Der diskrete Charme der deutschen Stadtplanung – sechs Interviews
Deutsche Stadtplanung im Gespräch
Text: Geipel, Kaye, Berlin; Brinkmann, Ulrich, Berlin; Klingbeil, Kirsten, Berlin
Der diskrete Charme der deutschen Stadtplanung – sechs Interviews
Deutsche Stadtplanung im Gespräch
Text: Geipel, Kaye, Berlin; Brinkmann, Ulrich, Berlin; Klingbeil, Kirsten, Berlin
Mit einer gewissen Nostalgie blicken wir heute auf die großen städtebaulichen Transformationen der Nuller-Jahre: Rheinauhafen, HafenCity ... damals, im ökonomischen Stillstand, wirkten diese Projekte wie ein Versprechen. Heute erscheinen sie uns wie Chamäleons der glatten, perfekten Investorenstadt. Wie aber geht es weiter in unseren Städten? Welche Pläne werden in deutschen Planungsstuben gerade auf- und welche bereits wieder abgehängt?
In diesem Heft folgen wir den verantwortlichen Planern aus sechs Städten und zeigen ein ungeschminktes Portrait vom diskreten Charme des Alltags: angefangen in den Großstädten Köln und Stuttgart über die „Autostädte“ Rüsselsheim und Ingolstadt bis zu den Grenzstädten Lörrach und Frankfurt (Oder).
Seit Luis Buñuel Anfang der siebziger Jahre sechs Vertreter der Bourgeoisie während eines Abendessens zu Wort und Tat kommen ließ, redet man gern vom diskreten Charme einer Gruppe, wenn deren erstarrte Verhaltensrituale plötzlich aus den Fugen geraten. In deutschen Planungsbehörden gerät nichts aus den Fugen. Sie stehen aber für ein hochgradig charmeloses Unternehmen, das aus der Perspektive von Architekten, Entwicklern, Bewohnern und Bauherren längst auch jene surrealen Züge angenommen hat, die Buñuel in seinem Film karikierte. Ein besonders plakatives Beispiel ist die Reglementierung von Planungsentscheidungen bis ins kleinste Detail, die jede Dynamik verhindert.
Als in Antwerpen Anfang des Jahres eines der großen Experimente neuartiger Stadtplanung aus politischen Gründen zu Ende ging und der Stadtbaumeister Kristiaan Borret entlassen wurde (Heft 12.14), erhielten wir auch aus deutschen Planungsämtern Zuschriften: Wäre es nicht an der Zeit, auch in Deutschland die Rolle des Stadtbaumeisters genauer zu beleuchten? Die Frage hat uns umgetrieben: Nicht einmal zwei Jahre ist es her, da wurde in der 500.000-Einwohner-Stadt Nürnberg ernsthaft darüber gestritten, ob man auf das Baureferat nicht verzichten könne – ein Amtsleiter ohne politische Mitsprache würde genügen. Engagierte Architekten und mit der Stadtplanung befasste Institutionen haben dies damals verhindert.
Doch die Frage nach der Rolle der Baudezernenten im Spannungsfeld zwischen Stadtentwicklung, Stadtplanung und Stadtgestaltung drängt weiterhin. Wir nehmen uns in diesem Heft dieses Themas an und befragen Verantwortliche der deutschen Planungsämter nach ihren Herausforderungen. Pars pro Toto haben wir sechs Städte herausgegriffen: zwei Großstädte, Köln und Stuttgart, die sowohl auf die plötzliche Nachfrage nach innerstädtischem Wohnungsbau reagieren, als auch die Sanierung und Umgestaltung der maroden Infrastruktur der Nachkriegszeit bewältigen müssen; zwei mittelgroße Städte, Ingolstadt und Rüsselsheim, beides „Autostädte“, beide mit der Frage konfrontiert, ob ein Großunternehmen Mitspieler oder Antagonist der Stadtentwicklung ist; und wir stellen zwei Grenzstädte vor, für die die Zusammenarbeit mit den Nachbarstädten jenseits der Grenze überlebenswichtig geworden ist: Lörrach im Südwesten und Frankfurt (Oder) im Nordosten.
Interessiert haben uns vor allem drei Fragen: Wie reagieren die Städte auf den steigenden Bedarf an Wohnraum im Zentrum und die Folgen des demographischen Wandels? Was sind die Leitprojekte der öffentlichen Hand? Über welche Verfahren gelang es, die Bevölkerung an den Entscheidungen zu beteiligen? Drei Feststellungen zu den folgenden Interviews:
Erstens: das Paradox, an den Standards festzuhalten. Die Bedingungen für den Weiterbau der Stadt sind in den letzten Jahren besser geworden – zumindest in den größeren Städten. Allenthalben werden große Quartiere geplant und umgesetzt. Umso erstaunlicher, dass die Qualität dieser neuen Quartiere mit den Möglichkeiten nicht mithalten kann, egal ob man sich Riedberg in Frankfurt, Hirschgarten in München oder die Bebauung am Gleisdreieck in Berlin ansieht. Wenn man vergleicht, was zur selben Zeit an neuen Quartieren in Wien umgesetzt wird (u.a. am Haupt- oder am Nordbahnhof), wenn man sich die Entwicklung in Kopenhagen vor Augen hält, wo der Brückenschlag nach Malmö zur Entwicklung der „Örestad“ inspiriert hat, oder wenn man nach Bordeaux sieht, wo vorbildliche Wohnquartiere mit integrativen Konzepten entstanden – die deutschen Beispiele vervielfältigen fast immer nur Standard und halten einem Vergleich nicht stand.
