Bauwelt

Die Poesie des Eisenbetons

Rem Koolhaas inszeniert Auguste Perret in Paris

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

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Foto: Thomas Malgras, courtesy Ville du Havre; © CNAM/SIAF/CAPA, Archives d’architecturedu XXe siècle/Auguste Perret/UFSE/SAIF; Florian Kleinefenn, courtesy Fondazione Prada und CESE

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Foto: Thomas Malgras, courtesy Ville du Havre; © CNAM/SIAF/CAPA, Archives d’architecturedu XXe siècle/Auguste Perret/UFSE/SAIF; Florian Kleinefenn, courtesy Fondazione Prada und CESE


Die Poesie des Eisenbetons

Rem Koolhaas inszeniert Auguste Perret in Paris

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

Es gibt eine Fotografie aus der Bauzeit des Musée des travaux publics in Paris, das die berühmte, doppelt geschwungene Haupttreppe im Rohzustand zeigt: nichts als nackter Beton, beton armé wohlgemerkt, den der Architekt Auguste Perret (1874–1954) perfektioniert hatte.
Längst ist die Institution des Museums der öffentlichen Arbeiten, ein typisches Produkt der 30er Jahre, verschwunden. Als Palais d’Iéna ist das Gebäude an der Place d’Iéna heute bekannt und dient dem Conseil économique, social et environnemental (CESE) als Tagungsort, die große einstige Ausstellungshalle des Hauses ist ihrer Funktion beraubt. Für den CESE lag es nahe, in diesem gewaltigen Raum dessen Erbauer zu würdigen. Prada veranstaltet seit einigen Jahren in der Halle Modeschauen, die Firma arbeitet dabei mit Rem Koolhaas’ Büro OMA AMO zusammen. So stand mit der Fon­dazione Prada ein kulturorientierter Finanzier und mit Koolhaas ein Gestalter für die Schau bereit.
Es gibt durchaus einen kalendarischen Anlass für die Ausstellung mit dem Titel „Auguste Perret. Acht Meisterwerke !/?“. 100 Jahre nämlich liegt die Eröffnung des Théatre des Champs-Elysées zurück. Der Bau war mit einem gewaltigen Streit um die Urheberschaft zwischen Perret und dem eigentlich beauftragten Architekten Henry van de Velde verbunden, und er markierte einen Wendepunkt: das Ende des Jugendstils und einer organischen Architektur und die Hinwendung zu einem neuen Klassizismus, zu Ordnung und Rationalität. Das hat nur vordergründig mit den konstruktiven Änderungen zu tun, die Perret an dem Entwurf Van de Veldes vornahm, um den Bau in Beton (statt des ursprünglich vorgesehenen Stahls) ausführen zu können; Perret war zusammen mit seinen beiden jüngeren Brüdern als Bauunternehmer tätig und konnte Preise günstiger kalkulieren. Es hat vor allem damit zu tun, dass Perret die Trennung von Konstruktion und Dekoration, wie sie an der École des Beaux-Arts selbstverständlich vorausgesetzt wurde, zuwider war. Perret sprach zeitlebens von der „Poesie des Eisenbetons“. Doch das bedeutete für ihn keineswegs, die Möglichkeiten des Betons auszureizen. Es ging ihm um eine neue Ordnung, analog derer, die er am Parthenon als Höhepunkt der Antike bewunderte.
Darüber ist in der Ausstellung natürlich auch etwas zu erfahren. Doch stehen in der unverständ­-lich dunklen, von seitlichen Neonleuchten in unbarm- ­herziger Reihung nur schwach erleuchteten Halle die acht „Meisterwerke“ im Vordergrund. In der Tat re­volutionär zu nennen ist das Wohnhaus in der rue Franklin (1903), der erste reine Armierbetonbau – die Pariser Banken verweigerten aus Angst die Finanzierung. 1913 folgt besagtes Theater mit dem drei­dimensionalen Raster der Betonbalken. Die Kirche Notre Dame in der Pariser Umlandgemeinde Raincy (1923) begeistert den Besucher mit streichholzdünnen Pfeilern und der völligen Auflösung aller Wände in Glasfenster – und die damalige Gemeinde mit
geringen Kosten. Überspringen wir zwei Bauten, die eher Pars pro Toto stehen, dann folgt das Museum, das selbst Ausstellungsgegenstand ist. Hier hatte Perret 1937 seine „Ordnung“ voll ausgebildet, mit ei­nem Pfeilerraster, mit großen – von OMA leider verhängten – Seitenfenstern, mit der Treppe, deren Schwung das orthogonale Raster durchbricht, und dem Sitzungssaal mit seiner Halbkuppel, der in Grundriss und Form Beaux-arts-Traditionen aufnimmt, aber eben in Beton ausgeführt, die Kuppel ganz mit Glasbausteinen durchsetzt.
Perrets Ordnung spiegelt sich im geradezu militärisch strengen Aufbau der Ausstellung. Links an einer Wand aus Metallgittern das „Archiv“, 400 Originaldokumente, vorwiegend Pläne und zeitgenössische Fotografien. Sodann auf Tischen Modelle der acht ausgewählten Bauten, die vor allem die kon­struktive Struktur betonen und herrlich anzuschauen sind. Dann eine endlos lange Reihe Vitrinen, die Sekundärmaterial zeigen, Publikationen, aber auch Medaillen und Ehrendegen – ohne zu thematisieren, dass Perrets Karriere sich unter dem Vichy-Regime ebenso bruchlos fortsetzte wie nach dessen Ende. Schließlich auf der anderen Seite des streng gezogenen Mittelgangs längs durch die von Betonpfeilern getragene Halle Holztribünen, die für Videovorführungen und Veranstaltungen vorgesehen sind. Im Ausstellungsalltag sind sie nichts als verschenkter Raum.
„Einheitlichkeit ist der Unordnung vorzuziehen“, hat Perret einmal gesagt, und wenn man ihm auch unrecht täte, das originale uniformité wörtlich mit „Uniformität“ zu übersetzen, so scheint es doch besser zu treffen, jedenfalls wenn man in den Straßen von Le Havre umhergeht, das er nach dem Zweiten Weltkrieg wiederaufgebaut hat (Bauwelt 45.2005). Diesem Spätwerk entstammen die beiden letzten „Meisterwerke“, das Rathaus (1950) und die Kirche Saint-Joseph (1951). Im Grunde hätte Le Havre als Gesamtkunstwerk an diese Stelle gehört, denn auch die Wohnblöcke entlang der zum Meer führenden Magistralen bezeugen Perrets Suche nach überzeitlicher Ordnung. Das Rathaus ist ein querliegender Kasten mit seitlichem Hochhaus, bester Monumentalismus. Die Kirche aber mit ihrem von unten offenen Turm macht Staunen, jenes Staunen, das der zutiefst katholische Perret wohl durch solchen architektonischen Ausdruck von Transzendenz hervorrufen wollte.
Auguste Perret ist, zumal nach der großen Schau in der Cité de l’Architecture 2004, keine Wiederentdeckung mehr, aber er bleibt ein Außenseiter in der Geschichte der Moderne. Oder nicht? Das zu thema­tisieren, wäre eine weitere Ausstellung wert. Immerhin hat Le Corbusier 1908 in Perrets Büro gearbeitet und ihn zeitlebens geschätzt. Dessen Beherrschung des Betons hat er allerdings nie erreicht.
Fakten
Architekten Perret, Auguste (1874–1954); OMA/AMO, Rotterdam
aus Bauwelt 47.2013
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