„Ein öffentliches Projekt wird hier diskutiert, als wär’s das eigene Haus.“
Interview mit Bruno Spagolla
Text: Aicher, Florian, Leutkirch
„Ein öffentliches Projekt wird hier diskutiert, als wär’s das eigene Haus.“
Interview mit Bruno Spagolla
Text: Aicher, Florian, Leutkirch
Der Architekt aus Bludenz baut seit 25 Jahren „oben“ im Großen Walsertal öffentliche Bauten wie Gemeindeverwaltung, Veranstaltungssaal, Feuerwehr, Kindergarten. Bruno Spagolla über die Veränderungen im dörflichen Selbstverständnis, wenn sich das traditionelle Ensemble aus Kirche, Schule und Wirtshaus zu einem Ortszentrum verdichtet.
Ein Tal, an dem die Segnungen des mondänen Tourismus und die Verhüttelung für die Wochenendler vorbei gezogen scheinen. Was hat ein Architekt da verloren?
Bruno Spagolla | Ich bin in Bludenz aufgewachsen, da lag das Große Walsertal sozusagen vor der Tür. Und in meiner Jugend war es regelmäßig und oft Ziel unserer Sommerfrische, die mein Vater – Schneider und Musikant, dessen Spezialität die Tracht der Musikkapellen war – im Naturaltausch für seine Dienste von den Bauern bezog. Kindheitserinnerungen. Das riss mit dem Studium in Wien ab, aber bereits als junger Architekt führte mich ein Wettbewerb für die Hauptschule in Blons wieder hierher. Daraus wurde eine Schaffens- und Lebenszeit von einem Vierteljahrhundert, Zweitwohnsitz und Jagd inbegriffen.
Die Einheimischen und der Architekt von „draußen“. Wie wuchs das zusammen?
Die Walser hatten vor dem Akademiker einen etwas altmodischen Respekt, der Distanz einschloss. Sobald sie merkten, dass man unbefangen miteinander reden kann und sie nicht in die Schublade Hinterwäldler sortiert, sind sehr gute Beziehungen entstanden, mit großer Bereitschaft für Neues. Das sind Menschen, die sehr praktisch sind, alle haben einen bäuerlichen Hintergrund. Tolle Leute, starke Charaktere, ganz wach. Was ich zu tun hatte, war Neuland für mich – und für sie. Das hat uns vereint. Wir waren Pioniere, beide. Für sie war es die erste große Schule mehrerer Gemeinden, für mich der erste Schulbau, das erste große Haus, eine Herausforderung für einen Anfänger von Mitte 30. Da schauen alle, wie sich einer reinhängt.
Wie wurde das Projekt damals kommuniziert?
Es gab den Bauausschuss, es gab die Bürgermeister der beteiligten Gemeinden, die unterschiedlichsten Personen. Der Bürgermeister von Blons war Beamter in Bregenz, viele hatten Arbeit „draußen“. Es gab die Bauern. Neben den Arbeitssitzungen war das bedeutendste „Gremium“ der Wirtshausbesuch nach diesen Sitzungen. Da haben alle teilgenommen, Bergbauer wie Kommerzienrat. Und das war intensiv! Da habe ich viel gelernt, etwa: Bevor man zur Architektur kommt, redet man über den Gebrauch. Ein Bauer will wissen: Wie benutzt man das? Darauf muss man eingehen, dann wollen die Leute auch wissen, was schön ist. Und sie wissen selber viel – Materialgerechtigkeit muss man hier nicht erklären.
Entwickelt sich das anders als draußen im breiten Tal?
Das geht hier direkter. Ein öffentliches Projekt wird diskutiert, als wär’s das eigene Haus. Auf einen Vorschlag folgen die Fragen: Wie lange hält das, wie machst Du das? Das dauert manchmal, aber dann sitzt es meist.
Und das im Wirtshaus?
Es gibt diese Anonymität überhaupt nicht. Was der politische Entscheidungsträger macht, sehen alle, und er muss dafür geradestehen. Das gilt, abgeschwächt, für alle Äußerungen – aber natürlich erst recht bei einem öffentlichen Bau.
Die Gremien der Gemeinden sind wohl auch weniger neutrale Gebilde. Spielt die Größe des Ortes eine Rolle?
Das sind natürlich Typen, das sind Köpfe. Im Wortwechsel der Lauten und Leisen wächst Einem von auswärts eine Rolle zu – oft habe ich den Katalysator spielen können. Da kann es hoch hergehen, aber aus verbalen Raufereien sind auch Freundschaften entstanden. Die Größe ist wesentlich. Weil die Gemeinschaft kleiner ist, ist die Differenziertheit der Spielregeln wahrnehmbarer, konkreter, für alle Beteiligten. Natürlich gibt es Interessen, aber die sind als Teil der Argumente erkennbar und verflüchtigen sich nicht in Abstraktionen, mit denen man manipulieren kann.
