Bauwelt

Die Große Weltausstellung 2012

Text: Kleilein, Doris, Berlin

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Andcompany & Co: World Freud Center
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Tokishi Okada: Havarierte Reaktorblöcke von Fukushima
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Tamer Yiğit und Branka Prlić: Quartier für Menschen ohne festen Wohnsitz
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Die Große Weltausstellung 2012

Text: Kleilein, Doris, Berlin

Auf dem ehemaligen Tempelhofer Flugfeld haben raumlaborberlin und das Theater Hebbel am Ufer (HAU) einen Monat lang eine Expo à la Berlin veranstaltet: In 15 Pavillons präsentierten sich nicht Nationalstaaten, sondern Künstler und Theatermacher mit ihrer Sicht auf die Welt. Letzte Woche wurden die Pavillons wieder abgebaut – und dann verschenkt.
Zunächst fallen die Pavillons auf dem Tempelhofer Feld gar nicht auf. Die Weite der 285 Hektar großen Ebene lässt keine übergreifende Inszenierung zu, und das war den Architekten auch ganz recht: Sorgsam improvisiert wie der Park selbst und getarnt in der rot-weißen Signalästhetik des ehemaligen Flughafens, sprechen die Pavillons die Sprache des Ortes.  Zusammengenagelt und -geschraubt, mit Planen verhüllt und mit OSB-Platten ausgebaut, stehen sie auf Wiesen und Asphaltbahnen, anstelle von Fundamenten halten vertaute Betonwürfel und schweres Baugerät die tollkühnen Kisten. 
Für den Rundgang braucht man ein Fahrrad oder ein paar Stunden Zeit, dafür wird man mit einem Theatererlebnis belohnt, wie es wohl nur Berlin zu bieten hat: sperrig und zugänglich zugleich, mit international operierenden Künstlern wie Rabih Mroué und Tracey Rose inmitten von Grillwiesen und Lerchengezwitscher, aber auch mit lokalen Größen wie Tamer Yiǧit und Branka Prli´c, die am Südrand des Flugfeldes,  in Hörweite der Stadtautobahn, ein Wohnwagenrondell für Sinti-und-Roma-Familien eingerichtet haben. Performance, Film, Seminar, Abenteuerspielplatz:  Die Besucher streifen umher, verweilen, machen mit, ziehen weiter.
Festivalrecycling
Improvisation will gut vorbereitet sein: Zwei Jahre lang haben die Initiatoren Benjamin Förster-Baldenius und der im Frühjahr unerwartet verstorbene Matthias Rick von raumlaborberlin auf die Weltausstellung hingearbeitet und das Theater Hebbel am Ufer (HAU) mit an Bord geholt, dessen Intendant Matthias Lilienthal in den letzten Jahren die Performance im Berliner Stadtraum salonfähig gemacht hat. 
Vom Gesamtbudget des Projekts (450.000 Euro) floss etwa ein Drittel in die Baukosten, sodass für jeden Pavillon 10.000 bis 15.000 Euro zur Verfügung standen. Eine bescheidene Bausumme,  aufgestockt durch die Technik der Wiederverwertung, in diesem Fall durch Festivalrecycling: Nur drei Pavillons wurden aus neuen Materialien gebaut, alle anderen sind Derivate des „Festival Über Lebenskunst“, für das der Berliner Architekt Florian Koehl 2011 das Haus der Kulturen der Welt im Tiergarten mit rohen Holzkonstruktionen verbaut hatte. raumlaborberlin haben den Holzeinbauten quasi im Nachgang zur Nachhaltigkeit verholfen, indem sie diese zerlegt und neu zusammengefügt, gestrichen und mit Baugerüsten zugänglich gemacht haben:  Schwarz-grau  ragt die märkische Kiefer nun als Nachbildung des Fukushima-Reaktors in den Himmel, an anderer Stelle wurde sie zum Riesenrad, zur Bar, zum Kino.  Die Pavillons wurden im Ping-Pong mit den jeweiligen Künstlern entwickelt, bei dem mal die Künstler, mal die Architekten einen größeren Anteil an der Gestaltung hatten – wie etwa bei den flachen rot-weißen Bienenwaben des Künstlerduos Dellbrügge & de Moll: Diese traten mit der Idee einer Alters-Kolonie für die mehr als 10.000 in Berlin lebenden Künstler und ihrer Vorliebe für die Hexagon-Struktur  des Berliner Flughafens Tegel an – daraus entwickelte die Architekten die nach oben offenen eingeschossigen Module aus Containerwänden samt Ziegenstall und Klötzchenmodell.
Vom Kino zum Hühnerstall
Selbstredend versteht sich diese Expo (Motto: „The World is not fair“) als eine Kritik an dem seit 160 Jahren global verbreiteten Genre der Weltausstellung und den damit verbundenen Prestigebauten und Materialschlachten. Der sparsame Umgang mit Ressourcen, sowohl Fördermitteln als auch Baumaterialien,  war Programm: Wohin nun also mit dem zum Teil schon mehrfach recycelten Material?
Der ursprüngliche Plan der Architekten, die Pavillons zusammenzurücken und als eine Art Kulturzentrum auf  Tempelhof zu belassen, scheiterte im letzten Moment am Veto der  Senatsbaudirektorin und der für das ehemalige Flugfeld verantwortlichen städtischen GmbHs (Tempelhof Projekt/Grün Berlin/ IGA 2017).  Zu teuer sei es, die temporären Bauten winterfest zu machen, zu unklar die langfristige Zuständigkeit – Improvisation und Behörden, das bleibt ein schwieriges Thema. Vielleicht wollte man auch dem geplanten Prestigeprojekt, dem Neubau der  Zentral- und Landesbibliothek auf dem Tempelhofer Feld, keine Konkurrenz machen?
Das Expo-Team hat sich daher kurzerhand entschlossen, die Pavillons inklusive Architektenplänen an Selbstabholer zu verschenken. Die Nachfrage ist groß; für einige ist bereits eine konkrete Nachnutzung gefunden worden. Das „World Freud Center“ beispielsweise  geht an die bosnischen Kleingärtnerinnen von Südwest e.V., die Hexagone von Dellbrügge  &de Moll finden eine neue Heimat im Prinzessinnengarten, einem Kreuzberger „urban agriculture“-Projekt. Das Kino von Harun Farocki wird in Mecklenburg-Vorpommern zum Hühnerstall.
Fakten
Architekten raumlabor, Berlin; FAT Koehl Architekten, Berlin; Tokishi, Okada; de Rooij, Willem, Amsterdam; Andcompany & Co, Berlin; Farocki, Harun, Berlin; Dellbrügge & Moll, Berlin; Yiğit, Tamer; Prlić, Branka; Mroué, Rabih, Hazmieh (Libanon); Krösinger, Hans-Werner, Berlin; Göngrich, Erik, Berlin
aus Bauwelt 25.2012
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