Bauwelt

Das Eigenheim – ersehnt und gefürchtet

Dem Wunsch nach einem eigenen Haus liegt etwas zutiefst Irrationales zugrunde, das mit viel Eifer und zahllosen Argumenten rationalisiert wird, als sichere Geld­anlage zum Beispiel oder als praktischer Lebensraum für die eigene Familie. Sobald dieser Wunsch im Begriff ist, erfüllt zu werden, tritt manches Un­bewusste an die Oberfläche. Auf ihre Unabhängigkeit im Wohnen fixiert, geraten Menschen in immer größere Abhängigkeiten und in Konflikte mit sich selbst. Sie können daran zer­brechen oder tun überraschende Dinge. Welche unsichtbaren Kräfte steuern die vermeintlich rationale Entscheidung für das Eigenheim? Ein Fall für unseren Autor, den Psychiater

Text: Hirsch, Mathias, Düsseldorf

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    Die Bilder entstammen der vierteiligen Serie „Heimat II“ der Fotografin Annina Lingens (Jg. 1983). In digitaler Nachbearbeitung wurden die Öffnungen typischer Einfamilienhäuser versiegelt und das Abweisende und Undurchsichtige ihres Wesens noch überspitzt.
    Foto: Annina Lingens

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    Die Bilder entstammen der vierteiligen Serie „Heimat II“ der Fotografin Annina Lingens (Jg. 1983). In digitaler Nachbearbeitung wurden die Öffnungen typischer Einfamilienhäuser versiegelt und das Abweisende und Undurchsichtige ihres Wesens noch überspitzt.

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Das Eigenheim – ersehnt und gefürchtet

Dem Wunsch nach einem eigenen Haus liegt etwas zutiefst Irrationales zugrunde, das mit viel Eifer und zahllosen Argumenten rationalisiert wird, als sichere Geld­anlage zum Beispiel oder als praktischer Lebensraum für die eigene Familie. Sobald dieser Wunsch im Begriff ist, erfüllt zu werden, tritt manches Un­bewusste an die Oberfläche. Auf ihre Unabhängigkeit im Wohnen fixiert, geraten Menschen in immer größere Abhängigkeiten und in Konflikte mit sich selbst. Sie können daran zer­brechen oder tun überraschende Dinge. Welche unsichtbaren Kräfte steuern die vermeintlich rationale Entscheidung für das Eigenheim? Ein Fall für unseren Autor, den Psychiater

