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„Die jüngere Generation hat keine Ahnung von der Mauer.“

Interview mit den Filmemachern Simon Häcker, Christoph Lanz und Gert Monath

Text: Ballhausen, Nils, Berlin; Meyer, Friederike, Berlin

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Art+Com/Deutsche Welle

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„Die jüngere Generation hat keine Ahnung von der Mauer.“

Interview mit den Filmemachern Simon Häcker, Christoph Lanz und Gert Monath

Text: Ballhausen, Nils, Berlin; Meyer, Friederike, Berlin

Im Besucherzentrum an der Bernauer Straße wird eine filmische Animation über die Funktionsweise der DDR-Grenzanlagen aufgeführt, um zu zeigen, „wie die Mauer wirklich war“. Manch einen mag der Film an ein Computerspiel erinnern, andere fühlen sich vielleicht eher wie in einem Agentenfilm. Grund genug, den Film auf Bauwelt.de zu zeigen und bei den Filmemachern nachzufragen.
Anlässlich des 20. Jahrestags des Mauerfalls hat die Deutsche Welle bei den Berliner Medien­diengestaltern von Art+Com einen Film in Auftrag gegeben. Wie lautete der Auftrag?
Simon Häcker | Die Mutter aller Mauer-Dokumentationen zu machen!
Christoph Lanz | Besser gesagt: aller Mauer-Animationen. Es ist eine animierte Dokumentation.
Wie müssen wir uns das vorstellen?
Gert Monath | Es ging um eine grafische bzw. schematische Darstellung der Mauergeschichte. Die Anmutung haben wir gemeinsam mit der Deutschen Welle entwickelt: keine hochemotionale Geschichte, sondern eine sachliche Dokumentation, aber trotzdem nicht emotionslos. Man durchquert dabei die Grenzanlagen von Ost nach West, in der Reihenfolge, wie man ihnen begegnen würde, wenn man hätte durchgehen können. Aber eben nicht unter dem Blickwinkel eines nachgestellten Fluchtversuchs. Keiner schnauft oder will über die Mauer klettern.
Es gibt keinen Kontrast grauer Osten versus goldener Westen.
GM | Die Bernauer Straße war ja auch auf der Westseite grau. Und natürlich schien auch in der DDR und über der Mauer hin und wieder die Sonne.
CL | „Eingemauert“ stellt die Situation zu fast hundert Prozent so dar, wie es Anfang der achtziger Jahre dort ausgesehen hat, sowohl an der Bernauer Straße als auch in Hötensleben.
Warum gerade diese beiden Grenzabschnitte?
GM | In der Bernauer Straße beträgt der Abstand von der östlichen zur westlichen Straße nur 40 oder 50 Meter. Auf diesem kurzen Stück sind sehr viele unterschiedliche Sicherungseinrichtungen verbaut worden, um Fluchtversuche zu verhindern. Nicht zuletzt, weil da die Versöhnungskirche stand. Der Abschnitt wurde mehrfach umgebaut und „verstärkt“. Hötensleben war ein Sonderfall, weil das Dorf extrem dicht an der Grenze lag.
Welche Quellen haben Sie verwendet?
SH | Sowohl an der Bernauer Straße als auch in Hötensleben gibt es eine Gedenkstätte. Dadurch sind beide Bereiche sehr gut dokumentiert. Wir hatten Bilder, Fotos, Zeichnungen, Geländedaten aus Hötensleben, zum Teil Pläne der Wachtürme. Auch Luftbilder und Aufzeich­nungen der kommandierenden Leute, die da tätig waren, die oft Zeichnungen ihres Grenzabschnitts angefertigt haben. Es gab Personen, die uns strittige Fragen beantworten konnten.
Wie sind Sie technisch ans Werk gegangen?
SH | Wie in jeder anderen Architekturvisualisierung. Wir haben Cinema 4D benutzt. Wir bauen die einzelnen Objekte, geben ihnen Oberflächen, verteilen Pflanzen. Man braucht Autos, Leute, die herumstehen. Dann muss das Ganze irgendwie beleuchtet werden. Ein Renderprogramm rechnet nachher die Bilder aus. Das hat ungefähr zehn Minuten pro Bild gebraucht.
Wie viele Bilder sind es insgesamt?
