„Ein B-Plan in neun Monaten! Das ist ein Wunder in dieser Stadt!“
Text: Kleilein, Doris, Berlin; Geipel, Kaye, Berlin
„Ein B-Plan in neun Monaten! Das ist ein Wunder in dieser Stadt!“
Text: Kleilein, Doris, Berlin; Geipel, Kaye, Berlin
Interview mit Mary-France Jallard Graetz über die Baugruppe „Am Urban“
Baugruppen, das heißt normalerweise Eigentumswohnungen. Bei Ihnen gibt es nicht nur eine Mischung aus Wohnen und Arbeiten, sondern auch eine Tagesklinik und ein Projekt für Übergangswohnen. Wie kam dies zustande?
Mary-France Jallard Graetz | Das Krankenhausunternehmen Vivantes hatte 2008 das Areal an uns verkauft, 2009 suchten sie dann eine Fläche für eine psychiatrische Tagesklinik. Vivantes hat uns gefragt, ob sie einen Teil zurückkaufen könnten. Das war die perfekte Lösung: Die Tagesklinik ist autark, aber es gibt kurze Wege zum Krankenhaus. Bei der zweiten Einrichtung, einem Wohnprojekt für psychisch erkrankte Mütter, wollten wir ein Baufeld verkaufen, weil wir nicht in der Lage waren, es zu bebauen. Aber wir haben nicht über Immobilienscout nach einem Investor gesucht. Ich habe eine Rundmail an 30 soziale Träger geschrieben.
Sie haben die Baugruppe in 16 Planungsgemeinschaften aufgeteilt. Warum?
Es gab einen Haftungsgrund und einen Finanzierungsgrund. Wir haben mit 140 Parteien das Grundstück gekauft. Um die Haftung für den Einzelnen so klein wie möglich zu halten, haben wir eine GmbH gegründet. Wären wir eine GbR, hätte jeder für die 13,5 Millionen Kaufpreis in Haftung genommen werden können. Und dann war auch klar, dass mit Beginn der Baumaßnahmen die Entscheidungsprozesse in den einzelnen Häusern stattfinden sollten.
Und der Finanzierungsgrund?
Die Bank hat vorgeschlagen, das Grundstück in Einheiten von 2 bis 3 Millionen Euro Finanzierungsvolumen aufzuteilen. Geteilt durch 10 Parteien sind das etwa 300.000 Euro pro Wohnung, eine greifbare Summe. Jeder einzelne wurde auf Kreditwürdigkeit geprüft, das war mühsam. Einige hatten gerade die 20 Prozent Eigenkapital, andere waren deutlich lockerer. Am Ende haben wir alle die gleichen Konditionen bekommen. Hinzu kam, dass in diesem Bezirk die Mieten explodiert sind. Die Wohnanlage wird quasi jeden Tag mehr wert.
Es scheint, als hätten Sie sich bei der Entwicklung eher an der klassischen Immobilienwirtschaft orientiert als an Baugruppen-Projekten?
(zieht die Augenbrauen hoch) Wir sprechen hier von Investitionskosten von 45 Millionen Euro. Die klassische Baugemeinschaft mit 10 Parteien, die finden sie bei uns in einem einzigen Haus.
Was war das größte Problem bei der Finanzierung?
Das Eigenkapital, das wir nicht hatten. Eine Bank finanziert ungern so eine große Summe für ein Krankenhausareal, das nicht mehr als Krankenhaus genutzt werden darf – das war die Einschränkung im Kaufvertrag, um Vivantes keine Konkurrenz machen zu können. Wir haben also Altbauten gekauft, die kein Baurecht hatten, und die Hälfte der Kaufsumme musste auch noch finanziert werden. Wir standen sehr unter Druck und haben uns gefragt: Ab welchem Moment finanziert die Bank? Das ist dann, wenn das Baurecht vorliegt, also der Bebauungsplan: Eine schnelle Abstimmung mit dem Bezirk war nötig. In neun Monaten hatten wir unseren B-Plan, das war absolut spitze. Neun Monate! Das ist ein Wunder in dieser Stadt!
Wie haben Sie sich bei dem Verkauf gegen große Investoren durchgesetzt?
Im Gegensatz zu einem Investor hatten wir ein gut ausgearbeitetes Nutzungskonzept, ganz klassisch, wie Architekten eben vorgehen. Das haben wir zu Papier gebracht, was ein Investor so auf die Schnelle nicht macht. Es kostet ihn Geld, und er weiß nicht, ob er das Grundstück bekommt.
Und wie haben Sie den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg von Ihrem Konzept überzeugt?
Der Bezirk wollte vermeiden, dass in einem bereits historisch von Mauern umschlossenen Gebiet ein Investor eine Wohnanlage realisiert, die das Areal noch mehr abschließt. Wir konnten nachweisen, dass die Leute, die hier einsteigen, Selbstnutzer sind und schon seit 20 Jahren in Kreuzberg wohnen. Zudem haben wir im Vorfeld geklärt, welche Nutzungen infrage kommen und wie die Gebäude umgebaut werden können. Im Gegensatz zu einem Investor haben wir sehr konservativ gerechnet. Wir haben z.B. die Wohnfläche auf den Galerien und die Souterrains nicht mit verkauft. So konnten wir den Bezirk überzeugen, dass wir kein Spekulationskonzept realisieren wollen – ein ausgeglichenes Wohnquartier, keine „gated community“.