Text: Hirsch, Mathias, Düsseldorf

„Wenn das Haus fertig ist, kommt der Tod.“
(arabisches Sprichwort, überliefert von Thomas Mann in „Die Buddenbrooks“)
Mit dem Bild des Eigenheims möchten wir etwas Positives verbinden, nämlich das zu erstrebende, wenigstens ersehnte gesicherte Leben eines erwachsenen Menschen, der es zu etwas gebracht hat, der angekommen ist. Mit Haus ist deshalb in unserer Kultur noch immer zuerst Familie assoziiert, die junge Familie mit zwei Kindern, dem Einfamilienhaus, dem Garten, dem Zweitwagen, der Doppelgarage. Das zu erreichen, setzte eine Ablösung von der „Mutter“, der Herkunftsfamilie, dem Elternhaus voraus; das Eigenheim steht für Erfolg und Autonomie. Kaum jemand denkt aber daran, welche Bedrohung es für ihn werden könnte, und zwar wegen der Bedeutung, die es für ihn hat.
Ein Ingenieur in der Mitte seines Lebens bricht zusammen, nachdem seine Freundin die langjährige Beziehung beendet hat. Sie lebten vier Jahre in verschiedenen Städten, und als sie es endlich möglich machen konnte, in seine Stadt zu ziehen, fanden sie ein Haus, das sie kauften. Kurz nach der Unterschrift beim Notar verliebte sie sich in einen anderen Mann – der Haustraum zerplatzte. – Ein anderer junger Mann hatte ein kleines Kind, sein Ein und Alles, er hatte geheiratet und ein Grundstück in der Nähe der Schwiegereltern gekauft. Als der Termin der Lieferung des Fertighauses näher kam, geriet er in Panik und verließ Frau und Kind. Er kannte sich selbst nicht mehr, war voller Schuldgefühle und bestand darauf, die Konventionalstrafe für das Fertighaus allein zu zahlen. Er wusste nur: „Es wird mir zuviel, ich kann mich nicht rühren, ich fühle mich wie in einem Gefängnis!“
Ritualisierung
Man denkt zuerst, das Eigenheim soll einfach eine junge Familie aufnehmen, aber immer wird die Planung eines Hausbaus oder der Erwerb eines Hauses mit Angst und Ambivalenz einhergehen. Denn in dieser Funktion repräsentiert das Haus ebenso wie Schulabschluss, Heirat, Schwangerschaft bzw. Geburt eines Kindes einen Trennungsschritt, bezeichnet eine Trennung, einen Übergang von einem Identitätszustand in den nächsten, und zwar unbekannten, ein Aufgeben einer Mutter-Sicherheit. Solche Übergänge machen dem Menschen seit jeher Angst, und er versucht deshalb, sie durch Ritualisierung zu etwas Geregeltem, Gesichertem zu machen, versucht auch, die umgebende soziale Gruppe an Entscheidungen und eben den Riten teilnehmen zu lassen, die den Wechsel erleichtern sollen. Früher war die Reihenfolge in bürgerlichen Kreisen klar: Verlobung (mit der Erlaubnis der Eltern der Braut: „Um die Hand anhalten“), Haus kaufen, heiraten, einziehen, Schwangerschaft. Auch die persönlichen Bereiche dieser Etappen auf dem Wege zum Erwachsen- und Etabliert-Sein waren vom
„Segen“ der Familien und von den Angehörigen der sozialen Umgebung viel mehr abhängig als heute, wo Heirat und Zusammenleben, auch die Frage der Zeugung eines Kindes, eher als Privatsache erlebt wird.
Hat das junge Paar den Wunsch und die Möglichkeit, ein Eigenheim (oder eine Eigentumswohnung) zu erwerben, scheint es, als ob die Ängste und Ambivalenzen sich heute an diesem Punkt des Hauskaufs manifestierten, und die Unsicherheit soll gemildert werden, indem der Vater oder Schwiegervater sein Plazet zum Hauskauf geben, die Bank den Kredit bewilligen soll; die Mutter allerdings schweigt, sie hätte lieber, der „Junge“ würde auf dem elterlichen Grundstück bauen.