SH | Rohdaten waren es sicher über 100.000 Bilder. In einer Compositing Software, in unserem Fall After Effects, werden sie dann zusammengesetzt und Hintergrundunschärfe, Color grading und ein bisschen Atmosphäre hinzugefügt.
Wie lange haben Sie daran gearbeitet?
SH | Von November bis Mai, zwischenzeitlich mit vier Leuten gleichzeitig.
Welches Budget hatten Sie zur Verfügung?
SH | Es war groß genug...
Wieso kommen im Film keine Menschen vor?
SH | Es gab im Grenzstreifen keinen Personenverkehr. Die Grenzer waren immer mit dem Auto oder dem Motorrad unterwegs.
CL | Es kommen ja Menschen vor, aber nur sehr klein, in den Wachtürmen beispielsweise. Wären sie größer zu sehen gewesen, hätten wir auch eine Handlung bringen müssen. Dann aber hätte das neutrale Konzept nicht mehr funktioniert.
Im Film wird gezeigt, wie das Signal vom ausgelösten Draht zum Wachturm gesendet wird, ohne dass eine Hand zu sehen ist. Die schwere Geheimtür in der Mauer öffnet sich ebenfalls von allein.
GM | Menschen zu zeigen hätte einen Bruch in der Ästhetik des Films bedeutet. Dass da jemand kommt und diese Tür aufzieht, kann man sich auch so vorstellen.
Im Film hört man Krähen am Friedhof, Hunde bellen hinter dem Zaun. Auch die Kaninchen, für die es einen Durchschlupf gibt, prägen sich ein. Eigentlich ist es auch ein Tierfilm.
SH | Die Tiere hatten bei der Grenzsicherung ja auch eine Bedeutung: Die Wachhunde und Kaninchen waren die einzige lebende Population in dem Bereich, und der Zaun war so konstruiert, dass die Kaninchen durchschlüpfen konnten.
GM | Sie hätten sonst den Signalzaun ausgelöst.
An wen richtet sich der Film?
CL | Die jüngere Generation hat keine Ahnung von der Mauer. Und sie kann die Mauer heute nicht mehr erleben.
Sie hätten ja auch Filmschnipsel zusammenschneiden können.
CL | Es ist nicht möglich, mit den vorhandenen Archivbildern irgendeinen Abschnitt sowohl der innerdeutschen Grenze als auch der Berliner Mauer umfassend zu dokumentieren. Eine dokumentarische Herangehensweise aber ist die Grundlage, wenn man so etwas in der Uni oder im Schulunterricht benutzen will.
Wollten Sie nicht auch der Bildwahrnehmung der jüngeren Generation entgegenkommen?
CL | Jetzt fällt das Stichwort Computerspiel. Ich benutze das Wort nicht so gerne, weil der Film nichts mit einem Spiel zu tun hat. Aber er verwendet die Ästhetik.
Früher wurde ein Mauerabschnitt im Modell nachgebaut und zur Erklärung mit Knöpfen und Leuchten ausgestattet. Die analoge Art hat ja mal funktioniert. Wann funktioniert denn so ein Film nicht mehr?
SH | Ich finde solche Modelle immer noch gut, aber man muss eben dahin gehen, wo das Modell steht. Technisch ist unser Film wahrscheinlich in fünf Jahren total veraltet. Aber ich hoffe, dass er durch den Inhalt auch dann noch ansehbar ist.
CL | Das ist immer ein Ausdruck der Zeit. Der sachlich-faktische Erzählstil verändert sich nicht gravierend über die Zeit.
Genügt die Realität nicht, um den Eindruck der Mauer für heutige Generationen erlebbar zu machen?
CL | Sie sprechen die Gedenkstättendiskussion an. Nämlich, ob man – verkürzt gesagt – ein
Disneyland macht, alles wieder aufbaut, wie es war, oder ob man das, was da ist, hält und dar-
auf aufbauend einen Gedenkraum schafft. Letzteres versucht die Gedenkstätte an der Bernauer Straße. Es wird nur das erhalten, was noch da ist.
GM | Es gibt eigentlich kaum noch Stellen, die auch nur ansatzweise zeigen, wie die Mauer tatsächlich war. Und es gibt fast keine Mauergedenkstätten. Wir können unseren Kindern also nur einen Film zeigen.
SH | Die Mauer erfahrbar zu machen, schafft kein Film und auch keine Gedenkstätte. Weil einfach das beklemmende Gefühl nicht so erzeugt werden kann.

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