War diese prozesshafte Arbeitsweise ein Vorteil gegenüber einem herkömmlichen Investor?
Auf jeden Fall. Wir hatten bereits vor dem Kauf die Hälfte der Flächen„verkauft“. Zudem standen wir 2008 kurz vor dieser Immobilienblase, es waren viele Investoren unterwegs, die wollten kaufen, kaufen, kaufen. Gegen einen klassischen deutschen Investor, der mit einer Miete von elf Euro pro Quadratmeter rechnet, hat man als Baugruppe eine gute Chance. Aber ein international agierender Investor, der die Preise in Paris und London kennt, geht davon aus, dass er in zehn Jahren auch in Berlin viel viel mehr verlangen kann. Der rechnet ganz anders.
Wie haben Sie dann den Zuschlag bekommen?
Vivantes hatte schon einmal schlechte Erfahrungen mit einem Investor gemacht. Unser Hauptkonkurrent hatte eine Finanzierungszusage von einer isländischen Bank. Da hat Vivantes uns gesagt: Bietet das gleiche wie der andere, dann können wir frei entscheiden. Da haben wir 500.000 Euro draufgelegt.
Zwei Infoabende pro Woche, Verhandlung mit den Banken. Wie haben Sie das als kleines Büro gemacht? Wurden Sie dafür bezahlt?
Wir haben für die sogenannte Entwicklungsphase eine Aufwandsentschädigung von 5 Euro pro Quadratmeter erhalten. Das deckt natürlich nicht annähernd die realen Kosten. Im ersten Jahr habe ich nur für die Entwicklung und den Vertrieb gearbeitet, dann haben wir das Büro vergrößert und Mitarbeiter für die Planung bezahlt.
Wenn Sie den gesamten Prozess Revue passieren lassen, was war die größte Schwierigkeit?
Am Anfang dachte ich, die Baugruppe zusammenbringen, die Finanzierung aufstellen. Doch das stellte sich als das Einfachste heraus. Schwierig war das Bauen, der Umgang mit so vielen Bauherren. Wir haben 280 Erwachsene, die nur einmal im Leben bauen und sich dauernd etwas Neues einfallen ließen. Wir haben zwar von vornherein Gebäude unterteilt und Typologien gemacht; es gab eine Baubeschreibung, in der man sich zwischen Parkett oder Wandfliese A und B entscheiden sollte. Aber was wir am Ende gebaut haben, hat nur noch wenig mit dieser Baubeschreibung zu tun.
Ihnen war die Einbindung in den Kiez immer wichtig. Wie beurteilen Sie das heute?
Ganz am Anfang gab es viele Diskussionen über dieses Projekt, es gab sogar einen Blog, auf dem sich Leute dagegen ausgesprochen haben. Sie wollten nicht verstehen, dass man auf dem freien Markt eine Mietwohnung nicht für ein paar hundert Euro bauen kann. Aber wir hatten Glück: keine Beschädigungen, keine Brände. Es gibt allerdings viel Rücksichtslosigkeit. Die Grünanlagen sind sehr gepflegt, aber die Leute werfen Müll hinein. Die Wege und der Spielplatz sind öffentlich, aber es setzen sich Leute von Außerhalb einfach auf eine private Terrasse. Dabei gibt es doch eine unsichtbare Grenze, die ist nur leider nicht angekommen. Ich bin Schweizerin und verstehe das nicht. Manchmal habe ich das Gefühl, man muss alles auflisten, was man darf und was nicht.
Fünf Minuten entfernt ist das Kottbusser Tor mit einer ganz anderen sozialen Mischung als in dieser doch eher gehobenen Wohnanlage.
Es gibt viele türkische und arabische Jugendliche in der Nachbarschaft, mit denen funktioniert das: Die sind beim ersten Mal gekommen und haben gefragt, ob sie hier spielen dürfen und wir haben ihnen gesagt, was sie beachten sollen. Aber es gibt Typen, die kommen mitten in der Nacht besoffen in die Höfe, springen auf dem Kindertrampolin herum und flippen aus, wenn man sie bittet, wieder zu gehen: „Was seid Ihr für Gentrifizierer? Auf diesem Gelände war eine tolle Tagesklinik und wegen eurem Geld musste die Tagesklinik gehen.“
Gibt es unter den Eigentümern eine Diskussion darüber, ob die Tore doch besser geschlossen werden sollten, etwa in der Nacht?
Es gab die Diskussion, immer hin und her. Der Kompromiss ist: Wir lassen die Tore erstmal offen stehen, wenn es schlimm werden sollte, dann können wir sofort absperren.
Ist der Weg durch das Areal öffentlich?
Ja, Sie können sich nicht vorstellen, wie viele Leute am Wochenende hier durchgehen.
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