Auch wenn es für das Paar ganz realistisch ist, sich und gegebenenfalls den Kindern ein schönes, weitgehend selbstbestimmtes Leben einzurichten, ist es die Bedeutung, die das Haus in diesem Zusammenhang annimmt und die Angst bewirkt; die Ängste vor dem Haus sind eigentlich die vor dem neuen Lebensabschnitt, die auf das Haus verschoben werden. So wird der Hauskauf begleitet von und quittiert mit allen möglichen Angstäquivalenten, Albträumen, Somatisierungen, Schmerzen („Kopfzerbrechen“) und hypochondrischen Phantasien. Auch können uralte ödipale Rivalitätsgefühle aktualisiert werden – etwa: Darf ich ein Haus haben, da doch Vater (damals nach dem Krieg) keines kaufen konnte. Oder: Darf ich ein größeres haben, als Vater sich damals eines leisten konnte. Letztlich sind all diese Symptome Ausdruck einer Regression in alte Ängste und Zweifel, als wäre die Rückwärtsbewegung notwendig, um den großen Schritt vorwärts zu schaffen, wie bei den Naturvölkern, bei denen man innerhalb der Initiation sechs Wochen allein im Urwald verbringen und seine Ängste aushalten muss, um dann reif zu sein für den Wechsel in die Identität des Mannes oder Kriegers. Aber auch in unserer Kultur ist es doch ein Stress: Heiraten, ein Kind zeugen, ein Haus kaufen, und noch dazu vielleicht alles zur gleichen Zeit, bedeuten ganz real Risiko und ein großes Maß an Verantwortung.
Mutterseligkeit
Die Vorstellung des Hauses als Idylle, die ein ideales Leben, Glück, Zufriedenheit, Beschaulichkeit repräsentiert und damit als Sehnsucht nach einer innigen, seligen Mutterverbundenheit verstanden werden kann, hat Robert Walser 1917 in der Erzählung „Der Spaziergang“ nicht ohne Ironie geschildert: „An zwei Häusern, die wie lebendige, gemütliche Nachbarsgestalten nah beieinander im hellen Sonnenlicht lagen, hatte ich große Freude. [...] Kastanienbäume überschatteten das zierliche, gutmütige Haus, das sicher von lieben, netten, freundlichen Leuten bewohnt war. [...] Das zweite Haus oder Häuschen glich in seiner sichtlichen Lieblichkeit [...] einem kindlich schönen Blatt aus einem Bilderbuch, einer süßen Illusion, so reizend und seltsam stellte es sich dar. Die Welt rund um das Häuschen erschien vollkommen gut und schön.“
Eine solche Haus-Idylle steht nicht für Autonomie und Angekommen-Sein, viel eher für rückwärts gewandte Mutter-Sehnsucht. So wird das Haus zur Idylle, wie die Mutter der Romantik, die ihren Kindern mild lächelnd die Brotscheiben vom Laib schneidet. Das Haus kann aber auch in der Phantasie eine starke, schützende Mutterfigur repräsentieren: Die große Künstlerin Louise Bourgeois wurde 1998 in einem Interview gefragt: „Sprechen wir von Ihren Arbeiten, Louise. Ich habe hier ein Werk vor mir mit dem Titel Femme Maison (Frau-Haus). Warum Femme Maison? L.B.: Nun, weil das Haus eine Metapher ist für Refugium, Schutz vor der Angst,
verlassen zu sein.“
Das Haus als Mutterleib
Will man sich ein Bild der psychischen Repräsentanz der Mutter machen, stellt man sich einen weiblichen Körper oder bestimmte Teile von ihm vor, und das Haus kann wiederum die Mutter und den Mutterleib repräsentieren. Und wie die Mutter, ihr Körper und vor allem das Bild, das man sich von ihr macht, ein beträchtliches Maß an Ambivalenz und Ambiguität, Doppeldeutigkeit und Doppelwertigkeit enthält, so stehen wir dem Eigenheim, das uns erfreut, gar beglückt, aber doch auch weite Strecken eine Last ist, höchst ambivalent gegenüber. Wir ersehnen das Haus und fürchten es, es bedeutet uns Freiheit und Autonomie, und doch hält es uns an einem Ort fest, wie die Mutter, die uns in das Leben hinausgibt und uns doch zu umklammern, gar zu verschlingen droht. Das Haus hat viele Bedeutungen, es steht für Unabhängigkeit, Erfolg, Erwachsen-Sein, für ein eigenes, selbstbestimmtes Leben. Es kann aber auch Unfreiheit, Festgelegt-Sein, Abhängigkeit, Fremdbestimmt-Sein, das heißt den psychischen Tod bedeuten. Es gewährleistet Geborgenheit, Schutz, übernimmt geradezu Funktionen von Ich-Grenzen, andererseits bedroht es die Identität und behindert Entwicklung.
