Bauwelt

Die Audi-Strategie

Stadt und Auto

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

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Abbildung (Ausschnitt): Jürgen Mayer H. Architects, Audi AG

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Abbildungen: Jürgen Mayer H. Architects, Audi AG

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Foto: Bosch

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Die Audi-Strategie

Stadt und Auto

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

Wie werden wir uns im Jahr 2030 in der Stadt fortbewegen? Mit Blick auf die inzwischen rasante Entwicklung der Elektromobilität und einer sich wandelnden Einstellung der jungen Generation zum Auto sind die Konzerne gefordert, sich auch in der Außendarstellung neuen Ideen zu öffnen. Audi lädt nun schon zum dritten Mal im Rahmen eines Wettbewerbs interdisziplinäre Teams ein, um effektvoll urbane Zukunftsszenarien zu entwickeln. Im Mittelpunkt steht das „intelligente Auto“
Die Entwicklung der Elektromobilität ist nicht aufzuhalten. In deutschen Großstädten wie Berlin, Hamburg, Frankfurt am Main oder München gehören Ladestationen fürs Auto inzwischen zum Alltagsbild. Immer mehr Unternehmen statten sich, da steuerlich begünstigt, mit Elektro- oder Hybrid-Fahrzeugen aus. Allerdings finden die Autokonzerne mit der neuen Technologie bisher vor allem bei Großstädtern Anklang. Die mobilen City-Bewohner, die oft spontan und für kurze Strecken ein Auto brauchen, stört es wenig, wenn ein Elektroauto nur eine geringere Reichweite hat. Die Millionen Berufspendler aus den Vorstädten und die Vielfahrer auf den Fernstraßen dagegen tangieren Entwicklungen der Elektromobilität kaum. Für sie sind andere Verkehrskonzepte wichtig: ein optimal organisiertes System von Fahrgemeinschaften und der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Grundsätzlich ändert sich am Mobilitätsverhalten auf dem Land und in Kleinstädten daher wenig. Hier bleibt das eigene Auto essentiell – und der Spritpreis ein zentrales Thema.
Dennoch, oder gerade deswegen, planen Autokonzerne bereits für die Zeit nach den Benzinmotoren. Mercedes Benz baut den e-Smart, VW den e-UP und BMW investiert Milliarden in sein Elektroauto i3, das sich allerdings bisher in den USA drei Mal häufiger verkauft als in Deutschland. Überhaupt sind in den USA und in Japan mehr E-Mobile auf den Straßen unterwegs als in Europa. Der Hersteller Audi setzt vor allem auf Hybridfahrzeuge, bei denen ein Benzinmotor ab einer bestimmten Geschwindigkeit einsetzt und den Elektromotor auflädt. Dabei klotzt der Konzern noch kräftig mit der Produktion herkömmlicher Autos. Die Zahlen des zu Volkswagen gehörenden Unternehmens stimmen – global betrachtet nimmt sein Verkauf an Autos stetig zu. Im letzten Jahr lag der Gewinn bei über fünf Milliarden Euro. Sorgen muss man sich also nicht machen.
Die Stadt verschwindet
Wie andere Automobilkonzerne auch, hat Audi jedoch verstanden, dass es nicht reicht, nur die Entwicklung der Hybrid- und Elektrotechnik voranzutreiben. In westlichen Ländern sind Strategien gefragt, den sinkenden Verkaufszahlen von Neuwagen entgegenzuwirken. Audi versucht mit dem seit 2010 groß angelegten Preis „Audi Urban Future Award“ das Auto gerade beim jüngeren, urbanen Publikum attraktiv zu halten. Das Unternehmen flankiert mit der Kampagne die technischen Entwicklungen. Werbewirksame Visionen zeigen, wie Stadt und Auto weiterhin eine gemeinsame Zukunft haben könnten. Beim ersten Urban Future Award sollten die eingeladenen Teams Mobilitätsszenarien dafür entwickeln, wie wir uns im Jahr 2030 „individuell“ fortbewegen werden. Der Wettbewerb findet alle zwei Jahre statt und ist sehr international ausgerichtet. Nicht ohne Grund: China ist für Audi seit Jahren der größte Absatzmarkt, und die Produktion verlagert sich kontinuierlich ins Ausland.
