Die opulente Modellschau „Realstadt“ polarisiert
Wünsche contra Wirklichkeit
Text: Schultz, Brigitte, Berlin; Meyer, Friederike, Berlin
Die opulente Modellschau „Realstadt“ polarisiert
Wünsche contra Wirklichkeit
Text: Schultz, Brigitte, Berlin; Meyer, Friederike, Berlin
Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung hatte einen „call for models“ gestartet. Jeder konnte teilnehmen und architektonische oder stadtplanerische Modelle einsenden. Die Kuratoren haben aus rund 500 Einreichungen 250 ausgewählt und im Berliner Kraftwerk Mitte arrangiert.
Ob das gelungen ist, darüber gehen die Meinungen auseinander – auch in der Bauwelt-Redaktion.
Pro
Ich liebe Literatur über Stadt, zeichne gerne und hasse Modellbau. „Realstadt“ bietet fast keinen Text, überhaupt keine Pläne, dafür 250 Modelle. Trotzdem ist die Schau die beste Ausstellung zur Stadt, die mir in den letzten Jahren unter die Augen gekommen ist. Warum? Weil sie anschaulich ist und nicht verklausuliert. Weil sie uns nicht sagt, wo es langgehen soll, nicht oberlehrerhaft vorbildliche Lösungen zur Schau stellt oder den Besucher mit endlosen Textbeiträgen oder schwer leserlichen Plänen beeindruckt, aber am Ende doch eher erdrückt. Weil sie nicht den gleichen Kram, den man schon überall gesehen hat, einfach nochmal anders durch den Kakao zieht. Weil sie für Laien konzipiert ist, diese aber nicht zu Idioten erklärt. Und weil sie die Möglichkeit eröffnet, zu begreifen, wie vielfältig, aber insbesondere wie subjektiv die Vorstellungen von Stadt sind – und wie manipulativ deren Vermittlung.
Fülle bedeutet nicht gleich Beliebigkeit, Zurückhaltung nicht Inkompetenz. Die kuratorische Hand ist deutlich zu spüren und leitet behutsam durch die Auswahl, die eine gute Mischung aus Vertrautem und Unbekanntem bietet. Die nötigen Informationen werden knapp und präzise vermittelt – so ist man auch nach dem 200. Modell noch neugierig auf mehr (was allein schon eine beachtliche Leistung ist). Die Masse der Modelle aus allen Bevölkerungsteilen zeigt zugleich, dass es sich hierbei nur um einen kleinen Ausschnitt handelt. Das macht bewusst, an welch verschiedenen Ecken im Land über Stadt nachgedacht wird und wie – und zwingt damit den berufskranken Blick über den Tellerrand.
Der Auftrag an die Kuratoren war es, eine Schau zu konzipieren, die Laien begeistert und Fachleute nicht langweilt. Diese Gratwanderung ist hervorragend gelungen. Nur weil etwas spektakulär aussieht, muss es nicht unbedingt einen Haken haben. Muss denn jede Ausstellung brav in unserem intellektuellen Architektenkarree bleiben? Ausstellungen dürfen Spaß machen. Genau das tut Realstadt. Und ist dabei auch noch extrem inspirierend. BS
Contra
Realstadt. Hätte ich nicht gewusst, dass sich hinter dem nach Supermarkt klingenden Kunstwort eine spektakulär inszenierte Ausstellung mit Modellen im ehemaligen Kraftwerk Mitte verbirgt, neugierig gemacht hätte mich der Titel nicht. Nun bin ich da und stehe im Industriecharme einer 30 Meter hohen Halle, umgeben von vielen Modellen, von denen ich erfahre, dass es 250 sind. An der Wand hängt ein Text, der um die Reizwörter Wunsch, Wirklichkeit, Geld und Wissen kreist und sagt, dass Städte aus Wünschen gemacht sind. Ich überlege kurz, mit welchem Wort ich „Wünsche“ ersetzen könnte, ohne die Textaussage zu verändern, schweife gedanklich an einem Pavillon in Venedig vorbei und beginne meinen Rundgang.
Anhand der Texte und Datenblätter (Jahr, Autor, Maßstab, Leihgeber), mit denen jedes Modell versehen ist, versuche ich Kategorien zu bilden und Schlüsse zu ziehen: Wie viel wirklich Gebautes ist hier miniaturisiert, wie viel ist Konzept geblieben? Unterscheiden sich die Modelle aus den 80ern von heutigen? Wer von den Einsendern möchte wohl seinen Wettbewerbsentwurf zurück in die Diskussion bringen, welche Bürgerinitiative ihren Alternativvorschlag? Was hat das alles mit „realer“ „Stadt“ zu tun? Auf der Hälfte breche ich ab. Ich bekomme zu wenig Information, um eine Haltung zum Entwurf oder zur jeweiligen Stadt einnehmen zu können, erfahre aber auch zu viel, um mich unvoreingenommen auf das Modell einzulassen. Stattdessen lese ich, was sich Städte so alles wünschen: etwas mehr Unernst für die verkehrsgerecht geplante Stadt zum Beispiel oder eine Rückbesinnung auf die historische Struktur, vielfältig nutzbare Veranstaltungshallen oder kurze Wege zwischen Ballungszentren. Jetzt verstehe ich: Die Kuratoren bieten Vielfalt an, ich darf mir meine eigene Meinung bilden. Doch wozu? An welcher These darf ich mich reiben? An der, dass Städtebau Spaß machen kann?
Die Ausstellung will Laien begeistern und Fachleute nicht langweilen. Laien schreiben gern ins Gästebuch. Von einer „großartigen Inszenierung“ und dem Wunsch nach einem Katalog ist da zu lesen. Das bestätigt mein Fazit: Masse fasziniert, verlangt aber auch nach Einordnung. FM
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