Bauwelt

„Die These, dass die Moderne alles absorbiert, trifft auf die Monumentalarchitektur nicht zu“

Österreich

Text: Fitz, Angelika, Wien

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    Die Hauptattraktion im französischen Pavillon: das Modell der "Villa Arpel" aus Jaques Tatis Film "Mon Oncle" (1958)
    Andrea Avezzù Courtesy la Biennale di Venezia

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    Die Hauptattraktion im französischen Pavillon: das Modell der "Villa Arpel" aus Jaques Tatis Film "Mon Oncle" (1958)

    Andrea Avezzù Courtesy la Biennale di Venezia

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7. Mai 2014: die Modelle der Parlamentsbauten werden an die Wand genagelt
Foto: Biennale Office Vienna

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7. Mai 2014: die Modelle der Parlamentsbauten werden an die Wand genagelt

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Harald Trapp und Christian Kühn (v.l.n.r.)
Foto: Andreas Balon

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Harald Trapp und Christian Kühn (v.l.n.r.)

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„Die These, dass die Moderne alles absorbiert, trifft auf die Monumentalarchitektur nicht zu“

Österreich

Text: Fitz, Angelika, Wien

Interview mit Christian Kühn über das Pavillonthema "Plenum. Places of Power"
„Absorbing Democracy“ hieß ein früher Arbeitstitel für den österreichischen Biennale-Bei-trag. Anders als Rem Koolhaas hätte Kurator Christian Kühn den Beobachtungszeitraum bereits 100 Jahre früher angesetzt, ab 1814, als in Wien der Kongress tanzte. Denn bereits der Neoklassizismus war eine explizit internationale Formensprache, so Kühn. Darauf brachten ihn seine Recherchen zu Parlamentsbauten, die den Kern des Pavillons bilden. Gemeinsam mit Studierenden wurden Informationen zu allen nationalen Parlamenten weltweit gesammelt. Es zeigte sich, dass der alles beherrschende Stil der Klassizismus ist, was umso mehr verwundert, wenn man bedenkt, dass nur gut 30 der 196 untersuchten Parlamente vor 1914 entstanden sind. Weitere 20 stammen aus den Jahren 1915 bis 1949, die restlichen 143 aus der Zeit danach. „Die Moderne hat in diesem symbolbeladenen Sektor der Architektur offenbar weniger Strahlkraft entwickeln können“, so Kühn.
Was nach einer beschaulichen Rückschau klingt, ist in Wirklichkeit eine spannende Exkursion zu Grundfragen von Architektur und Macht: „Plenum. Places of Power“ ist der Titel des österreichischen Beitrags. Was für Räume können heute noch Demokratie repräsentieren? Zeigt sich der Volkswille nicht eher auf den Plätzen des arabischen Frühlings oder den Straßen der Occupy Bewegung? Aber auf die Euphorie der Straße, auf die Neuaufteilung des Sinnlichen im öffentlichen Raum folgen die Niederungen der institutionellen Politik. Die Macht muss ge- und verteilt werden, und die Architektur trägt ihren Teil zur Legitimation und Repräsentation der Kompromisse bei. Die Agenda des Kurators ist dabei auch eine lokalpolitische: Der Umbau des österreichischen Parlaments steht an. Und angesichts des defensiven Umgangs mit dem baufälligen Ringstraßenbau von Theophil Hansen im aktuellen Verfahren kann Kühns Biennale-Beitrag als Plädoyer für eine Öffnung der bauhistorischen Diskussionen in Richtung demokratiepolitischer Argumente gelesen werden. Der Pavillon bietet jedenfalls viel Stoff, um über eine radikale Neugestaltung eines Versammlungsortes nachzudenken.
Wie werden die knapp 200 nationalen Parlamente im Pavillon repräsentiert?
