Bauwelt

Der Architekt im Holzfällerhemd

René Burris Le-Corbusier-Porträts im Museum Bellerive

Text: Altemeier, Katharina, Basel

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René Burri, Le Corbusier im Atelier, 1960
Museum für Gestaltung Zürich, Grafiksammlung © René Burri / Magnum Photos

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René Burri, Le Corbusier im Atelier, 1960

Museum für Gestaltung Zürich, Grafiksammlung © René Burri / Magnum Photos


Der Architekt im Holzfällerhemd

René Burris Le-Corbusier-Porträts im Museum Bellerive

Text: Altemeier, Katharina, Basel

Le Corbusier hat nicht gerne Privates von sich preisgegeben; seine Wohnräume waren für die Öffentlichkeit tabu. Für den Magnum-Fotografen René Burri hat er eine Ausnahme gemacht. Über zehn Jahre hinweg konnte der Schweizer ihn immer wieder bei seiner Arbeit begleiten. Entstanden sind eindrucksvolle Foto-Essays, zurzeit zu sehen in einer Ausstellung im Museum Bellerive in Zürich.
Le Corbusier sitzt mit gesenktem Kopf an seinem Schreibtisch. Er ist konzentriert, vollkommen in sich versunken. Und tatsächlich muss er zu dem Zeitpunkt, als dieses Foto entstand, derart in seine Arbeit vertieft gewesen sein, dass er den Fotografen in seinem Pariser Appartement-Atelier gar nicht registrierte. Erst als René Burri seine Leica direkt neben dem Meister auslöste, soll dieser ihn bemerkt und begrüßt haben: „Ah! Vous etes là!“. Burri hatte sich mit Le Corbusier verabredet und fand zu seiner Überraschung die Tür zu dessen Wohnung in der Pariser rue Nungesser-et-Coli offen vor: die Chance für den Fotografen, sich unbemerkt an den arbeitenden Architek­ten heranzupirschen. Über eine Stunde lang konnte sich Burri seinem „Objekt“ peu à peu nähern.
Entstanden ist eine der intimsten Fotosequen­zen, die der Schweizer Magnum-Fotoreporter Ende der 50er Jahre von dem Architekten gemacht hat. Burri hat Le Corbusier in seinem Esszimmer, seinem Wohn- und sogar im Schlafzimmer abgelichtet; sein Augenmerk galt dabei auch skurrilen Details aus dessen „Collection particulière“, etwa einem Ziegelstein, auf dem ein hölzerner Stier thront. Die Serie ist einer der Höhepunkte der Ausstellung „René Burri – Vintage Prints – Le Corbusier“ im Zürcher Museum Bellerive. Die Bilder zeigen Le Corbusier unter anderem im ungewohnten Freizeitlook: karier­tes Holzfällerhemd und Stoffschuhe, nicht wie sonst perfekt gestylt im Anzug, mit Fliege und Einstecktuch. Keines der Motive wirkt inszeniert. Burri nimmt die Position des heimlichen Beobachters ein. Nur auf einem Bild lächelt Corbu direkt in die Kamera – ein wenig zaghaft.
Wie später auch Pablo Picasso, Che Guevara und Fidel Castro muss Le Corbusier schnell erkannt haben, welch ausgeprägtes Gespür für das rechte Verhältnis von Nähe und Distanz die Arbeit von René Burri bestimmte – sonst hätte er ihm kaum solches Vertrauen geschenkt. Der 1933 in Zürich geborene Burri studierte in der berühmten Zürcher Fotoklasse von Hans Finsler, Alfred Willimann und Johannes Itten. Den dort vorherrschenden Prinzipien der Neuen Sachlichkeit setzte er bald seine eigene Bildsprache entgegen, die den Menschen ins Zentrum rückte.
Das führt die Ausstellung nicht nur mit den Aufnahmen aus Le Corbusiers Atelier- und Privaträumen vor Augen, sondern auch mit den Fotos, die Burri etwa vom Kloster La Tourette in Eveux-sur-Arbresle, von der Pilgerkirche Notre-Dame-du-Haut in Ronchamp und der Cité radieuse in Marseille gemacht hat. Die Bilder dokumentieren zum einen den Bauprozess, zum anderen illustrieren sie beispielhaft das Verhältnis von Mensch und Architektur. Mit klassischer Architektur-Fotografie hat das wenig zu tun: Burris Bilder von Le Corbusiers Bauten leben von den abgebildeten Personen. Besonders deutlich wird das auf einem Foto von 1959, das spielende Kinder auf dem Dach der Cité radieuse zeigt.
Am beeindruckendsten aber ist die ebenfalls 1959 entstandene Serie von La Tourette, wo René Burri den Architekten auf die Baustelle begleitete und ihn im Gespräch mit den Dominikanermönchen fotografierte: Le Corbusier in seinem typischen exaltierten Outfit mit Hut, Hornbrille und Fliege, in einem Plan skizzierend, umringt von skeptisch dreinblickenden Mönchen. Diese Bilder berühren vor allem durch die ihnen innewohnende leise Komik – die prominente Baubesprechung steht im Grunde exemplarisch für eine urtypische Situation im Alltag eines Kreativen und spricht Bände über das komplizierte Verhältnis zwischen Bauherr und Architekt.
Die Ausstellung „René Burri – Vintage Prints – Le Corbusier“ ist in doppelter, in architektur- wie in fotohistorischer, Hinsicht sehenswert. Eindringlich dokumentiert sie die Könnerschaft beider Künstler – des einen hinter, des anderen vor der Kamera.
Fakten
Architekten Le Corbusier (1887–1965)
aus Bauwelt 36.2010
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