziert meines Erachtens eher kleine Mengen an neuen Flächen, aber erhebliche Milieu- und Stadtbildschäden. Man sollte aus diesem Grund diese Gebiete vor zu starker Überformung bewahren.

Wie beurteile Sie die Instrumente, die im Rahmen des Gutachtens LaSie vorgeschlagen wurden, also Aufstockung, Addition und Überhöhung?


Ein Teil dieser Vorschläge gehört zum üblichen Prozess von Stadtwachstum und -erneuerung, der zur Eigenart jeder prosperierenden Großstadt gehört – das ist in der Tat ein Weg. Die Probleme eigentums- und baurechtlicher Art könnten sich jedoch als stärker erweisen als städtebauliche Visionen.

Damit sind wir beim Thema München und der Mut zur Veränderung. Bezeichnet die von Ihnen beobachtete „behäbige Stadtkultur“, die „Experimenten immer mit einer ruhigen Skepsis“ begegnet – das sind zwei Zitate aus Ihrem Buch „WohnOrt München“ –, eigentlich eine Qualität? Ist damit nicht, angesichts des heute stattfindenden boomartigen Wachstums, ein großes Problem beschrieben?

Eine schöne Frage. Ja, die behäbige Stadtkultur und die Skepsis dem Experiment gegenüber haben München lange gekennzeichnet. Komischerweise ist man dann aber doch stolz, wenn etwas Besonderes erreicht wurde. Das war beim Olympiagelände so und ist jetzt bei der Allianz-Arena so. So ist der Münchener: Erst „grantelt“ er, und dann findet er es ganz gut. Was in München wirklich schwierig ist, ist die konkrete Handlungsebene, dort, wo es in den Bezirken um Veränderungen geht. Da ist ein wirklich konservativer Erhaltungswille des Status quo festzustellen – wie zum Beispiel bei den Verdichtungsversuchen im Hasenbergl und in der „Maikäfersiedlung“.
Ihre Frage impliziert ja richtigerweise auch die Frage nach der Toleranz gegenüber Wohnexperimenten. Darüber hinaus ist das Wohnen ja der wirklich zentrale Entwicklungsmotor der Stadt ...

Da bräuchte es doch gar nicht so viel Mut, der Markt ist ja da, der kann Experimente vertragen.


Es gibt ja auch welche, es werden immer wieder welche unternommen. Das muss man der Stadt, Frau Thalgott als ehemaliger und Frau Merk als jetziger Stadtbaurätin, schon attestieren. Es hat nie so viel Wettbewerbe gegeben wie heute! Und es werden Architekten beauftragt, mit neuen Ideen die Probleme des innerstädtischen Wohnens weiterzuentwickeln. Es fällt beispielsweise auf, dass das Wohnhochhaus wieder eine Rolle spielt. Aber dennoch: Es fehlt häufig an Mut, auch bei den Bauträgern.

Welches sind die Gründe?

Das Scheitern des Werkbund-Experimentes ist da beispielhaft. Das Wettbewerbsergebnis von 2007 (Sakamoto) sah ein Ensemble schlanker Wohnhochhäuser vor, die in München eine erfreuliche Alternative zur gängigen, neuen Blockrandbebauung geboten hätten. Da sind die Bauträger einer nach dem anderen ausgestiegen, weil es sich ganz simpel nicht rechnete, weil der Vorschlag aber auch eine erhebliche soziale Problematik aufwies, die z.B. in der niemals funktionierenden Mischung von sozial gefördertem Wohnungsbau und teurem Wohneigentum im gleichen Gebäude lag. Wenn sich jedoch der neue Wohnungsbau in München nur noch mit angemessenen Lösungen begnügt, wird Mittelmäßigkeit und Langeweile das Bild der neuen Siedlungseinheiten prägen.

Müssten Stadtplanung und Wohnungspolitik in München angesichts der aktuellen Wohnungsnot nicht viel aktiver eingreifen?

