„Die Architekten haben uns auf dem Weg mitgenommen“
Der Familienunternehmer
Text: Friedrich, Jan, Berlin
„Die Architekten haben uns auf dem Weg mitgenommen“
Der Familienunternehmer
Text: Friedrich, Jan, Berlin
Der klassische Bauherr ist dort noch zu finden: in mittelständischen, familiengeführten Unternehmen, wenn es an den Bau eines neuen Firmensitzes geht. Marc Brunner, Möbelhersteller in zweiter Generation, über das Abenteuer Architektur.
Die Schweizer Sedorama AG ist eine Tochterfirma des Möbelherstellers Brunner GmbH aus dem badischen Rheinau. Sedorama vertreibt die Tische und Sitzmöbel von Brunner in der Schweiz. Die Muttergesellschaft stellt seit einigen Jah-ren den Designaspekt ihrer Produkte stärker in den Vordergrund – da passte der Hauptsitz der Tochter in einem alten Bauernhaus nicht mehr recht ins Bild. Mit den Zürcher Architekten EM2N hat die Firma in einem Gewerbegebiet in Schönbühl bei Bern neu gebaut. Die Firmenzentrale mit Büros für die 20 Mitarbeiter, Lagerflächen und einem Showroom steht direkt an der Autobahn; der Balanceakt zwischen Werbewirksamkeit und Angemessenheit ist EM2N nach bester Schweizer Manier gelungen.
Die Architekten präsentieren das erste Mal ihren Entwurf — für den Bauherrn muss das ungeheuer ...
Marc Brunner | ... das ist natürlich ein großer Augenblick! Man bekommt endlich etwas Konkretes zu sehen, worüber man diskutieren kann. Und man spürt sofort, ob es stimmt. Wir kennen das von unseren eigenen Produktentwicklungen, manchmal weiß man gleich: Es passt gar nicht. Oder: Es ist okay, das könnte was werden. Und es gibt dieses Gefühl: Das ist es! Wenn das geschieht, dann entsteht die Identifikation mit dem Projekt. Und das war hier im Laufe der Zusammenarbeit mehrmals der Fall.
Das Verhältnis Bauherr – Architekt ist oft schwierig. Woran hat es gelegen, dass das bei Ihnen gut lief?
Eine große Rolle hat gespielt: Die Architekten haben uns von Anfang an auf dem Weg mitgenommen. Im Entwurfsprozess, aber auch später bei der Frage: Welche technische Lösung nehmen wir, welche technische Lösung hat welche Kostenimplikation? Wir sind nie, naja, ganz selten, vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Dann fällt es natürlich leichter, dem Architekten zu vertrauen. Man muss ihm ja vertrauen, dass er für einen mitdenkt. Dass er vorausdenkt, etwa: Wie kann sich dieses Haus, das ich hier entwerfe, wandeln, wenn sich die Anforderungen beim Bauherrn verändern. Und man muss ihm auch vertrauen, dass er vor allem in unserem Interesse handelt. Dass er zum Beispiel keine Architektur plant, mit der er sich selbst zwar toll präsentieren kann, die aber für den Bauherrn wenig brauchbar ist.
Die Architekten haben Sie „von Anfang an mitgenommen“, haben Sie gesagt. Wie kann man sich das genau vorstellen?
EM2N arbeiten im Entwurfsprozess mit vielen Varianten. Für die Kubatur des Gebäudes zum Beispiel, da haben sie uns wohl 30 verschiedene Styropormodelle gezeigt. Sie sagten: „Wir haben das alles ausprobiert, aber wir finden, das hier ist das Richtige und zwar aus den und den Gründen. Seid ihr mit unserer Wahl einverstanden?“ Da fiel es uns leicht, die Entscheidungen mitzudenken und dann Ja zu sagen. Uns ist dieses Vorgehen aus dem Produktdesign durchaus bekannt. Wenn wir mit Designern an der Entwicklung von Produkten arbeiten, kommen wir häufig durch einen Trial-and-error-Prozess zur perfekten Lösung.