Wohl kein Autor hat die Symbolik des Hauses so umfassend dargestellt wie Otto Rank und dabei die Ambiguität der Bedeutungen, die im Haus zusammenfließen, so treffend berücksichtigt, denn der „Grabbau, der sich dann zum Hausbau und schließlich im Tempelbau zur Architektur entwickelt, hat von Anfang an das selbstschöpferische Prinzip zur Grundlage, wie ja auch das Haus selbst, soweit es Nachbildung der schützenden
Mutterhülle gewesen sein mag, doch ein vom Menschen selbst geschaffener Ersatz derselben war. Ersatz aber nicht nur im Sinne der Wiederherstellung des Unerreichbaren [...], sondern auch im Sinne der selbstschöpferischen Tendenz nach Unabhängigkeit von der mütterlichen Bindung, ja geradezu der eigenwilligen Überwindung derselben.“ (Otto Rank: Kunst und Künstler, 1932). Das Grabhaus, das Totenhaus, ist aber nicht die Rückkehr in den Mutterleib, sondern vielmehr der Aufenthalt der Seele nach dem Tod des Körpers. Rank setzt an den allerersten Beginn der menschlichen Kultur also den Glauben an das Weiterleben der Seele oder des Geistes nach dem Tod des Menschen bzw. seines Körpers, sodass der Grabbau dem Hausbau voranging, der Grabbau also als allererstes zivilisatorisches, jedenfalls architektonisches Werk des Menschen angesehen wird. Vorher fand das Leben in Erd- und Felshöhlen statt; die Bewegung ging von der Natur (dem Inneren der Erde) zur Kultur (das Haus wird auf die Oberfläche der Erde gebaut) bis auf die Höhe, der Stätte der Tempel (der alten Griechen), in denen die Götter wohnten. Die Parallele zu ziehen zwischen dem phylogenetischen Verlust der Einbettung in die Natur und dem ontogenetischen des Mutterleibs bzw. der frühen Mutterbeziehung dürfte nicht schwerfallen; in beiden Bereichen bedingen sich der Verlust der Geborgenheit der instinktgesteuerten Existenz als Naturwesen bzw. ontogenetisch der Verlust der mütterlichen, besonders pränatalen Umhüllung und der Gewinn an Freiheit des Willens, der Entscheidung, der kreativen Gestaltung des eigenen
Lebens. Das in die Natur völlig eingebettete Lebewesen macht sich selbstverständlich keine Gedanken über seine Situation, der Mensch aber ist ambivalent in seinem basalen Autonomie-Abhängigkeits-Konflikt: Die ersehnte, verlorene Geborgenheit, die Mutter-Umhüllung, bedeutet ihm ein Festgehalten-Werden, ein Verschlingen gar, während die erwünschte und gewonnene Freiheit auch Gefahr bedeutet und Unsicherheit, sodass Angst und Aggression mit beiden Zuständen verbunden sind.
Haus und Mutterleib sind metaphorische Bilder für eine existentielle Sicherheit, von der man jedoch unbewusst weiß, dass sie im Prinzip immer potenziell in katastrophale Vernichtung oder existentielle Verlassenheit umschlagen kann. Wie eine Mutter immer wieder auch zur Verfolgerin für das Kind werden kann, kann ein Haus auch tatsächlich einmal zusammenstürzen. Die Sehnsucht ist die nach dem Guten, nach der Wiedererlangung paradiesischen Umschlossen- und Gehalten-Seins. Unheimlich aber ist der Ort durch das Grauen, das ein drohendes Verschlingen bewirkt, ein Sog, der individuelles Leben auslöschte, jede Freiheit und Beweglichkeit zunichte machte. Das ersehnte Eigenheim bedeutet Leben, Unabhängigkeit, Selbtgeschaffenes. Aber, so mahnt Thomas Mann, wenn es fertig ist, ist man gebunden, kommt nicht wieder hinaus, wird man in ihm eines Tages begraben – kommt der Tod. Das Unheimliche liegt in der Ambiguität von Geburt und Tod, Leben und Vergehen, Sicherheit und Vernichtung, die im Bild des Mutterleibs enthalten sind – und das Bild des Hauses kann exakt dieselbe Bedeutung annehmen.

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