Die Fiesta ist zu Ende
Spain Builds? Was in Spanien auf dem Spiel steht
Text: Tárrago Mingo, Jorge, Artica (Navarra)
Die Fiesta ist zu Ende
Spain Builds? Was in Spanien auf dem Spiel steht
Text: Tárrago Mingo, Jorge, Artica (Navarra)
Im zweiten Teil der Bauwelt-Serie "Über den Tellerrand" blicken wir nach Spanien. Dort zeigen sich die Auswirkungen der Krise besonders drastisch: Allein in Madrid musste die Hälfte aller Architekturbüros schließen. Demnächst berichten Autoren aus Slowenien und Portugal.
Für den internationalen Erfolg spanischer Architektur in den vergangenen Jahren werden gemeinhin drei Gründe angeführt. Um zu begreifen, was derzeit auf dem Spiel steht, muss man sie noch einmal in Erinnerung rufen.
Erstens: Die Bildungstradition spanischer Architekturschulen gründet sich auf einer ganzheitlichen Sicht auf das Berufsbild, die naturwissenschaftliche wie humanistische Aspekte einschließt. Die Schulen bilden Architekten aus, die vielleicht weniger spezialisiert sind als andere, dafür aber umso geübter darin, mit vielerlei Herausforderungen ihrer Arbeit zurechtzukommen.
Erstens: Die Bildungstradition spanischer Architekturschulen gründet sich auf einer ganzheitlichen Sicht auf das Berufsbild, die naturwissenschaftliche wie humanistische Aspekte einschließt. Die Schulen bilden Architekten aus, die vielleicht weniger spezialisiert sind als andere, dafür aber umso geübter darin, mit vielerlei Herausforderungen ihrer Arbeit zurechtzukommen.
Zweitens: Es gibt eine lange Tradition von Architekten-Vereinigungen. Sie sind regional organisiert und in einer Nationalen Kammer zusammengeschlossen, dem Cosejo superior de Colegios de Arquitectos de España (CSCAE). Den derzeit 26 Verbänden ist es gelungen, den rechtlichen und wirtschaftlichen Status der Profession zu schützen. Gemäß ihrem Gründungsstatut, „die Bestimmung von Architektur als soziale Dienstleistung zu erfüllen“, fördern sie, mal mehr, mal weniger, die Baukultur – mit Preisen, Ausstellungen, Konferenzen und einigen der ältesten und besten Publikationen des Landes wie Arquitectura oder Quaderns.
Drittens: Im spanischen Bauwesen hat eine gehörige Anzahl traditioneller Handwerksbetriebe und kleiner Firmen überlebt. Ihre Organisation in einer gefestigten Innungsstruktur ermöglichte eine mehr als zufriedenstellende Bauqualität.
Ergänzen sollte man zwei weitere Punkte. Zum einen ein Berufsbild, das noch von einer fast handwerklichen Auffassung geprägt ist. Das bedeutet: kleine oder zumindest nicht allzu große Büros, die sich dem Bauherrn verpflichtet fühlen, sich auf das Projekt und die Bauüberwachung konzentrieren – jenseits wirtschaftlicher und produktiver „Effizienz“-Anforderungen. Zum anderen – und das ist ganz entscheidend, wenn man nach den Gründen für die Qualität spanischer Architektur sucht – eine deutliche Beschränkung beruflicher Aktivitäten, wie sie im nationalen Baurecht geregelt ist. Es skizziert Rolle, Verantwortlichkeit und Leistung des Architekten in Abgrenzung zu anderen am Bau Beteiligten wie Ingenieuren, Tragwerksplanern, Gutachtern, Bauträgern.
Aufstieg (fast) ohne Ende
Zu diesen fünf Punkten müsste man noch die bemerkenswerte Umwandlung des Landes seit dem Ende der Franco-Zeit 1975 hinzufügen, das Ende der politischen und kulturellen Isolation, den folgenden kulturellen Wandel, den Eintritt in die EU 1986, die Feiern des Jahres 1992 (Expo in Sevilla und Olympische Spiel in Barcelona), die Dezentralisierung der Verwaltung, das „wundersame“ Wirtschaftswachstum der letzten Jahrzehnte (deshalb die Überfülle an Projekten), eine aktive öffentliche Förderung (nicht zuletzt im Wohnungsbau), ein Wettbewerbswesen, das auch die Teilnahme jüngerer Architekten zuließ.
Höhepunkt und Jubelfeier dieser Fiesta, in der alles möglich schien, war die Ausstellung On Site: New Architecture in Spain im MoMA in New York 2006. Dort kamen 18 Büros und 35 Projekte zusammen, spanische Architekten und Stars aus dem Ausland, die seit dem berühmten und immer noch diskutierten „Guggenheim-Effekt“ in Spanien gearbeitet hatten. Der Ausstellungskatalog Spain Builds: Arquitectura en España 1975–2005 porträtiert die Situation ziemlich treffend.