Wichtige Entscheidungen über einen Neubau sind getroffen, bevor der Architekt an Bord kommt: Wo bauen wir, zum Beispiel, oder: Bauen wir überhaupt? Wie kam es zu der Entscheidung für den Sedorama-Neubau in Schönbühl?
Sedorama besteht seit 35 Jahren und hatte seinen Hauptsitz mit Verwaltung und Ausstellung im Berner Ortsteil Ostermundigen – in einem traditionellen Schweizer Bauernhaus. Dieser Auftritt passte nicht mehr zu dem Bild, das wir selbst vom Unternehmen hatten, und dazu, wohin sich die Muttergesellschaft Brunner entwickelt hat. Sedorama sollte also ein neues Zuhause bekommen. Es gibt dann zwei Möglichkeiten: Entweder man baut etwas, oder man mietet. Geeignete Mietobjekte zu finden, ist schwierig in Bern und Umgebung. Und ein Mietobjekt bietet nur in den seltensten Fällen diese Identitätsstiftung, die wir wollten. Wir haben deswegen entschieden: Wir bauen ein sehr spezifisches Gebäude für Sedorama, eine spezifische Lösung für das Unternehmen in der jetzigen Konstellation – und projiziert in die Zukunft. Danach sind wir auf Grundstückssuche gegangen. Und auch das ist ungeheuer schwer in der Schweiz, überhaupt bebaubare Grundstücke zu finden, und das noch zu einem einigermaßen bezahlbaren Preis. Wir haben über zwei Jahre gesucht und schließlich in Schönbühl dieses Grundstück direkt an der Autobahn gefunden. Dann haben wir grob überschlagen, was wir an Flächen brauchen. Es gibt drei Funktionsbereiche in dem Gebäude: Ausstellung, Büroflächen und ein Umschlaglager. Dort werden unsere Produkte aus Deutschland angeliefert, auf andere Fahrzeuge umgeladen und in der Schweiz verteilt. Beim Raumprogramm sind wir von bestehenden Flächen ausgegangen und haben das ein Stück weit extrapoliert. Allerdings mussten wir das im Laufe des Projekts, ich sage mal, etwas massieren, damit alles im Kostenrahmen hinhaut und in sich rund wird.
Wie sind Sie auf die Architekten EM2N gekommen? Das Klischee vom mittelständischen Bauherrn besagt, dass er den Architekten aus dem Golfclub kennt ...
(lacht) So war das hier nicht. Zunächst stand die Entscheidung: Sedorama ist ein Schweizer Unternehmen, am Schweizer Markt positioniert, mit einer Schweizer Mannschaft – wir wollen Schweizer Architekten haben. Ein befreundeter Designer hat mir einige Namen genannt, Büros unterschiedlicher Größe. Anschließend haben meine Geschwister und ich – wir sind gemeinsam die Bauherren des Gebäudes –
all diese Büros besucht.
all diese Büros besucht.
Was gab den Ausschlag für EM2N?
Bei EM2N – sie haben ihr Büro in einem ehemaligen Finanzamt im kreativen Viertel Zürichs hinter dem Bahnhof – hat uns sofort die Atmosphäre gefallen, der spirit, der dort herrscht. Es ist nicht alles auf Hochglanz poliert, sondern überall hängen Pläne, stehen Modelle, sind Leute am Arbeiten – da läuft was. Und die beiden Chefs, Matthias Müller und Daniel Niggli, haben genau zugehört. Das Projekt ist klein für ein Büro dieser Größenordnung mit, ich schätze, 70 Mitarbeitern. Doch sie sagten: „Euer Projekt finden wir interessant, denn wir wissen, wir haben einen Ansprechpartner, der entscheiden kann. Und die Aufgabe ist spannend.“ Mir war wichtig, dass die beiden selbst im Entwurf – an den entscheidenden Punkten zumindest – mit dabei sind.
Warum haben Sie keinen Wettbewerb ausgelobt? So hätten Sie nicht die Architekten, sondern ein bestimmtes Konzept, das am besten zu Ihnen passt, auswählen können.
