Bauwelt

Ein Bündnis zum Ablenken

Gast­kommentar von Roland Stimpel zur Wohnungspolitik in Berlin

Text: Stimpel, Roland, Berlin

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Foto: Andreas Rentz/Getty Images

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Ein Bündnis zum Ablenken

Gast­kommentar von Roland Stimpel zur Wohnungspolitik in Berlin

Text: Stimpel, Roland, Berlin

Vorbei die Zeiten, als Berlin ein Mieter-Eldorado war. Inzwischen sind Wohnungen knapp. Die Mieten steigen. Mit dem „Bündnis für soziale Wohnungspolitik“ will der Senat nun Abhilfe schaffen. Was meinen Sie? Erster Schritt oder nur Ablenkungsmanöver? Diskutieren Sie mit.
Stolz verkündet Berlins Stadtentwicklungssenator Michael Müller ein „Bündnis für soziale Wohnungspolitik und bezahlbare Mieten“. Er hat einen treuen Bündnispartner gefunden: sich selbst. Auf der einen Seite steht Müller als Regierungsmann, auf der anderen Müller als Oberherr der sechs städtischen Wohnungsbaugesellschaften. Mit sich einig ist sich der Senator, dass die Miethöhe in städtischen Wohnungen auf 30 Prozent des Einkommens gedämpft werden soll und höchstens 15 Prozent in vier Jahren steigen darf und dass ein paar Neubau-Grundstücke an die eigenen Gesellschaften verschenkt werden. Werden städtische Wohnungen frei, soll in der Innenstadt jede zweite an Wenigverdiener gehen, weiter draußen jede dritte.

Das klingt alles sehr sozial. Und den Mietern, die es begünstigt, hilft es auch – etwa 15 Prozent der Berliner. Aber was ist mit den übrigen 85 Prozent? Sie haben indirekt zwei Nachteile: Die glückliche Minderheit unterm städtischen Schutzdach genießt niedrige Mieten, bewohnt darum eher größere Flächen und zieht nur im Notfall aus. Bei den städtischen Gesellschaften werden somit weniger und eher kleinere Wohnungen frei. Hier tritt der fatale Effekt ein, den jede gut gemeinte Mietdämpfung auf einem engen Wohnungsmarkt hat: Was die Schmerzen der Knappheit lindern soll, ruft letztlich neue Knappheit und weitere Schmerzen hervor. Positiv am Bündnis ist allerdings die erleichterte Möglichkeit, aus einer größeren in eine kleinere Wohnung aus dem „Pool“ der städtischen Gesellschaften zu wechseln, ohne dabei die günstigen Mietkonditionen zu verlieren, die man in der größeren Wohnung genoss – ein Anreiz, sich vielleicht doch zu verkleinern.

Der zweite Nachteil für die Mehrheit: Das Bündnis verdonnert die städtischen Gesellschaften zu Mietverzicht. Erste Rechnungen sprechen von 20 Millionen Euro im Jahr. Das bedeutet mehr Schulden, mehr Steuern – oder weniger städtische Leistungen für alle. Das trifft alle Berliner. Und speziell die Ärmeren, die von Staatsleistungen am meisten abhängig sind. Hier benötigte Müller auch ein Bündnis mit Finanzsenator Ulrich Nussbaum. Hingegen keines mit dem Parlament: Eine Nicht-Einnahme hat zwar
die gleichen Folgen wie eine Ausgabe, kommt aber praktischerweise in keinem Haushalt vor.

Mit der Bevorzugung ärmerer Mieter in der Innenstadt soll das Bündnis ein Mittel gegen die Gentrifizierung in den zentralen Bezirken sein. Es wird aber hauptsächlich dort angewandt, wo Gentrifizierung gar nicht stattfindet: Städtische Wohnungen liegen überwiegend in bescheidenen Nachkriegsbauten, oft sind das ganze Siedlungen. Deren Grundrisse, Städtebau, Infrastruktur und Straßenleben schrecken Gentrifizierer eher ab. Ärmere, Anspruchslosere sind hier weitgehend unter sich. Sie werden es auch morgen sein – ob mit oder ohne Bündnis.