Seit dem genossenschaftlichen Wohnungsbau der 30er Jahre bis in die 70er Jahre war die Deckung des Wohnungsbedarfs relativ vorbildlich. Mit dem Übergang der Wohnung vom Sozialgut zum Marktgut hat sich in München eine neue Ära des Wohnungsbaus ergeben. Heute sind sehr sehr große Defizite an bezahlbarem Wohnraum zu beobachten. Wenn Städtebau und Politik künftig nicht besser zusammengehen, wenn also z.B. das wohnungspolitische Handlungsprogramm „Wohnen in München“ sich mit 7000 bis 8000 Wohneinheiten per anno begnügt, dabei aber den Anteil der geförderten Wohnungen nicht erheblich steigern kann, sind die nega­tiven demographischen und sozialen Entwicklungen unabsehbar.

Welche Beispiele der jüngeren Vergangenheit sind Ihrer Meinung nach diskussionswürdig – auch im Hinblick auf die Zukunft, auch im Sinne eines „Learning from …“? Man kann ja auch einmal scheitern, wenn man daraus die richtigen Schlüsse zieht.…

Ich halte das für einen wichtigen Teil Ihrer Frage, dass man auch mal Irrtümer zulassen oder scheitern darf, wie zum Beispiel bei der Werkbundsiedlung. Das ist in unserer „ordent­lichen“ und stark optimierten Gesellschaft leider weitgehend abgeschafft. Diese Verregelungen in Verbindung mit dem großen Vermarktungsdruck führen zu einer unglaublichen Konfektionierung von Wohnungsbau...
Auf der Höhe ihrer Zeit waren das Hasenbergl, die Wohnanlage Lerchenauer See, auch Neuperlach und Fürstenried als Siedlungen, von denen damals ja verlangt wurde, „vor der Stadt“ ein Wohnungsangebot unterzubringen. Neuperlach, das größte der damaligen neue Stadtgebilde – das ursprünglich sogar Entlastungsstadt genannt wurde – ist aus heutiger Perspektive ein sehr kühner Gedanke gewesen, nicht weiter mit Stadterweiterungen zu operieren, sondern eine Stadt neben der Stadt zu bauen.
Diskussionswürdige innerstädtische Beispiele, bei denen es um eine Neunutzung von Standorten geht, sind die The­resienhöhe, die Fünf Höfe, die Lenbachgärten. Die Theresienhöhe finde ich mit das Beste, was München in den letzten 20 Jahren an Qualität erzeugt hat. Sowohl in ihrer Dichte als auch in ihrer Raumstruktur, wie sie Otto Steidle mit seinen achtgeschossigen, schlanken Wohngebäuden auf Schachbrett-Muster entwickelt hat, ist eine wahrhaft zeitgemäße Wohnform entstanden. Die Fünf Höfe stehen für einen völlig an­deren Typus – die Reaktivierung einer hochwertigen Citylage – sie sind ein räumlich interessantes Erlebnis und ein wirklich gelungenes Experiment. Die Lenbachgärten bedienen eine bestimmte Gesellschaftsschicht, ihre Kaufkraft und auch ihre Vorstellung von Raum, von Exklusivität. Das muss eine Stadt wie München haben, das finde ich in Ordnung, auch bei exorbitanter Dichte. Nichts ist schlimmer als die Nivellierung eines baulichen Niveaus einer Stadt, eine Nivellierung von Bildern. Man muss nicht immer mit den Bildern einverstanden sein, aber es ist wichtig, dass sie wechseln.

Sie sprechen von den Bildern der Stadt. Gibt es das also nicht mehr, das eine Bild, das man als eine Vision für die Gesamtstadt skizzieren kann?


Das eine Bild der Stadt gibt es nicht. Man kann durchaus für Stadtteile ein Bild entwerfen, aber aus den ortsspezifischen Bedingungen heraus. Man kann die Bilder einer Stadt wachsen lassen, die kommen aus sich selbst heraus, dann haben sie auch eine Logik, dann wirken sie nicht aufgesetzt. Mit den großen neuen Bildern ist es immer schwierig. München ist beispielsweise keine Stadt, die das Hochhaus unbedingt braucht. München lagert als großer, vielgestaltiger Körper auf der Schotterebene und hat so seine unverwechselbare Morphologie. Ich meine, das Bild der Stadt besteht aus Bildern der Stadt. Und an denen kann man arbeiten. 
Fakten
Architekten Lauter, Bernd, München; Steidle Architekten, München
aus Bauwelt 36.2012
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