Vor vier Jahren gewann Jürgen Mayer H. den mit 100.000 Euro dotierten Preis. Er überzeugte die Jury mit Visualisierungen, die die vom Konzern betriebenen Forschungen zum Self-Driving zeigten – dem selbstgesteuerten Fahren, bei dem den Insassen möglichst wenig abverlangt wird, ähnlich Googles berühmtem „Driverless Car“. Der Berliner Architekt hatte mit seiner Fähigkeit, konzeptionelle Ideen bildstark zu inszenieren, damals ein relativ leichtes Spiel. In seiner „Pokeville“ sind die Fahrzeuge der Zukunft programmierbare Hightech-Maschinen, die Verkehrsschilder und Ampeln überflüssig werden lassen. Sie verfügen über Monitoring-Technologien, „die die Stadt und ihre Bewohner in einen Datenstrom verwandeln und so die Grenzen zwischen Körper, Autos und Architektur auflösen“. Die Fahrt zu steuern, helfen Info-Screens in der Windschutzscheibe. Sie enthalten zusätzliche Angaben zu einer vollständig digitalisierten Umwelt, die in einem Meer aus Zahlen- und Algorithmen regelrecht versinkt. „Der Entwurf dreht unsere Sicht auf die Stadt komplett um“, sagte der Kurator des Audi-Awards Christian Gärtner von der Frankfurter Designplattform Stylepark damals (Bauwelt 37.2010). Das Auto werde von der „Sichtmaschine“ zum „Wahrnehmungs­vehikel“, in dem das Stadtbild nicht allein von der gebauten-analogen Realität bestimmt wird, sondern von einer individuell programmierbaren Wahrnehmung durch die Fensterscheiben: Man sieht nicht mehr, was ist, sondern was man sehen will.
Auto in „fremden“ Händen
Beim zweiten Audi Urban Future Award 2012 entwarfen die Preisträger etwas näher an der Realität und konzentrierten sich vor allem auf die Kombination verschiedener Transportmittel in Großstadtregionen. Den Preis erhielt das US-amerikanische Team Höweler Yoon Architecture, das sich mit der von Pendlern geprägten Region Boswash (Boston bis Washington) befasst hatte. Sie entwickelten „Shareway 2030“, eine Mobilitätsplattform und ein Betriebssystem, mit deren Hilfe das Zusammenspiel verschiedener Mobilitätsformen in der Region verbessert und der Highway zu einem reibungslos fließenden, multimodalen Verkehrssystem perfektioniert werden sollen. Das individuelle Fahrzeug behält in dieser Vision unangefochten seinen Platz. Darüber hinaus schlugen Höweler Yoon auch neue Wohnkonzepte vor, in denen Pendler unter der Arbeitswoche in der Stadt in Unterkünften blieben – was große Auswirkungen auf deren Sozial- und Familienleben hätte. Zhang Ke von Standardarchitecture aus Peking, der ebenfalls eingeladen war, entwarf die Autobahn als einen gigantischen, vollautomatisch elektrisch betriebenen „Gürtel“, auf den die Autos auffahren, sich einklinken und dort dann mit vorgegebenem Ziel mitgeführt werden. Für die von der Steuerung befreiten Insassen dient das Auto während der Fahrt als Arbeitsstätte oder Ruhezone.
Solche Zukunftsszenarien, an denen zahlreiche Autokonzerne und Institute bereits forschen, sorgen bei vielen Menschen jedoch noch für Verwunderung und Unbehagen. Der Fahrer gibt sich und sein Auto in „fremde“ Hände, das „intelligente Auto“ wird zum Bestandteil eines vollständig durchorganisierten digitalen Lebens. Die Entwicklungen würden für Pendler und Vielfahrer sicherlich eine Erleichterung darstellen, sie verlangen ihnen aber auch eine genaue Planung und Durchtaktung seines Alltags ab.
Beim diesjährigen, noch nicht abgeschlossenen Award sollen in den eingeladenen Teams neben Stadtplanern und Mobilitätsexperten auch Naturwissenschaftler, Ethnographen und IT-Spezialisten Konzepte für vier Metropolen entwickeln: Berlin, Boston, Mexiko-Stadt und Seoul.
Von Ameisen lernen
Bei einer ersten Präsentation im Mai dieses Jahres blieben die Projekte jedoch noch vage. Allerdings zeigte sich schon, dass die Vorschläge sich noch mehr der Wirklichkeit – und damit der Chance auf Realisierung annähern. So ging es beim Wettbewerbsstandort Berlin um das Tegeler Flughafengelände, das als Experimentierfeld für Mobilitätsformen der Zukunft entworfen werden sollte. Tatsächlich plant der Berliner Senat hier bereits, nach der Stilllegung eine „TXL – The Urban Tech Republic“ zu bauen, einen Forschungs- und Industriepark auf rund 450 Hektar Fläche mit 15.000 Arbeitsplätzen und einem neuen Standort der Berliner Beuth-Hochschule mit 5000 Studenten.