Aber die Fiesta ist denkbar drastisch zu Ende gegangen. Und wer einen Blick auf die Statistiken wirft, kann die Aussichten nur als katastrophal bezeichnen. Es genügt, sich einige Daten vorzunehmen, die sich auf die fünf vorgenannten Punkte beziehen, um eine Ahnung von der gegenwärtigen Situation spanischer Architektur zu bekommen.
Zwischen 1991 und 2011 hat sich die Zahl der Architekturschulen mehr als verdoppelt, auf 32. (1966: 5; 1991: 13; 2010: 26). Mit dem Ergebnis, dass sich zwischen 2001 und 2011 die Zahl der Architek-ten ebenfalls nahezu verdoppelt hat, auf 50.000. In Spanien kamen im Jahr 2010 auf 1000 Einwohner 1,25 Architekten, 2012 waren es noch 1,1 (Der europäische Durchschnitt liegt bei 0,9). 60 Prozent der Architekten sind jünger als 45 Jahre. Die Arbeitslosenquote in Spanien liegt gegenwärtig bei 26 Prozent – unter Architekten bei rund 60 Prozent. Kein Wunder also, dass 34 Prozent der Studenten als erste Option nach ihrem Abschluss eine Arbeit im Ausland vorschwebt und 71 Prozent diese Möglich-keit zumindest in Betracht zieht. Der Exodus ist sicher. Aber wenigstens sind spanische Absolventen gut ausgebildet und haben überall Chancen.
Was die Architektenverbände betrifft: Sie finanzieren sich über die Beiträge der Mitglieder (deren Zahl nicht im gleichen Maß steigt wie die der Absolventen), hauptsächlich aber über sogenannte gastos de visado. Das sind Gebühren, die Architekten für jedes Projekt an die nächstgelegene Vereinigung bezahlen müssen; die prüft dafür die Planung auf Vollständigkeit und Korrektheit. Die Prüfung der Kammer ist Voraussetzung für eine Baugenehmigung. Da die Zahl der Projekte dramatisch abgenommen hat, sinken auch die Einnahmen der Verbände. Verschärfend kommt hinzu: Kürzlich wurde ein Gesetz verabschiedet (es soll die spanische Gesetzgebung an die europäische anpassen, um Bürokratie abzubauen), das die gastos de visado für eine ganze Reihe von öffentlichen Projekten abgeschafft hat. Folglich haben die Verbände an finanzieller Kraft und Einfluss verloren. Fast überflüssig zu erwähnen, dass sie ihr Kulturbudget als erstes gekürzt haben.
In Bezug auf die Bauunternehmen kann man nicht anders, als von einer Katastrophe sprechen. Wurden 2007 – das war das beste Jahr – 323.774 Millionen Euro umgesetzt, stürzte der Markt 2011 auf das Niveau von 2001 ab (146.380 Millionen). 2005 gab es 402.901 Baufirmen, 57,6 Prozent von ihnen hatten weniger als 49 Angestellte. 2010 gab es nur noch 371.025 Unternehmen. Zieht man die wirtschaftlichen Umstände in Betracht, erscheint das als moderater, vernünftiger Rückgang. Aber es sind vor al-lem die kleinen Firmen, die vom Niedergang erfasst wurden; mindestens 55 Prozent von ihnen sind betroffen. So ist es kaum möglich, das Überleben hochwertigen Handwerks zu garantieren.
Abwärtsspirale ohne Ende?
Womit soll man aufhören? Mit Jordi Ludevid, dem Präsidenten des CSAE, der in einem Interview mit der Zeitung Cinco Días die Zahl der Architekturbüros in Madrid oder Barcelona, die schließen mussten, auf haarsträubende 50 Prozent schätzte? Oder mit der spanischen Regierung, die ein Dienstleistungsgesetz auf den Weg gebracht hat, das die oben erwähnten Tätigkeitsbeschränkungen des Baurechts aufhebt und die Möglichkeiten für Ingenieure und andere, Gebäuden zu entwerfen, erweitert? Die Situation könnte chaotischer nicht sein. Unnötig eigentlich, auch noch das vollständige Ausbleiben öffentli-cher Investitionen zu erwähnen, und dass es praktisch keine Architekturwettbewerbe mehr gibt. Alle anderen ökonomischen Daten sind nicht ermutigender.
Dies ist keine pessimistische oder gar defätistische Analyse. Die Situation ist Realität, wir müssen ihr ins Auge sehen. Die Zahlen sprechen für sich, und wir, Architekten, Professoren, Politiker, müssen analysieren, was bislang gut gemacht wurde und verbessert werden kann (mit Sicherheit das meiste) und was es radikal zu verändern gilt. Alles muss wieder zusammengesetzt werden – und das ist eine gute Nachricht. Die Gründe für den Erfolg spanischer Architektur sind immer noch sichtbar und gültig. Und Spanien hat heute eine der anspruchsvollsten und am besten ausgebildeten Architektengenerationen, in der Praxis wie in der Lehre – man muss sich nur einmal die Liste der Dekane an den renommierten Architekturschulen rund um die Welt anschauen.
Aus dem Englischen von Jan Friedrich
Weitere aktuelle Zahlen zum Baugeschehen in Spanien in der Printausgabe 28.12
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