„Die Ersten machen das Licht wieder an“
Interview mit Tim Edler
Text: Ballhausen, Nils, Berlin
„Die Ersten machen das Licht wieder an“
Interview mit Tim Edler
Text: Ballhausen, Nils, Berlin
Tim Edler von realities:united berichtet im Interview über die Fassadenplaung für das C4-Kulturzentrum in Córdoba
Wie kam es zur Zusammenarbeit von Nieto Sobejano und realities:united?
Die Architekten betreuten 2005 den Umbau eines Kaufhauses in Graz, gegenüber vom Kunsthaus mit unserer Fassade. Vielleicht hat sie das angeregt, etwas Ähnliches in ihren Entwurf für das Kunstzentrum in Córdoba zu integrieren. Als Nieto Sobejano den Wettbewerb gewonnen hatten, zogen sie uns hinzu.
Gab es ein Budget für Kunst am Bau?
Nein, ein solches Budget stand nicht zur Verfügung. Eine Medienfassade passte aber zur Absicht, das C4 zu einem bedeutenden Produktions- und Ausstellungsort für moderne Gegenwartskunst zu machen.
Lautete der Auftrag also: „Graz II“?
Es gibt Ähnlichkeiten. Nieto Sobejano hatten eine klare konzeptionelle Vorstellung: Die Medienfassade sollte in die Architektur integriert sein und nicht appliziert. Und sie wollten Lowtech, ähnlich wie in Graz, wo wir mit diesen runden Leuchtstofflampen niedrig aufgelöste Bilder erzeugen – obwohl der Mainstream damals eher Riesen-Fernseher favorisierte.
Wie sah die Planung für die Córdoba-Fassade aus, als Sie hinzugezogen wurden?
Ein versetztes Raster kreisrunder Löcher mit dahinterliegenden Leuchtstofflampen. Zwei Dinge fanden wir daran bedenklich: Erstens hätte man auf diese Weise kleine helle Lichtpunkte in einer schwarzen Fläche erhalten. Um daraus ein Bild zusammenzusetzen, hätte man etwa einen Kilometer entfernt stehen müssen, und von der Fassade bzw. vom Beton wäre nichts mehr zu erkennen gewesen. Zweitens lag dem Fassadenraster ein primitives orthogonales System zugrunde. Und das schien uns im Widerspruch zum Gebäude zu stehen, das ja insbesondere durch die komplexe Geometrie seiner tessellierenden Raumstruktur besticht.
Sie haben das Innere nach außen gekehrt?
Das wäre zu einfach ausgedrückt. Wir haben zusammen mit den Architekten die innere Logik auf das ursprüngliche Fassadenmotiv der Perforation übertragen. Aus dem Sechseck-Motiv des Grundrisses sind dann durch Rotation, Spiegelung und Skalierung die „Schüsseln“ entstanden. Das Motiv wiederholt sich auch auf der Westfassade, dort als Lichtöffnung für die Büros.
Wie ist die Fassade konstruiert?
Die 1319 Schüsseln sind Vertiefungen in großen Faserbeton-Elementen, die als curtain wall vorgehängt sind. Es gibt 15 unterschiedliche Typen dieser Elemente, die – teils auf dem Kopf stehend – zusammengefügt wurden, um ein durchgängiges Muster zu generieren.
Ich erinnere mich, dass 2007 am 1:1-Mock-up noch Kompakt-Leuchtstoffröhren eingebaut waren, in Córdoba hingegen sind es LED. Wieso hat sich die Form der Schüsseln mit der neuen Technik nicht verändert?
Sagen wir es mal so: Gerade weil sich die LED-Technologie so entwickelt hat, konnten wir die Form beibehalten. LED erleichtern es, das Licht im richtigen Winkel in die Schüsseln zu bringen, asymmetrische Linsen sind heute industrieller Standard. Mit Leuchtstofflampen hätten wir spezielle Reflektoren konstruieren müssen. Dank LED ist alles einfacher und präziser geworden – wenn man so will, ein Vorteil der Langsamkeit des Projekts.
Wie verhindert man es, dass die technische Entwicklung die Fassade bald alt aussehen lässt?
In Graz haben wir uns schon durch die Wahl des Leuchtmittels vom Diktat des Fortschritts abgekoppelt. In Córdoba sieht man die Leuchten kaum noch, da ist es diskreter. Eine weitere Möglichkeit ist, sich dem Trend zur immer höheren Auflösung zu entziehen. Das unterbieten wir im C4 radikal, eigentlich schon dogmatisch: Unser größter Bildpunkt ist 7 x 4 Meter groß.
Lowtech als Erweiterung der Möglichkeiten?
Konzeptionell vielleicht, aber im praktischen Leben macht das Ärger. Das orthogonale Bild bleibt auf absehbare Zeit eine Konstante der Kunstproduktion. Wir mussten deshalb eine Software entwickeln, mit der man alles, was irgendwie auf einem Computer-Bildschirm auftaucht, unmittelbar auf diese Fassade übersetzen kann, egal ob Film, Webseite, Word-Dokument oder Excel-Tabelle. Da sind wir konzeptionell eher auf der High-End-Seite, denn ein so offenes Betriebssystem für solche Installationen gab es bislang noch nicht. Ziemlich knifflig ist es auch, mit den extrem unterschiedlich großen Bildpunkten klarzukommen und damit, dass hier nichts im Raster ist.
Angenommen, ein Künstler möchte die Fassade bespielen – wie läuft das konkret ab?
Man kann eine Timeline einrichten, vielleicht von 20 bis 24 Uhr, in der eine vorproduzierte „Show“ abläuft, so wie bei konventionellen Medienfassaden. Darin sind auch offene Live-Slots möglich. Die Künstler können Inhalte in Echtzeit und live nach Córdoba überspielen. Das geht sehr einfach.
Die Fassade ist bislang das einzige Exponat des C4. Wird sie ihre Leuchtsignale senden wie ein einsamer Satellit im All?
Die Eröffnung des Kunstzentrums ist noch unklar, sie ist in der jetzigen Situation in Andalusien politisch schwierig, zumal auch der Betreiber noch nicht feststeht. Das ist heikel, man muss es aber positiv sehen. Nicht: „Die Letzten machen das Licht aus.“ Sondern: „Die Ersten machen das Licht wieder an.“
Das Interview führte Nils Ballhausen
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