Obwohl wegen des BER-Debakels in Schönefeld noch immer nicht abzusehen ist, wann der Flughafen Tegel schließen wird, könnte das Areal durchaus dafür dienen, Verkehrsideen auch im Kleinen durchzuspielen. Das Team aus Max Schwitalla (Architekt), Paul Friedli (Schindler AG) und Arndt Pechstein (Neurowissenschaftler) will hier neue Mobilitätsformen erproben, die auch eine andere Verkehrsanbindung des Quartiers nach dem Ende der Flughafennutzung einschließen. Anregungen dafür bekamen sie aus Studien über das Verhalten von Ameisen. Details werden aber erst bei der Abschlusspräsentation im Oktober zu sehen sein.
Die Strategie hinter Preisen wie dem Audi Urban Future Award ist klar. Die Autoindustrie reagiert auf Tendenzen weg vom Autobesitz, hin zum öffentlichen Nahverkehr, zum Car Sharing und zum Fahrrad. Für die junge Generation in den Städten steht die Anschaffung eines Autos nicht mehr im Vordergrund – selbst dann nicht, wenn sie irgendwann mehr verdient und eine Familie gründet. In dieser Phase wurde sonst der erste Neuwagen angeschafft. Die Unternehmen versuchen heute, an die durchs Digitale, durch Internet und Smartphone geprägte Realität einer jungen urbanen Klientel anzudocken.
Wenn das Auto nicht mehr das Hauptverkehrsmittel ist, soll es durch die Verzahnung der verschiedenen Mobilitätsformen wenigstens ein Teil des Alltags der Menschen bleiben. Die Kommunikations- und damit auch Marketingstrategie der Unternehmen geht eindeutig in diese Richtung: Audi präsentiert sich als ein Konzern, der den Tendenzen in der Gesellschaft offen gegenüber steht, das Gespräch sucht, auf neue Ideen eingeht und – wie immer betont wird – diese auch intern in die verschiedenen Entwicklungs- und Kommunikationsabteilungen einbindet.
Auch andere Autokonzerne haben sich längst auf die Situation eingelassen, die vor zehn Jahren noch kaum erkennbar. Alle suchen mit werbewirksamen, interdisziplinären Aktionen den Dialog. Berühmtes und in Berlin kritisch diskutiertes Beispiel: das Guggenheim-Lab von 2012, ein mobiler Ausstellungs- und Experimentierraum für die Stadt der Zukunft und der Gegenwart, finanziert von BMW und der Solomon R. Guggenheim Foundation. Durch solche Projekte und Veranstaltungen beeinflussen die Autokonzerne die Entwicklung unserer Verkehrsmittel – und unseres Verkehrsverhaltens.
Und die SUVs?
Unweigerlich drängen sich bei diesen Zukunftsbildern aber Fragen auf: Können und wollen wir wirklich noch mehr Digitalisierung in unserem Leben ertragen? Kann unser Gehirn der High-Tech-Steuerung gerecht werden, einer Steuerung, mit der man morgens die vollautomatische Küche für das Frühstück bedient, anschließend ein Home-Controlling der Zimmertemperatur durchführt, sich danach ins Verkehrssystem einloggt, um zur Arbeit zu gelangen, bei der man den ganzen Tag ebenfalls vor einem Bildschirm hockt und zwischendurch noch Begegnungen und Erledigungen mal eben online organisiert? Man ist sicher dankbar für jede Erleichterung in einem hektischen, von Individualisierung geprägten Leben – doch wo verlaufen die Grenzen elektronischer Netzwerke? Wie verändern die Entwicklungen uns und unser Zusammenleben?
Solche Fragen tangieren die Autokonzerne nur am Rande. Stattdessen rollen, parallel zum Forschen und Planen an noch recht utopischen Zukunftsszenarien, unvermindert immer mehr SUVs, Sport Utility Vehicles, vom Band. Vor allem bei den deutschen Konzernen BMW, Daimler Benz und Audi stellt diese „Parallelwirtschaft“ mit den vor Kraft strotzenden Geländewagen das eigentliche Geschäft dar. Ein Geschäft, das mit seinen enormen Gewinnmargen mit immer neuen, noch voluminöseren Fahrzeugen weiter forciert wird. Die Konzerne können so auch Millionen in die Forschung und Entwicklung neuer Technologien stecken, wie es BMW mit dem i3 gezeigt hat. Mit dieser Quersubventionierung bewegt sich zwar etwas, aber nicht viel, schließlich werden auch die profitablen Geländewagen fleißig weiterentwickelt. Die Endlichkeit des Erdöls scheint dabei kaum ins Gewicht zu fallen.
Fakten
Architekten Mayer H., Jürgen, Berlin; Höweler Yoon Architecture, Boston; Standardarchitecture, Beijing; Schwitalla, Max, Berlin
aus Bauwelt 24.2014

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