Bauwelt

Die Datenbank Lineamenta

Bibliotheca Hertziana

Text: Schhlimme, Hermann, Rom

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Die Datenbank Lineamenta

Bibliotheca Hertziana

Text: Schhlimme, Hermann, Rom

Die Datenbank der von Elisabeth Kieven geleiteten Abteilung Architekturgeschichte an der Bibliotheca Hertziana bietet einen völlig neuen Ansatz der Betrachtung und Erforschung. In ihr werden in aller Welt verstreute Architekturzeichnungen virtuell wieder zusammengeführt und mit weiteren Bild- und Archivquellen vernetzt.
Von der Hochrenaissance bis zum Spätbarock war Rom die Schule der Architekten. Was in Rom geplant, gebaut und gelehrt wurde, war vorbildlich für das gesamte Abendland und prägt noch heute das kulturelle Gedächtnis Europas. Dieser einzigartigen Sonderrolle Roms und Italiens gelten die Forschungen der Abteilung Architekturgeschichte an der Bibliotheca Hertziana. Es gilt zunächst, in der Tradition des Instituts Quellenerschließung zu betreiben, um auf einer gesicherten Datenbasis arbeiten zu können. Das von Elisabeth Kieven begonnene Projekt der „Forschungsdatenbank für Architekturzeichnungen Lineamenta“ hat als Ziel, Architekturzeichnungen italienischer Bauten, vornehmlich des 17. und 18. Jahrhunderts (Skizzen, Werkpläne, Präsentationszeichnungen usw.), in Wort und Bild zu dokumentieren und der Forschung zugänglich zu machen. Dank ihrer technischen Standards stellt die Datenbank dem Wissenschaftler eine der originalen Zeichnung gleichkommende Bildqualität über das Internet zur Verfügung. Heute in aller Welt verstreute Zeichnungen werden virtuell wieder zusammengeführt und mit weiteren Bild- und Archivquellen sowie den zugehörigen Bauwerken vernetzt. Dafür wurde die ereignisorientierte Datenbank Zuccaro entwickelt, die die verschiedenen Forschungsdatenbanken sowie den Bibliotheks- und den Fotothekskatalog des Instituts miteinander verknüpft. So ist es möglich, Architekturzeichnungen als Kunstwerke, Planungsmittel und Kommunikations- bzw. Publikationsmedien zu untersuchen, das zeichnerische Œuvre einzelner Architekten nachzuvollziehen, Sammlungsgeschichte und frühneuzeitliche Sammlungsstrategien zu studieren und die Rolle der Zeichnungen für die Entstehung architektonischer Konzeptionen zu ergründen. Forschungen zur Entwicklung der römischen Baukultur und Urbanistik im 17. und 18. Jahrhundert und ihrer Vermittlung in Europa durch Bauleute, Antiquare und Korrespondenten bilden den größeren wissenschaftlichen Rahmen der Zeichnungsdatenbank. Zwei Aspekte der Forschung im Rahmen von Lineamenta sollen an dieser Stelle herausgegriffen werden. Zum einen werden Zeichnungen von Filippo Juvarra (1675–1736) analysiert, zum anderen wird beispielhaft die Rolle der Zeichnungen im Kontext von Akademie und Architekturausbildung um 1700 beleuchtet.
Filippo Juvarra
Die Konzeption eines Bauwerks wurde seit der Renaissance zunehmend als eigenständige intellektuelle Leistung verstanden. Als Ergebnis der Arbeit des Architekten gilt der in Zeichnungen dargestellte Entwurf (disegno), der in einem zweiten Schritt realisiert wird. Die mit dem neuen Selbstverständnis des Architekten einhergehende Trennung von Planung und Realisierung wurde mit der 1563 in Florenz gegründeten Accademia del Disegno und der 1593 in Rom gegründeten Accademia di San Luca fixiert. Dort wurde baupraktisches Wissen weitgehend ausgeklammert. Die Architekten sollten es in den studi auf den Baustellen erwerben. Im akademischen Kontext hingegen ging es darum, die theoretischen Grundlagen der Architektur zu legen und das Entwerfen zu lehren – in Verbindung mit zunehmend anspruchsvolleren Entwurfsdarstellung. Ein Beispiel dafür ist der Entwurf für eine Schlossanlage für drei Personen gleichen königlichen Ranges, mit dem Filippo Juvarra 1705 den Clementinischen Wettbewerb der Accademia di San Luca gewann. Das Schlossgebäude liegt inmitten eines großen, kreisförmig Gartenparterres mit vorgelagertem See und zahlreichen Nebengebäuden, die eine fast idealstädtische Anlage ergeben. Der Palast besteht aus drei kubischen Baukörpern, die sich mit drei jeweils einen großen Ovalsaal enthaltenden Baukörpern abwechseln und um einen sechseckigen Innenhof „kreisen“. Juvarras Zeichnungen zeigen nicht nur seine Kreativität, sondern auch sein zeichnerisches Können, das neue Maßstäbe setzte. Mit 1 x 1,30 Meter waren die Zeichnungen zudem die größten, die je eingereicht wurden.
