Die guten DDR-Dinge
Öffentliche Inventarisierung der Sammlung Höhne in München
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Die guten DDR-Dinge
Öffentliche Inventarisierung der Sammlung Höhne in München
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Mit der Wende 1989, der Übernahme der D-Mark im Juli 1990 und dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik im Oktober jenes Jahres verschwand nicht nur ein totalitäres Staats- und Wirtschaftssystem mitten in Europa – es erodierte auch die Wertschätzung einer in rund 45 Jahren geleisteten Kulturproduktion.
Weitgehend sang und klanglos vollzogen sich der Untergang der Produktkultur und der Alltagsästhetik der DDR. Wirtschaftlicher Auslöser war der Zusammenbruch der produzierenden Industrie im Beitrittsgebiet. Rund 8000 Volkseigene Betriebe mit vier Millionen Beschäftigten wurden ab 1990 privatisiert, zu 95 Prozent gelangten sie in den Besitz auswärtiger Eigentümer. Der Markt wurde „bereinigt“. Selbst traditionsreiche Branchen wie die Glasherstellung in der Lausitz mussten ihren Betrieb einstellen. Ein Klima der Siegermentalität etablierte sich, in dessen Folge viele Archive, Mustersammlungen und die Anerkennung der Formgestalter und ihrer Biografien verloren gingen.
Die Neue Sammlung in München hat 2013 mit Sondermitteln des Freistaats Bayern wesentliche Teile des viele Tausend Stück umfassenden Konvoluts an DDR-Design erworben, das Günter und Claudia Höhne während 25 Jahren zusammengetragen haben. Es umfasst den Zeitraum von 1945 bis nach 1990 und alle Bereiche: technische Geräte, Mobiliar, Hausrat in Glas, Porzellan und Metall, Textilien, Spielzeug. Günter Höhne war der letzte Chefredakteur des DDR-Fachmagazins form + zweck. Als eine nach der Wiedervereinigung verunsicherte Bevölkerung ihren Hausstand entsorgte und durch Westprodukte ersetzte, spürte Höhne mit Sachkompetenz auch manch rares Stück im Sperrmüll und durch Kollegenkontakte auf.
Rar deshalb, weil die Produktion von Gebrauchsgütern unter den Bedingungen der Planwirtschaft und ihren knappen Ressourcen ganz anderen Bedingungen gehorchte als im Westen. So wurde manches zur Devisenbeschaffung vorrangig für den Export hergestellt und erreichte die heimische Bevölkerung nur in kleiner Stückzahl. Ikea etwa vertraute bereits 1974 in der allerersten deutschen Filiale bei München auf skandinavisches Design made in GDR: Aluminiumleuchten aus Halle. Eine andere Widrigkeit der Produktionsbedingungen der DDR waren politische Restriktionen. Zahlreiche Publikationen verweisen etwa auf die ideologische Säuberungsaktion im Rahmen der Formalismusdebatte ab 1950. Sie bedeutete ein faktisches Verbot der produktiven Weiterentwicklung des Bauhauserbes und die Brandmarkung „amerikanisch-imperialistischer Tendenzen“ in der Gestaltung. Dieser Vorwurf traf auch überzeugte Kommunisten wie den Niederländer Mart Stam, der 1951 das von ihm gegründete „Institut für industrielle Gestaltung“ in Berlin-Weißensee verlassen musste.
Ein heimatkünstlerisches Erbe, auch des Ornaments, wurde beschworen. In der Architektur prägte ein sowjetisch inspirierter Neo-Klassizismus die folgenden Jahre, bis Chruschtschow 1955 dessen „Unmäßigkeit“ verurteilte – als realitätsfernen Formalismus!
Nun durfte sich ein sachlicher Funktionalismus neu entfalten, auch als ideologisches Instrument im Wettstreit des Kalten Krieges. Während die westliche Konsumgüterindustrie mit einer verschwenderischen Gestaltdifferenzierung die Absatzmärkte stimulierte, setzte das industriell unterentwickelte Mangelsystem der DDR auf eine zeitlose Ästhetik – als didaktisches Programm zur Stärkung der sozialistischen Lebensweise – und bei Apparaten und Elektrogeräten auf reparaturfreundliche Produkte. Heute würde man letzteren Aspekt als „nachhaltig“ loben.
Zurzeit sind die Trouvaillen der Höhnes in einer sich täglich ändernden Arbeitsausstellung in der Pinakothek der Moderne in München zu sehen. DDR-Plattenspieler liefern dezente Hintergrundmusik, während Kisten ausgepackt, Objekte systematisiert, fotografiert oder restauriert werden: eine öffentliche Inventarisierung. Danach beginnt die Grundlagenarbeit von wissenschaftlicher Erfassung und Bewertung, das Aufspüren disziplinärer Wurzeln, im Bauhaus etwa, in Kunstgewerbeschulen oder im Werkbund. Sichtung und umfassende Präsentation (gesamt-)deutschen Designs seit 1945 werden dann erstmals fundiert möglich.
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