Bauwelt

Der Ort als Denkmal

Ideen für den Tahrir-Platz in Kairo

Text: Schäfer, Katja, Kairo; Visser, Florentine, Kairo

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1. Preis: Scala Architekten

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Der Ort als Denkmal

Ideen für den Tahrir-Platz in Kairo

Text: Schäfer, Katja, Kairo; Visser, Florentine, Kairo

Es ist keine leichte Aufgabe, Gestaltungsvorschläge für einen öffentlichen Platz zu machen, der die Ideale einer immer noch andauernden Revolution repräsentiert. Dass eine gute Kenntnis des Ortes dabei unerlässlich ist, zeigt ein Ideenwettbewerb für den Tahrir-Platz in Kairo. Die in Kairo lebenden Stadtplanerinnen Katja Schäfer und Florentine Visser haben sich die Ergebnisse näher angesehen.
Für Kairo und auch für andere Städte des Arabischen Frühlings ist der Tahrir-Platz seit dem Frühjahr 2011 wieder ein Symbol der Freiheit. Das war schon einmal so, 1954, als er seinen Namen Tahrir (dt. Befreiung) erhielt, nachdem die Ägypter die Monarchie gestürzt und die Republik ausgerufen hatten. Heute, so sagte uns kürzlich ein Demonstrant, sei der Tahrir-Platz der einzige freie Ort in Ägypten. Weil die Regierung während der Zeit der Demonstrationen das Internet blockiert und die Mobilfunknetze abgeschaltet hatte, war er, einer der wenigen öffentlichen Räume Kairos, zur Bühne und zum Marktplatz geworden, auf dem nicht nur die Protestler neue Ideen erhaschen, sondern auch Straßenhändler ihre Waren anbieten und temporäre Cafés die leiblichen Bedürfnisse befriedigen. Auch kürzlich war Tahrir wieder Treffpunkt für Tausende, die gegen das ihrer Meinung nach milde Urteil für den ehemaligen Präsidenten und andere seiner Garde protestierten.
Um auf die Bedeutung des Platzes aufmerksam zu machen, hatte die Online-Galerie für internationale Wettbewerbe „Icarch“ vergangenes Jahr einen Ideenwettbewerb für seine Neugestaltung ausgerufen. Die Auslobung begann mit den Worten des ägyptischen Schriftstellers Samir Raafat: „Midan at-Tahrir kann nicht still sitzen. Ob er die Stimmungen in der Stadt oder die Leitlinie der politischen Führung widerspiegelt, der wichtigste Platz des Landes hat sich vom falschen Champs de Mars zum stalinistischen Boulevard verwandelt. Wann immer ein neues Regime den Eindruck hat, dass die Hauptstadt neu gestaltet werden muss, beginnt es mit dem Tahrir.“ Dem Aufruf folgten 26 Büros, drei erhielten Preise.
Von ihnen hat es das Büro Openfabric aus Rotterdam (2. Preis) am besten verstanden, die vielen Funktionen des Platzes zu vereinen und abzubilden. Unter dem Motto „Planting Democrazy“ schlagen die Planer einen öffentlichen Garten vor. Er soll den Platz zum Symbol des modernen Ägypten machen. Openfabric reagiert damit nicht nur auf die Kultur und das Klima vor Ort, sondern integriert den Platz auch in das Leben seiner Benutzer. Diese sollen ihn selbstständig bepflanzen und so den Arabischen Frühling sinnbildlich immer wieder zum Blühen bringen. Eine „Verbindung, die über symbolische Geometrien und gestaltete Grenzen hinaus geht“, wobei „der Baum die Einheit und der Garten die Demokratie darstellt, um den man sich kümmern muss“, befand die Jury.
Die Stuttgarter Scala Architekten (1. Preis) wollen einen monumentalen Obelisken aufstellen. LED-Streifen, die ihn wie einen Lautstärkeregler aussehen lassen, sollen die virtuelle Aktivität auf dem Platz sichtbar machen und eine Ausstellung im Inneren soll die Internet-Revolution dokumentieren. Der Vorschlag „übersetzt die Erinnerung in ein städtisches Bild, in der virtuelle Medien mit der realen Welt in Verbindung stehen“, urteilte die Jury. Doch weder sie noch die Stuttgarter Architekten scheinen sich mit der Frage auseinander gesetzt zu haben, welche Rolle der Tahrir in Kairo spielt und wie öffentliche Plätze hier benutzt werden. Stattdessen betonen sie die von der westlichen Welt überbewertete Rolle des Internets für die Revolution. Nicht nur dass dieser Entwurf hohe Wartungskosten anhäufen würde, eine solch mahnende Stele geht auch an den Hoffnungen der Ägypter vorbei, die sich nichts sehnlicher wünschen, als eine Rückkehr in die „Normalität“ einer besseren Zukunft.
Der Vorschlag von Atelier Rang aus Frankfurt am Main (3. Preis) ist noch ein Stück weiter vom wirklichen Leben entfernt. Ein Baldachin aus Licht soll die verschmutzte Luft in Kairo sichtbar machen. Die Jury sieht darin „eine erleuchtende Vorstellung, die Luft, Sonne, Licht und Schatten miteinander vereint“. Leider wäre dies aber nur nachts sichtbar und verfehlt damit vollkommen das 24/7-Business des Platzes.
Auf welcher Grundlage die Jury (vier Architekten aus Mailand, u.a. der italienische Biennalekommissar von 2010 Luca Molinari) entschieden hat, ist nicht nachvollziehbar. Aus Sicht der Stadtplaner in Kairo ist es bedauerlich, dass sie Projekte prämiert hat, deren Verfasser die Chancen, die der Platz für Ägypten bereit hält, kaum reflektiert haben. Gute Ideen könnten als Vorbild für andere öffentliche Räume in der Arabischen Region dienen, sie könnten einen Ort in aufkommenden Demokratien schaffen, wo die Bewohner frei debattieren – genauso, wie es der Arabische Frühling fordert. Die Online-Galerie Icarch aber ist schon längst beim nächsten Thema. Sie sucht Ideen für einen „Neuen Tiananmen-Platz“ in Peking.

Übersetzung aus dem Englischen: Dorothea Külbel

vollständiges Ergebnis:

1. Preis
Jörg Esefeld und Sayman Bostanci, Scala Architekten, Stuttgart
2. Preis
Francesco Garofalo, Openfabric, Rotterdam 
3. Preis
Wolfgang Rang, Atelier Rang, Frankfurt am Main
Fakten
Architekten Jörg Esefeld und Sayman Bostanci, Scala Architekten, Stuttgart; Francesco Garofalo, Openfabric, Rotterdam; Wolfgang Rang, Atelier Rang, Frankfurt am Main
aus Bauwelt 25.2012
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