Wer führt Regie? Wie kam es zu den Aufträgen?
Natürlich gehen manche voran – der Bürgermeister, die Leute vom Bauausschuss. Aber die Aufträge kamen ganz unterschiedlich zustande. Mal ein Wettbewerb, mal eine Direktvergabe nach langen Erörterungen über die Gemeindeentwicklung, mal ein Folgeauftrag nach einer „Notoperation“ an einer vermasselten Baumaßnahme, mit der man der Gemeinde aus der Klemme helfen konnte. Immer wieder Wettbewerbe, Gutachten. Vertrauensbildung spielt die entscheidende Rolle, man hilft sich, gewinnt Aufmerksamkeit. Und immer: die stark fundierte persönliche Kommunikation.
Da ergaben sich doch sicher auch private Aufträge?
Eigentlich nicht. Wenn nicht die vielen Gespräche und Beratungen gezählt werden, die an solche Anlässe angedockt sind: ein Tipp hier, eine Unterstützung für den Kontakt mit der Planungsstelle dort. Wir haben gut zusammengespielt, konnten vieles unkompliziert verbessern. Aber sonst habe ich mich aus privaten Planungen herausgehalten.
Private Bauherren exponieren sich mit ihrem Architekten, Unternehmen schärfen ihr Profil mit ihm. Was treibt eine Körperschaft wie eine Gemeinde um?
Man sieht sich im Vergleich zur Nachbargemeinde, die Einzelnen identifizieren sich über Bauten, das überträgt sich auf die Institution, die als Projektionsfläche eigener Identitätsbedürfnisse gesucht wird. Es geht um Außenwirkung, ganz stark aber auch um Innenwirkung: Wir, jetzt, hier! Das hat ganz elementare Auswirkungen, etwa für Jüngere, wenn die sich entscheiden, hier zu bleiben. Da bewirkt Bauen viel, es belebt die dichten Netze persönlicher Bindung.
Hier, jetzt – Präsenz, Intensität. Steht statt fragmentierter Eindrücke das Zusammenspiel in leibhaftigem Erleben im Vordergrund?
Zeit spielt hier eine ganz andere Rolle: Spontane Entscheidungen ruhen auf langer Lebenserfahrung, weniger auf kausal verkürzten Sequenzen. Werte spielen eine deutliche Rolle, ebenso Emotion, Sentiment. Der Begriff Heimat, mit dem man hier wenig Probleme hat, zeigt Inhalt, wenn auch nicht nur rational bilanzierte Argumente, persönlich beglaubigt. Anders als in der Stadt ist das hier personifizierbar. Immer wieder erstaunt und fasziniert mich das Potenzial an hervorragenden Köpfen in den kleinen Gemeinden.
Was bedeutet das für das Entwerfen? Wieder einmal haben Methoden „objektiven Gestaltens“ Konjunktur, diesmal unter dem Titel: parametrisch. Ist so etwas hier denkbar?
Na ja, was steckt in dieser Pseudo-Objektivität an subjektiven Vorannahmen! Die subjektiven Faktoren liegen offen zutage; auch ich bin ein solcher Faktor: Wenn ich das Spiel mitspiele, kann ich nicht draußen stehen. Eine Hypothese: Die ganz ungekünstelte Gebrauchsfähigkeit liefert einen Parameter, der archaisch, evident und für alle nachvollziehbar verdichtet.
Verdichtung, ein wichtiges Stichwort. Spitzen Ihre Gemeindebauten im Wechsel von Streusiedlung und Ortsbildung die Verdichtung nicht geradewegs zu? Stehen sie nicht immer neben der Kirche?
Die Siedlungsgeschichte kennt hier keine historischen Ortskerne. Sakrale Orte in Tages-Geh-Distanz strukturieren und rhythmisieren das Tal. Ausgesuchte Plätze sind das: Nie wurde eine Kirche Opfer von Lawinen, den Tragödien des Tals. Spä-ter kam ein Wirtshaus, kam die Dorfschule dazu – das war’s. Nun ändern sich die Lebensformen und mit ihnen die sozia-len Strukturen, neue Themen werden wichtig, darunter ganz sicher: die Wahrnehmbarkeit des Ortes. Das ist ein siedlungsstruktureller Quantensprung. Der Siedlungsrhythmus verstärkt sich, die Hierarchie wird prägnanter, wird baulich akzentuiert.
Bereits die Position eines Gebäudes gibt das zu erkennen?
Ja, das klassische Walserhaus, das Wohnen und Arbeiten vereint, steht mit dem First senkrecht zum Hang. Dagegen legen sich die neuen Gemeindebauten, mit einer Ausnahme, parallel dazu. Bereits das hebt sie heraus.