Aus Bauherrensicht klingt das natürlich sexy, wenn man sagt: „Wir machen einen Architekturwettbewerb und laden X Büros ein.“ Aber nach unserer Auffassung funktioniert das so nicht: Dass man Architektur beauftragt und sich wie in einem Schönheitswettbewerb für diese, jene oder einen andere entscheidet. Der Entwurf, die technische Lösung, die Umsetzung im Detail, die Kosten, das ist ein iterativer Prozess, der im Dialog stattfinden muss – und der lässt sich nicht einfach über einen Wettbewerb generieren. Man hätte höchstens mit, sagen wir, drei Büros diesen Prozess parallel bis zu einem bestimmten Punkt führen können und sich dann erst entscheiden. Aber das wäre schon aus Zeitgründen nicht gegangen.
Sie hätten auch, wie es manche Ihrer Wettbewerber gemacht haben, einen der ganz großen Stars beauftragen können, der die größte Aufmerksamkeit garantiert.
Der große Name verspricht ja nicht unbedingt das hochwertigste Produkt; nicht jedes Werk eines Meisters ist ein Meisterwerk. Das ist bei Architekten ähnlich wie bei Produktdesignern. Brunner ist auch kein Unternehmen, das sich Stardesigner sucht und sagt: „Entwickle uns einen Stuhl, wir wollen vor allem deinen Namen unten drauf stempeln.“ Nein: Wir wollen Designs haben, sei es in der Architektur, sei es bei Showrooms, sei es bei Produktgruppen, die ein konsistentes Ganzes ergeben: Nämlich außer einer hohen Ästhetik einen intelligenten Umgang mit dem Material, mit dem Budget, mit Ressourcen im Allgemeinen. Und das können wir besser mit Gestaltern erreichen, die dialogfähig sind.
Je bekannter der Gestalter, desto weniger dialogfähig ist er?
Bei Designern haben wir das gelegentlich erfahren: Hat jemand, was seine Außenwirkung betrifft, ein bestimmtes Niveau erreicht, ist das manchmal mit einem enormen Ego unterlegt. Die Leute sind dann wenig willens, von anderen ihre Entwürfe hinterfragen zu lassen. In eine solche Situation wollten wir uns beim Sedorama-Gebäude gar nicht begeben.
Ist heute, wo sich alles ins Virtuelle zu verlagern scheint, der architektonische Auftritt eines Unternehmens überhaupt noch so wichtig?
Architektur ist wichtig. Letztendlich sind wir Menschen, trotz aller Digitalisierung, Wesen im Raum. Und der von Menschen gebaute Raum hat einen enormen Einfluss darauf, wie Menschen empfinden. Ich bin davon überzeugt, dass gute Architektur auch zu einem besseren Leben führt. Und warum ist Architektur für Brunner und Sedorama wichtig? Wenn man es ernst damit meint, sein Unternehmen Richtung Architektur und Design zu orientieren, muss man selber auch in guter Architektur zuhause sein, sonst ist man nicht glaubhaft. Und deshalb legen wir bei unserer Corporate Architecture – das ist der Hauptsitz des Unternehmens, das sind Messeauftritte und Showrooms – Wert darauf, dass das gute Architektur ist. Dann können wir dem Architekten, der für uns eine entscheidende Zielgruppe ist – denn er ist es häufig, der entscheidet, welche Möbel eingesetzt werden – dann können wir ihm auf Augenhöhe begegnen.
Das neue Gebäude ist jetzt gut drei Monate in Betrieb. Mit diesem zeitlichen Abstand betrachtet – sind Sie immer noch zufrieden?
Auf jeden Fall. Und das Haus kommt vor allen Dingen bei unseren Kunden gut an, die uns dort nun ganz anders wahrnehmen. Das Gebäude soll ja Teil der Identität des Unternehmens werden, soll seine Identität mitprägen. Und ich habe das Gefühl, dass wir mit diesem Gebäude, das ikonografisch und gleichzeitig glaubhaft ist, den Nagel auf den Kopf getroffen haben.
0 Kommentare