Wir machen das Monumentale zum Hauptthema. Nachdem der österreichische Pavillon selbst eine Monumentalarchitektur ist – wenn auch in kleinem Maßstab –, inszenieren wir dort das Parlament der Parlamente. Alle Gebäude werden als Modelle im Maßstab 1:500 gebaut, wobei wir aufgrund mangelnder Informationen vieles mit Luftbildern und Fotos rekonstruieren mussten. Das Ganze ist wirklich erst der Beginn einer Forschungsarbeit. Wichtig war uns, dass wir das Monumentale brechen und so befragbar machen, indem wir die Modelle um 90 Grad kippen und an die Wand kleben. So bekommen sie etwas Prekäres, vor allem, weil doch die nationalen Parlamente die Weltprobleme überhaupt nicht mehr lösen können.
Welche Rolle spielt das Biennale-Thema „Absorbing Modernity“?
Das Eigenartige ist, dass das europäische Narrativ von der Monarchie zur Republik so stark ist, dass es für sehr viele als Referenzpunkt dient. Dann gibt es einige wenige Moderne, und noch weniger versuchen, etwas Autoktones zu machen. Es ist ganz klar: Die These, dass die Moderne alles absorbiert hat, trifft auf die Monumental­architekturen nicht zu. Es kann sein, dass die These von Koolhaas sehr wohl für den Großteil der Kultur stimmt, aber wenn es dann darum geht, etwas national Repräsentatives zu machen, kommen ganz andere Muster zum Tragen.
Was war die größte Überraschung?
Wie wenig man weiß, zum Beispiel, dass Myanmar das flächenmäßig größte Parlament der Welt hat. Überraschend ist auch, dass die Parlamente von Finnland und Nordkorea fast gleich aussehen, wobei das in Finnland aus den 1920er und das in Nordkorea aus den 1980er Jahren stammt. Es gibt einem schon zu denken, dass die Architektur einer der makellosesten Demo­kratien der Welt auch für eine Diktatur funktioniert. Das wirft die Frage auf, ob man sich nicht ganz andere Räume für Parlamente wünschen sollte. Insofern stimmt mich beim Wettbewerb zum Umbau des Wiener Parlaments traurig, dass man de facto nichts verändern darf.
Was zeichnet die zwei genauer kontextualisierten Parlamente, den österreichischen Ring­straßenbau und den aktuellen Neubau von Coop Himmelb(l)au in Tirana, aus?
Das Interessante ist, dass es jeweils nationale Bauten von Ausländern sind: der Däne Theophil Hansen in Wien und die Österreicher in Tirana. Beide verwenden internationale Architektursprachen – oder bei Coop Himmeb(l)au eher eine individuell entwickelte internationale Architektursprache.
Gab es damals und gibt es heute eine nationale österreichische Architektur, die sich irgendwie eingrenzen ließe?
Wenn man über national spezifische Architektur spricht, dann muss man Folgendes bedenken: In jedem Land sollte es zumindest zehn gute Architekten geben. Wenn man den vergleichenden Überblick behalten will, müsste man mindestens 1960 Architekten kennen. Völlig unmöglich!
100 Jahre österreichische Architektur en passant. Wenn Sie deren Entwicklung in zwei, drei Sätzen zusammenfassen, wie würde die Kernaussage lauten?
Ich halte die österreichische Architektur für eine, die sehr viel über ihren Status in der Moderne reflektiert hat. Wenn ich wirklich über österreichische Architektur zu reden begänne, würde ich über Regionen sprechen, über Vor­arlberg, über Tirol, über Wien, über die Steiermark. Die Art, wie Architektur gemacht wird, die Auftraggeberbeziehungen, die Bauherren und Investoren – das sind übrigens auch „Fun­damentals“ – sind sehr unterschiedlich in diesen Regionen. Die Nation hat hier als Abgrenzung nur wenig Aussagekraft.
Das kommentierte Interview führte Angelika Fitz
Fakten
Architekten Kühn, Christian, Wien
aus Bauwelt 21.2014
Artikel als pdf

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