Die Logik der Logistik
Ernst Neufert und das Quelle-Versandhaus in Nürnberg
Text: Weckherlin, Gernot, Berlin
Die Logik der Logistik
Ernst Neufert und das Quelle-Versandhaus in Nürnberg
Text: Weckherlin, Gernot, Berlin
Ausstellungen, die schon einmal andernorts gezeigt wurden, stehen nicht im Ruf, Publikumsmagneten zu sein. In Nürnberg hingegen war das Interesse zur Eröffnung der erstmals 2011 in Darmstadt und zuletzt in Dessau (Bauwelt 40.2013) gezeigten Ausstellung „Ernst Neufert. Leben und Werk“ überaus rege.
Der Grund dafür ist die im Nürnberger Kommunalwahlkampf gerade wieder entbrannte Diskussion um die Zukunft des ehemaligen Quelle-Areals. Dass es sich bei dieser derzeit zweitgrößten leer stehenden Immobilie Deutschlands (nach dem Flughafen Tempelhof) um ein Hauptwerk Ernst Neuferts handelt, ist seit der Eintragung des Bauwerks in die Denkmalliste dabei im Grunde unstrittig (Bauwelt 1-2.2012).
Die Schau der TU Darmstadt ist für Nürnberg, dank der Recherchen von Udo Gleim, um Zeugnisse zur Entstehungsgeschichte dieser zwischen 1953 und 1969 in mehreren Bauabschnitten errichteten lokalen Ikone der Wirtschaftswunderjahre erweitert. Beeindruckend sind besonders die Dokumente über das bereits ab 1951 entwickelte „Informatik-System Quelle“ – weltweit eine der ersten großtechnischen Anwendungen eines Computers in der Prozesssteuerung. Diese betriebstechnische Neuerung verdankte der Quelle-Gründer Gustav Schickedanz dem Logistiker und ehemaligem Heeresgeneral der Wehrmacht Georg Reinicke. Zusammen mit Gustav Schickedanz meldete dieser, inzwischen als Unternehmensberater tätig, 1953 das Patent über eine „Fördereinrichtung zum Zusammenstellen von Einzelwaren aus verteilt angeordneten Vorratslagern zu Kollektionen“ an. Wie es in der Patentschrift fast lyrisch hieß, war das Prinzip dieses Systems aus Zentral- und Nebenförderanlagen, „ähnlich einem Flußgebiet […], in welchem die mengenmäßig verschiedenen Wasserläufe aus allen Richtungen ununterbrochen einem Strom zufließen“.
Das Zusammenwirken dieser logistischen Meisterleistung mit der architektonischen Lösung Neuferts wird in der Ausstellung mit den Dokumenten aus dem Museum für Industriekultur in Nürnberg besonders deutlich. Für Neufert war die Bauaufgabe eine besondere Herausforderung, nicht allein weil die
innerbetriebliche Organisation technisches Neuland war; es gab selbst im Versandhandel in den USA nichts Vergleichbares. Neuferts wesentliche gestalterische Idee beruht darauf, den Warenstrom, der an den Förderbändern seinem Ziel entgegenschwebt, sichtbar zu machen, indem er die Fensterbänder um den ganzen Komplex herumzog. Er berief sich dabei auf die Wirkung des chromlederfarbenen Hartbrandsteins, den er in seinen Bauten häufiger verwendete und den er mit den Sichtbetonelementen des Baus zu einer monumentalen Einheit verband.
innerbetriebliche Organisation technisches Neuland war; es gab selbst im Versandhandel in den USA nichts Vergleichbares. Neuferts wesentliche gestalterische Idee beruht darauf, den Warenstrom, der an den Förderbändern seinem Ziel entgegenschwebt, sichtbar zu machen, indem er die Fensterbänder um den ganzen Komplex herumzog. Er berief sich dabei auf die Wirkung des chromlederfarbenen Hartbrandsteins, den er in seinen Bauten häufiger verwendete und den er mit den Sichtbetonelementen des Baus zu einer monumentalen Einheit verband.
Die neuen Quellianer
Doch all dies ist Vergangenheit. Inzwischen forderte der bayerische Finanz- und Heimatminister Markus Söder hier in seinem Wahlkreis Nürnberg-West öffentlich einen teilweisen Abriss. Diese Äußerung steht wiederum in Zusammenhang mit Angeboten des derzeitigen Investors Sonae Sierra, der dem Freistaat Bayern einen 77.000 Quadratmeter großen Teil des Gebäudes für eine universitäre Nutzung für einen Euro verkaufen möchte. Dieses Geschenk mit offenbar noch nicht kalkulierten und insofern unabsehbaren Sanierungskosten kann Söder freilich kaum annehmen. Gleichzeitig ist die Standortplanung der Universität Erlangen-Nürnberg Gegenstand einer kuriosen Standortkonkurrenz in der fränkischen „Metropolregion“. Gerätselt wird über die Motive Söders für solche Abrissforderungen, denn der Investor hat bisher kein Interesse am Abbruch des Gebäudes bekundet. Und derzeit sieht es gar nicht schlecht aus für dessen Zukunft. Inzwischen sind wieder 30.000 Quadratmeter des Kolosses besiedelt, die neuen „Quellianer“ bilden eine bunte Mischung aus Einzelhändlern, Gewerbetreibenden und Kreativen. Zudem lässt Sonae Sierra durch das Kölner Architekturbüro Kister Scheithauer Gross die Entwicklungspotenziale untersuchen.
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