Bauwelt

Das thermische Problem

Jubiläumsschau der Wilhelm-Wagenfeld-Stiftung in Bremen

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

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Kanne Hotelsilber, WMF, 1956–59, und Ent­wurfsskizze der Kanne, 1957
Abbildung: Wilhelm Wagenfeld Stiftung

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Kanne Hotelsilber, WMF, 1956–59, und Ent­wurfsskizze der Kanne, 1957

Abbildung: Wilhelm Wagenfeld Stiftung


Das thermische Problem

Jubiläumsschau der Wilhelm-Wagenfeld-Stiftung in Bremen

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

Die Wilhelm-Wagenfeld-Stiftung gewährt anlässlich ihres 20-jährigen Bestehens Einblicke in die Arbeitsweise ihres Namensgebers. Für den Produktgestalter Wilhelm Wagenfeld (1900–1990) stand stets der Gebrauchswert eines Alltagsgegenstands im Mittelpunkt der komplexen Formfindungsprozesse.
Nach dem Zweiten Weltkrieg schuf er in äußerst wirkungsvoller Tätigkeit für die Industrie – so für WMF, Rosenthal und Braun – den ästhetischen Code der jungen Bundesrepublik Deutschland.
Eine alltägliche Situation: Die Gastronomie kredenzt ihr klassisches Kännchen Kaffee in schönstem Hotelsilber. Der Henkel des Gefäßes ist allerdings so heiß, dass man ihn nur ungern anfassen mag. Traditionell begegnete man dieser Unbill, indem der Griff an metallischen Kannen aus Holz gefertigt wurde. In der Kombination mit matt schwarzen Ebenholzgriffen schuf das englische Tafelsilber daraus gar eine ganz eigene, aristokratische Produktkultur – nicht gerade pflegeleicht und schon gar nicht geeignet für moderne Spülmaschinen.
Dieser ungelösten Frage nahm sich Wilhelm Wagenfeld an, als er 1949 bei der Württembergischen Metallwarenfabrik (WMF) seine freie Tätigkeit als künstlerischer Leiter der Metall- und Glasproduktion aufnahm. Eine seiner frühen Arbeiten dort ist der Entwurf eines modernen Hotelsilbers: Portionskännchen für Kaffee, Tee und Milch sowie Zuckerdose und ein kleines Tablett, alles ausnahmslos in Metall zur leichten Maschinenreinigung.
Das thermische Problem des sich erhitzenden Kannengriffs löste Wagenfeld, indem er ihn an einen erhöht ausgeformten Bodenring anfügte, aber auf den oberen Anschluss an den Kannenkörper verzichtete. Diese aus dem angenehmen Gebrauch abgeleitete physische Trennung von Volumen und linearem Henkel erneuerte auch gleich den formalen Habitus der Kanne. Sie kam als dezent ausmodellierte konische Elementarform daher, der Deckel beschloss mit lockerem Schwung das einheitliche Ganze. Geöffnet wurde er mit einem kleinen Kraghebel am Scharnier, kein aufgesetzter Deckelknopf störte die reduzierte Gesamtform. Das Ergebnis, das so leicht und selbstverständlich aussieht, bedurfte systematischer Analysen sowie unzähliger Vorstudien mit Temperaturmessungen am Modellgefäß, bis die endgültigen Ausführungszeichnungen und Produktionswerkzeuge standen. Als künstlerisches Labor derartiger Entwicklungsarbeit betrieb Wagenfeld ab 1954 in Stuttgart eine eigene, unabhängige Versuchswerkstatt mit jungen Mitarbeitern.
Neben der Metallformgebung, die Wagenfeld von der Pieke auf bei einer Silberwarenmanufaktur in Bremen und am Bauhaus in Weimar erlernte, sind Porzellan und besonders Glas weitere Materialien, in denen er mustergültige Lösungen erarbeitete. In den 30er Jahren überarbeitete er beispielsweise die damals modernen, jedoch anfälligen Koch- und Back­gefäße der Jenaer Glaswerke. Die Stärke des feuerfesten Glases wurde modifiziert, zudem verringerte er die Materialspannungen, indem er die Griffe als flache Ausweitungen in den Gefäßrand inte-grierte, ein physikalisch wie haptisch sinnfälliges Zusammenspiel. Legendär ist die Arbeit für die Vereinigten Lausitzer Glaswerke ab 1935. Hier brachte Wagenfeld preiswertes Pressglas auf ein technisch wie ästhetisch hohes Niveau, nachdem er die geschmackliche Schulung sowie die Entlohnung der Akkordarbeiter anheben konnte. Die gebrauchstüchtige Industrieform war folglich das Resultat vieler, auch sozialer Einflussfaktoren.
Schmerzlich war die berufliche Enttäuschung, als die WMF 1966 Wilhelm Wagenfeld den Vertrag kündigte. Um Honorare und Lizenzgebühren zu sparen, wurden seine Ideen fortan in Werksadaptionen modifiziert. Postwendend kritisierte er die „Krämerseelen“ bei der WMF und ihren „Schund“. Zwei Jahre vor seinem Tod vermachte er Archiv und Nachlass seiner Heimatstadt Bremen – mit der Auflage, sein Werk nicht zu musealisieren, sondern als kritischen Impuls für die zeitgenössische Produktgestaltung am Leben zu halten.

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