Bauwelt

Die Ästhetik der Beschränkung

Einfaches Bauen auf hohem Niveau im DAZ in Berlin

Text: Lemke, Johannes, Berlin

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Foto: Schnepp Renou

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Die Ästhetik der Beschränkung

Einfaches Bauen auf hohem Niveau im DAZ in Berlin

Text: Lemke, Johannes, Berlin

Finanzkrisen, Naturkatastrophen, Kriege – das sind nur einige Beispiele für Ereignisse, die finanzielle und materielle Mittel beschränken und zugleich den Bedarf an erschwinglichem Raum für Wohnen, Arbeiten oder Kultur steigern. Kann gute Architektur auch mit minimalem Budget entstehen?
Der Bielefelder Kunstverein beantwortet diese Frage mit Ja. In seiner Wanderausstellung „Neue Bescheidenheit“, die zurzeit im Berliner DAZ zu sehen ist, präsentiert der Verein anhand von Projekten aus Chile, Thailand, Indien, Norwegen und Deutschland Ansätze und Arbeitsweisen, wie mit großem Einsatz und geringen Mitteln viel entstehen kann. Der erste Blick in die Schau vermittelt eine improvisierte, fast studentische Atmosphäre. OSB-Platten als vermeintlich billiges Material für die Ausstellungsmöbel sollen mit ihrer rohen Anmutung das Konzept „Einfachheit“ transportieren; dass es sich um ein hochgradig industrielles Material handelt, sei einmal dahingestellt.
Das Modell einer Schutzhütte im Maßstab 1:1 von Anupama Kundoo dominiert den Ausstellungsraum. Die indische Architektin forscht an neuen, einfachen Bauweisen und Materialien. Ein Film gibt Einblick in ihre Arbeit mit „Ferrozement“, Maschendraht und Zement, in Verbindung mit einer sich selbst aussteifenden Konstruktion nach dem Origami-Prinzip.
a.gor.a architects aus Thailand stellen temporäre Bauten vor. Die Dächer ihrer Schlafsäle für die Mae Tao Klinik im thailändischen Mae Sot sind mit Eukalyptusblättern gedeckt. Ein noch einfacherer und nachhaltigerer Baustoff wird sich in der Ausstellung schwerlich finden lassen.
Die etwas spartanisch dokumentierten Beiträge von Elemental bringen die Ebene von Politik und Stadtplanung in die Ausstellung. Die chilenischen Architekten haben ein partizipatives Bausystem für sozialen Wohnungsbau entwickelt. Den künftigen Bewohnern werden „halbierte“ Häuser im Rohbau übergeben, nur Bad und Küche sind fertig ausgebaut. Für die zweite Hälfte des Hauses ist dann nur noch das konstruktive Gerüst vorgegeben. Mit ihrem „halben“ Haus als Sicherheit ist es den Eigentümern möglich, bei einer Bank Geld für den weiteren Ausbau in Eigenregie zu leihen. Durch die Eigenleistung steigt der Wert der Gebäude und dient den Haus­besitzern als Grundlage für einen bescheidenen Wohlstand. Die Architekten haben diesen Ansatz bestän-dig weiterentwickelt und in unterschiedlicher Ausprägung in einer ganzen Reihe von Projekten angewendet Bauwelt 35.13.
Der Sprung nach Europa
Eindrücklich sind die Zeitrafferfilme von Bauprozessen der Gebäude von TYIN Tegnestue Architects in Thailand und Indonesien. Fußböden werden ohne Betonpumpe und Rüttler „per Hand“ betoniert, Holz­paletten dienen als Leiter. Hier zeigt sich ein gravierender Unterschied zum Bauen mit großem Budget. Menschliche Arbeitskraft ist billig, Maschinen sind kaum vorhanden, von europäischen Normen ganz zu schweigen. Schon als Studenten haben TYIN Bauten in Asien realisiert. Finanziert haben sie die Projekte mit Spenden aus ihrem Heimatland Norwegen. Auf den Baustellen arbeiteten sie mit Kommilitonen und lokalen Handwerken zusammen. Ihre Projekte beweisen einen enormen Gestaltungswillen. Dass „bescheidenes“ Bauen auch die Rücknahme des Entwurfs hinter die Bedürfnisse des Nutzers und Ortes meint, erscheint hier nicht als Widerspruch. Gerade weil sich die Gestaltung der Bauten vor allem aus (extremen) klimatischen Anforderungen ergeben hat, fügen sie sich selbstverständlich in die Umgebung ein und haben gleichzeitig eine große ästhetische Kraft. TYIN versuchten ihr Prinzip des einfachen Bauens, dass nämlich ein Problem immer auch die Lösung beinhalt, auch in Norwegen zu befolgen.
Doch offenbart sich dort, wo die „Bescheidenheit“ den Sprung nach Europa unternimmt, das Problem der unterschiedlichen Maßstäbe. Wo es bei Elemental, a.gor.a und TYIN um die Befriedigung des Grundbedürfnisses nach erschwinglichem Wohn- und Nutzraum ging und der Präsentationsstil eher dokumentarisch ist, wird bei den vorgestellten Bei­trägen von Brandlhuber+ oftmals Kunst daraus. Auch hier, wie etwa beim Projekt „Antivilla“, ist mit ein­fachen Mitteln neuer Raum geschaffen worden, die unmittelbare Notwendigkeit ist aber eher akade­mischer Natur. Über diese Diskrepanz kann man enttäuscht sein, aufgrund der vollkommen unterschied­lichen sozialen Bedingungen an verschiedenen Orten der Welt scheint es aber konsequent, das Thema derart weiterzudenken. Eher akademisch ist auch der Wunsch nach einer Folgeausstellung in einigen Jahren, in der sich zeigen würde, ob die Projekte von Bestand sind oder, was wünschenswert wäre, sogar Schule gemacht haben.

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