Juvarra überprüfte und entwickelte seine Baukörperkompositionen mithilfe perspektivischer Skizzen und Vogelschauen. Um den szenographischen und stadträumlichen Qualitäten der weitläufigen Schlossanlage auf die Spur zu kommen, wurde der Entwurf im Rahmen des EU-Projekts „3D-Bridge“ kritisch als 3D-Modell visualisiert. Eine von Juvarra gezeichnete Vogelschau zeigt allein das Hauptgebäude ohne seinen Kontext. Im Rahmen der Visualisierung entstand jetzt ein vollständiges Modell, durch das man sich frei bewegen kann. So kann man Blickachsen überprüfen und Bewegungsabläufe nachvollziehen. Wer beispielsweise durch die Kolonnade geht, sieht das Hauptgebäude in immer anderen Ansichten, wie Bühnenbilder gerahmt und mit Bühnenbildentwürfen des Architekten vergleichbar. Entscheidende Voraussetzung für die szenographischen Konzeptionen Juvarras, die durch das Modell sichtbar werden, waren die großen städtebaulichen Inszenierungen des 17. Jahrhunderts in Rom, die vor allem in den Platzanlagen den Stadtraum mit spektakulären Blickachsen und Bewegungsabläufen zur urbanen Bühne verwandelt hatten. Diese neue städtebauliche „Aufführung“ ließ Papst Alexander VII. bewusst in den Stichserien Faldas in Szene setzen. Die Serienproduktion von Stadtveduten erreicht gegen Ende des 17. und bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts in Rom einen Höhepunkt und rückt über die Bauten hinaus auch deren städtebauliche Situation in den Mittelpunkt der Darstellung. Die Spanische Treppe (1723–25) oder die Fontana di Trevi (ab 1732) sind nicht nur spektakuläre Einzelbauten, sondern inszenieren auch ihren Umraum und machen damit den Vedutismo zum baulichen Konzept. Filippo Juvarra übernahm im Rahmen dieser Entwicklung eine entscheidende Rolle und erfand zur gleichen Zeit nicht zufällig mit dem Architekturcapriccio, der fiktiven städtebaulichen Zusammenstellung phantasievoller Bautenfragmente, einen neuen Zeichnungstyp.
Die Entwürfe aus dem akademischen Kontext waren von vornherein nicht für die Realisierung vorgesehen. Solche Papier­architektur wurde vielmehr als Repertoire von Entwurfswissen begriffen. Für das Schloss in Stupinigi bei Turin (ab 1729) etwa griff Juvarra auf seinen Idealentwurf von 1705 zurück. Auch das ab 1736 von Juvarras Schüler Giovanni Battista Sacchetti errichtete königliche Schloss in Madrid zeigt noch Anleihen an den Akademieentwurf von 1705. Wer als angehender Architekt nach Rom kam, um sich auszubilden, der verfasste Entwürfe, kopierte aber auch fremde Projekte, sammelte Zeichnungen und besorgte Stichwerke, die die aktuellen Bauten Roms zeigten. So stellte er sich ein Repertoire von Entwurfslösungen zusammen und schuf damit die Voraussetzung für eine erfolgreiche Karriere als Architekt. Herrscher im deutschsprachigen Raum schickten ihre Leute nach Rom zum Sammeln bzw. übernahmen „Römer“ in ihre Dienste. Dieser kul-turelle Austausch ist noch heute in den Graphischen Sammlungen bzw. den ehemaligen Fürstlichen und Herzoglichen Plankammern im deutschsprachigen Raum dokumentiert. Kooperationen der Bibliotheca Hertziana mit den Sammlungen in Kassel oder Dresden spüren diesen Phänomenen nach.
Carlo Fontana (1638–1714) war die entscheidende Referenzfigur für angehende Architekten, die aus ganz Europa nach Rom kamen. Die didaktische Aktivität Fontanas hatte zwei Standbeine. Zum einen gab es sein privates studio, in dem er junge Architekten zur Ausbildung aufnahm. Dort wurden zahllose Zeichnungen und anderes Material aus der professionellen Aktivität Fontanas bereit gehalten und von den Schülern studiert und kopiert. Die Erfolge von Filippo Juvarra in Turin und Madrid, von Nicodemus Tessin dem Jüngeren in Stockholm, von Johann Bernhard Fischer von Erlach und Johann Lukas von Hildebrandt in Österreich oder von James Gibbs in England sind auch das Verdienst Fontanas als Lehrer.
Zum anderen spielte Fontana in der Accademia di San Luca eine entscheidende Rolle, stärkte dort den Stellenwert der Architektur und hatte großen Einfluss auf die Ausbildung. Unter Papst Clemens XI. waren die Clementinischen Wettbewerbe an der Akademie eingerichtet worden. Damit erhielten die akademischen Wettbewerbe, die schon zuvor Instrument der Nachwuchsförderung in der Akademie gewesen waren, eine enorme, auch internationale, Ausstrahlung. So konnten sich die angehenden Architekten inner- und außerhalb Italiens frühzeitig einen Namen machen. Die Wettbewerbszeichnungen standen nachfolgenden Generationen von Architekturschülern als Studienmaterial zur Verfügung. Juvarras Zeichnungen für das Palastprojekt von 1705 waren sogar für mehr als ein Jahrhundert in der Akademie ausgestellt. 

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