Warum, so fragt man sich etwa, macht zum Beispiel Stuttgart, die Stadt mit der höchsten Architektendichte in Deutschland, nur mit mediokren, visionslosen Konzepten von sich reden? Seit fast zwei Jahren hat Stuttgart einen grünen Bürgermeister, aber neue Ansätze sind – so auch das Résumé des Interviews mit dem dortigen Baubürgermeister Matthias Hahn – bisher nicht in Gang gekommen. An anderer Stelle brüsten sich die Marketinginitiativen der für Deutschland so wichtigen Autoindustrie mit neuen Perspektiven für die urbane Mobilität der Zukunft (Heft 24.14), aber das Engagement für neue Konzepte in ihren „hometowns“, egal ob Ingolstadt, Rüsselsheim oder Wolfsburg (Heft 17–18.13), ist bis dato kaum beispielhaft.
Fakt ist, das Pragmatische wird wie eine Flagge hochgehalten. Das Sprechen über die zugrunde liegende Haltung, über das eigene Wertekonzept, wird von den Interviewten lieber vermieden. Die jeweilige Stadtgeschichte samt ihrer Brüche und Kontinuitäten könnte in vielen Fällen Ausgangspunkt für ein solches Wertekonzept sein. Beispiel Lörrach: Der entscheidende Umbau in den beiden letzten Jahrzehnten, weg vom Textilstandort hin zur Grenzstadt mit einer Vielzahl neuer ökonomischer und kultureller Bindungen, gelang auch deshalb, weil die verantwortlichen Stadtplaner die Arbeit ihrer Vorgänger direkt fortführen konnten.
Auch in Köln ist man stolz auf die städtebauliche Tradition von Josef Stübben, Fritz Schumacher, Rudolf Schwarz und Adolf Abel. Aber der Baudezernent Franz-Josef Höing sagt im Interview auch: „Man ist fast betroffen, wenn man sieht, mit welcher Qualität schon vor achtzig oder hundert Jahren Wohnungen gebaut wurden. Diese Qualität erreichen wir heute oft nicht mehr.“ Diese ernüchternde Selbsterkenntnis verweist auf die richtigen Fragen: Warum erreichen wir solche Qualitäten heute nicht mehr? Quartiere wie die Siedlung Rosenhof in Köln-Bickendorf oder Borstei in München liefern vielleicht keine beispielhaften Wohnungstypologien, aber was die Verbindung von öffentlichen und privaten Flächen betrifft, sind sie als Modell für die Gegenwart durchaus geeignet. Auch die genaue Kenntnis der gewachsenen Qualitäten der Nachkriegsstadt kann sinnvolle Lösungsansätze aufzeigen und – wie es die Debatte um die „Ersatzneubauten“ in Köln zeigt – ein differenzierteres und zugleich kraftvolleres Leitbild bieten als die ausgewaschene Blaupause der Europäischen Stadt.
Zweitens: Das Transformations-Potenzial einer Stadt muss beim Namen genannt werden. Dass die Aufgaben für die Stadtplanung komplexer sind als noch vor zwanzig Jahren, hängt mit vielen Faktoren, auch mit größerer Mobilität und Nachhaltigkeit, zusammen. Diese Komplexität dürfte einer der Gründe für die konventionellen Lösungen sein und erklären, warum dort, wo Alternativen hätten probiert werden können (etwa in der Münchner Werkbundsiedlung oder auf dem Tempelhofer Feld in Berlin), alles ins Stocken geraten ist. Dem heutigen Städtebau fehlt jedoch nicht nur jene Kunst „einer neuen Diplomatie“ zwischen den Disziplinen, wie sie Bruno Latour in seinem letzten Buch „Existenzweisen“ einfordert. Im trans- und interdisziplinären Feld des Städtebaus, in dem ökonomische, soziale und kulturelle Hebelkräfte auf die räumliche Form, die ästhetische Gestalt und die urbane Qualität der gebauten Umwelt Einfluss nehmen, braucht es langfristig gedachte Perspektiven von Planern, die sich sowohl der politischen Wirkung ihrer Aufgabe, als auch der vermittelnden Rolle der Gestaltung bewusst sind. Es braucht Dezernenten, die den Mut haben, die einzelnen Projekte in einen größeren Zusammenhang zu stellen. So erzählt etwa der Frankfurter Dezernent Markus Derling, wie er das Konzept einer „europäischen Doppelstadt“ in Nachbarschaft mit Słubice anfangs offensiv vertreten musste, es heute aber ein maßgeblicher Treibsatz für neue Entwicklungen ist.
Drittens: Ohne größeres Engagement für den öffentlichen Raum wird es nicht gehen. Das Primat der Ökonomie hat, gerade was die Bindeglieder der neuen Quartiere untereinander betrifft, in den letzten zwanzig Jahren eine zerstörerische Rolle gespielt. Die Planer haben sich das Zepter aus der Hand nehmen lassen und bekommen es nur mit Mühe wieder zurück. Relative neue Instrumente wie die SoBon in München oder die jüngst in Stuttgart beschlossene SIM gehören dazu. In Zeiten des Nachfragebooms ist es nicht mehr nötig, dass die Städte auf den Immobilienmessen den Investoren hinterherlaufen. Die Gestaltungsmacht liegt dabei weniger in den Bauten selbst – da gilt, was Franz-Josef Höing sagt, „Am Ende des Tages baut die Stadt nicht selbst“ –, sondern in den neu zu konzipierenden Bindegliedern des öffentlichen Raums. Der Zwischenraum wird mehr und mehr zur entscheidenden Verfügungsmasse der transformierten Stadt – wie es etwa die durchaus vorbildlichen Entwurfskonzepte für das Glacisareal in Ingolstadt zeigen.
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