Die 30er Jahre
„Kunst in Italien jenseits des Faschismus“ in Florenz
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
Die 30er Jahre
„Kunst in Italien jenseits des Faschismus“ in Florenz
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
"Die Künste in Italien jenseits des Faschismus" - der Untertitel der Übersichtsschau im Palazzo Strozzi deutet an, dass die Offizialkunst der 30er Jahre nicht im Mittelpunkt steht. Im Gegenteil, der Faschismus bildet gewissermaßen die Leerstelle dieser Ausstellung, um die jedoch alles kreist.
Wer mit der Bahn nach Florenz reist, betritt die Stadt durch eines der vorzüglichsten Bauwerke der Zeit des Faschismus: den Bahnhof Santa Maria Novella, benannt nach der nahe gelegenen Dominikanerkirche und entworfen 1932 von der „Gruppo toscano“ um Giovanni Michelucci. Der wurde später ein enger Mitarbeiter des zum inoffiziellen Staatsarchitekten aufgestiegenen Marcello Piacentini in Rom; der Florentiner Bahnhof indessen mit seinem asymmetrisch angeordneten, glasüberdachten Eingang und der ebenso glasgedeckten Vorhalle der Bahnsteige ist ein Werk aus dem Geist der Architekturmoderne.
Doch in Florenz ist unter dem Faschismus viel mehr gebaut worden, als mit dem Namen der Stadt in Verbindung gebracht wird. So wurde die Krypta unter der Basilika von Santa Croce 1934 zum Bestattungsort faschistischer „Märtyrer“ umgestaltet, dem bald darauf ein Andachtsraum für 3672 Gefallene des Ersten Weltkriegs folgte. Der ist bis heute unverändert, aber der Öffentlichkeit versperrt. 1938 kam Hitler auf Staatsbesuch nach Italien, nicht nach Rom, sondern nach Florenz, das zu diesem Anlass bis zum letzten, an der Bahnstrecke gelegenen Haus und Hühnerstall herausgeputzt wurde. Vom Besuch des „Führers“ weiß niemand mehr.
Vergessen und verdrängen kennzeichnet den Umgang Italiens mit seiner faschistischen Vergangenheit nach 1945, stattdessen wurde der Mythos von der „Resistenza“ gepflegt. Darauf hinzuweisen, dass die kulturelle Produktion unter Mussolini ebenso allgegenwärtig wie bei der breiten Mehrheit beliebt war, löst heute keine Debatte mehr aus, wie noch 1982, als die Mailänder Ausstellung „Die dreißiger Jahre. Kunst und Kultur in Italien“ ein kulturhistorisches Panorama auffächerte, das von Architektur bis Film, von Design bis Comics reichte. Das Thema der jetzt im Palazzo Strozzi gezeigten Übersicht „Die dreißiger Jahre“ ist wesentlich enger gesteckt. Der Untertitel „Die Künste in Italien jenseits des Faschismus“ deutet an, dass die Offizialkunst nicht im Mittelpunkt steht. Im Gegenteil, der Faschismus bildet gewissermaßen die Leerstelle dieser Ausstellung, um die jedoch alles kreist. Denn die unterschiedlichen und teils völlig verfeindeten Strömungen und Gruppierungen, seien sie futuristisch, neokonservativ, realistisch oder abstrakt, rangen um die Gunst des Regimes, um Preise und Aufträge. Und vorzugsweise beriefen sich die Künstler, zumal jene aus Florenz, auf die Tradition, auf toskanische Frührenaissance, auf Wandmalerei, auf „ewige“ Sujets wie Familie oder Ackerbau.
Gewiss überrascht der Pluralismus der Stile. Für die Modernen gab es den „Premio Bergamo“, für die Stockkonservativen den „Premio Cremona“, verbunden mit Preisgeld und Ausstellung. Es gab die Biennale von Venedig, die Triennale in Mailand und die Quadriennale in Rom. Erst unter dem wachsenden Einfluss des Nazi-Regimes wurde die Lage ungemütlich. 1938 führte Mussolini „Rassengesetze“ ein; in der Folge wurde die künstlerische Avantgarde als „ausländisch, bolschewistisch, jüdisch“ diffamiert, wie eine einflussreiche römische Zeitung schrieb, die in der Ausstellung als eines der ganz wenigen Dokumente gezeigt wird. Die italienischen Künstler indes hielten unbeirrt an ihrem allseits akzeptablen Traditionalismus fest, während der Futurismus, der sich in den 20er Jahren für Mussolini begeistert hatte, schlichtweg vertrocknete. Junge Künstler traten auf, und das ist vielleicht der interessanteste Aspekt dieser Ausstellung, über der eine merkwürdig melancholische Stimmung liegt, das glatte Gegenteil der vom Regime unablässig propagierten Dynamik: Die Heroen der Nachkriegskunst, wie Marini, Manzù, Fontana oder der kommunistische Bannerträger des Realismus, Renato Guttuso, hatten allesamt bereits unter dem Regime gearbeitet und nach dessen Regeln ausgestellt. Das bedeutet nicht, dass sie faschistische Kunst produziert hätten; sondern eher, dass es genau das eben nicht gab, eine ideologisch definierte und vorgeschriebene Stilistik.
Anders in der Architektur, wie sich ab den späten 30er Jahren zeigte; aber die ist eben nicht Teil dieser Ausstellung. Man muss sie in Florenz erwandern, wie die „Luftkriegsschule“ am Stadtrand. Sie blieb, außen wie innen, seit ihrer Eröffnung im Jahr 1938 unverändert, samt den Wandgemälden und den schweren Sesseln im Offizierskasino.
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