Das Bündnis verspricht außerdem Neubau auf günstigen oder gar verschenkten Grundstücken. Auch hier verzichtet das Land auf Einnahmen. Wenige pro­fitieren, alle zahlen. Zudem tragen Grundstückspreise nur etwa 10 bis 20 Prozent zu den Gesamtkosten eines Geschossbaus bei. Höchstens um diesen Anteil lassen sich Mieten senken.
Unterm Strich bekämpft das Eigen-Bündnis fast nur Symptome. Es lenkt davon ab, dass seine Initiatoren so gut wie nichts gegen die Krankheit selbst tun: den stetig wachsenden Mangel an Wohnungen. Berlin wächst um 40.000 Einwohner und 35.000 Arbeitsplätze im Jahr; auch die Einkommen steigen. Mehr Wohnungen sind gefragt, es werden aber kaum welche gebaut – im vorigen Jahr nur 4500, klägliche zwei Promille des Bestands.

Hauptgrund dafür ist die Lücke, die zwischen Neubaukosten und der Zahlungsfähigkeit der meisten Berliner klafft. Wo keine zahlungskräftigen Massen leben, gibt es auch keinen massenhaften Wohnungsbau. Wenn nicht der Staat einspringt. Dafür ist aber gerade Berlin zu verschuldet. Viel weniger würde es kosten, den Bauwilligen, die es durchaus gibt, Hindernisse aus dem Weg zu räumen: Bürokratie abbauen, Verfahren beschleunigen, Baurechte schaffen. Das aber bringt Ärger mit den vielen Kiez-Lobbyisten, die am liebsten jede Brache unter sozialen Biotopschutz stellen würden.

Wer dagegen politisch ankämpft, holt sich in Berlin leicht eine blutige Nase. Viel bequemer sind große Worte wie die vom neuen Bündnis. Das schafft aber so gut wie keine neue Wohnung. Es verstärkt nur die Illusion, man könne ein Mangelproblem beheben, ohne gegen den Mangel etwas tun zu müssen.


Aus der Pressemitteilung der Berliner Senatsver­waltung für Stadtentwicklung und Umwelt vom 4. September 2012:


Der Berliner Senat hat in seiner Sitzung vom 04.09.2012 ein „Bündnis für soziale Wohnungspolitik und bezahlbare Mieten“ beschlossen, das unmittelbar im Anschluss an die Senatssitzung von Stadtentwicklungssenator Michael Müller und Vorständen und Geschäftsführern der sechs städtischen Wohnungsbaugesellschaften unterzeichnet wird.

Die wichtigen Regelungen im Überblick:
• Weitere Erhöhung des öffentlichen Wohnungsbestandes von derzeit rd. 277.000 auf 300.000 Wohnungen durch Zukauf und Neubau
• Direktvergabe städtischer Grundstücke zum Verkehrswert oder als Sachwerteinlage an die städtischen Wohnungsbaugesellschaften auf der Grundlage überzeugender Wohnungsbaukonzepte
• Pilotprojekt über die Bereitstellung von 14 Grundstücken als Sachwerteinlage für die städtischen Wohnungsbaugesellschaften in 2012 für Wohnungsneubau zu verträglichen Mieten für breite Schichten
• Stärkung des studentischen Wohnens durch Kooperation der städtischen Wohnungsbaugesellschaften mit dem Berliner Studentenwerk
• Sozialverträgliche Miethöhe für Bestandsmieter durch Einführung individueller Lösungen mittels einer Sozialklausel
• Bei Mieterhöhungsverfahren Beschränkung der individuellen Nettokaltmiete auf 30 Prozent des Haushaltsnettoeinkommens sowie Härtefallregelungen bei individuellen Härten
• Die genannten individuellen Lösungen greifen auch bei Sozialwohnungen, bei denen die Mieterhöhungen aus den planmäßigen Fördermittelreduzierungen resultieren
• Vermittlung in strittigen Fällen durch eine Schiedsstelle
• Bei Wiedervermietung wird innerhalb des S-Bahnrings jede zweite Wohnung und außerhalb des S-Bahnrings jede dritte Wohnung quartiersbezogen zur ortsüblichen Vergleichsmiete an Haushalte mit Anspruch auf Wohnberechtigungsschein vergeben
• Fairer Wohnungstausch bei gewünschter Wohnungsverkleinerung, die städtischen Wohnungsbaugesellschaften bilden hierzu einen gemeinsamen Pool
• Mieterhöhungen maximal um 15 % in 4 Jahren entsprechend Berliner Bundesratsinitiative und max. bis zum Berliner Mietspiegel (statt derzeit 20 % in 3 Jahren)
• Modernisierungsumlage maximal 9 % der aufgewandten Kosten entsprechend Berliner Bundesratsinitiative und Gewährleistung verträglicher Mietbelastungen modernisierter Wohnungen
• Umfassende Einbeziehung der Mieterschaft in den Modernisierungsprozess

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