Zum Beispiel in Blons, wo es drei Gemeindebauten gibt: Die Gemeindeverwaltung mit Wirtshaus liegt als „Balken“ parallel zum Tal, gut sichtbar und umgekehrt mit weiter Aussicht übers Tal. Auch die Hauptschule, vom ganzen Tal genutzt, liegt so. Kontrapunktisch in der Mitte, unter dem Kirchturm: die Grundschule; für die Kinder das erste Haus nach dem Elternhof. Also, wie das Elternhaus, ein „richtiges“ Haus, Kubus, Fenster, Dach, Giebel zum Tal. In Marul gab es ein Schulhaus, das sich mit seinen großen Fenstern klar zu erkennen gab. Das wurde durch den neuen Hallen- und Vereinsbau akzentuiert, mit dem es ein Rückgrat erhielt, das sich zum neuen Platz öffnet, Ulme und Kirche inbegriffen. In Thüringerberg: Kirche, Linde, Saalbau, zurückgesetzt und offen zu Platz und Aussicht, Gasthaus – in der Ferne abgeschlossen vom Giebel des Kindergartens mit Feuerwehr.
Das ist mir das Schönste: Raum schaffen. Und wenn es gut geht, durch ein Gebäude Raum, der schon längst da war, hereinholen. Entwerfen ist für mich: Im Kopf den Raum finden, ein Bild, das zum Film wird. Schön ist dann, wenn ich wo hingehe und denke: Den Film habe ich schon gesehen.
Landschaftsraum und Gebäude – das ist mehr als landschaftsbezogenes Bauen?
Da ist dieses enge Tal, und da ist die Frage der Wahrnehmbarkeit. Indem ich ein Gebäude drehe, mache ich einen Unterschied. Dazu erlaubt es die Öffnung zum Tal. Und ich kann einen Teil des oft voluminösen Bauprogramms im Berg verschwinden lassen, ohne den Gebrauch zu beeinträchtigen, ohne den Maßstab zu sprengen – anders also, aber nicht laut!
Das wirkt sich auch auf die Wahrnehmung von innen aus. Die Gemeinde erhält ein Bild: den Blick von außen auf die Gemeinde und den Blick hinaus. Fast ein Fenster, das sagt: Seht her, das ist unser Tal, und das ist unser Haus. Heute wissen die Bewohner: Diese Landschaft ist unser Kapital. Das haben sie auch durch diese Bauten gelernt.
Ein Wechselspiel, das sich durch alle Projekte hindurchzieht, von der Raumanordnung bis zur Konstruktion.
Freilich, Öffentlichkeit soll sich öffnen! Zum Berg verschlossen, zum Dorfplatz offen. Und: konstruktiv so offen, wie ein einheimischer Bau nie war. Etwa indem ich den Raumabschluss durch den Rhythmus der feingliedrigen Pfostenfassade bilde wie in Marul. Oder in Blons durch die großzügige Belichtung der öffentlichen Räume. Das macht das Bauernhaus nicht, der Bauer braucht kein besonderes Landschaftserlebnis – wir heute vielleicht schon.
Die Konstruktion Ihrer Häuser gibt sich ruppig, rau, geradlinig, expressiv. Spricht sich da auch ein Unbehagen am Gewundenen, am Künstlichen aus?
Artifizielle Verfremdung stößt mir immer ärger auf, zumindest hier. Auch Überfeinerung. Beton, der aussieht wie vom Uhrmacher, Zimmererarbeit, die Möbelschreinerei sein will. Da fehlt mir der händische Abdruck auf dem Material. Um ein Haus zu bauen, reichen zwei Finger nicht, für ein Nachtschränkchen manchmal schon.
Das vorwiegende Material: Holz. Auch eine direkte Wahl?
Ich mach das ja seit 35 Jahren, damals keineswegs selbstverständlich! Doch was ist das mittlerweile mit Beschönigungen geschmückt – wer mit Holz baut, ist wahrhaft ein guter Mensch. Und dann zerschnipselt man den Stoff, klebt ihn mit Chemie wieder zusammen, um ihm die Eigenschaften, die man vorne herum hochhält, auszutreiben. Ohne mich. Ich mag Holz, und ich mag es glaubwürdig.
Das kann ganz dicht werden, wie in Blons, dem Ort der Lawinenkatastrophe von 1954. Die Katastrophe hatte ja auch mit dem mangelhaften Schutzwald zu tun, was man intensiv durch Aufforstung angegangen ist. Und da war Nacharbeit nötig: Auslichtung und erneute intensive Bewirtschaftung, was viel Holz beschert hat. An so einem Ort baut man das Gemeindehaus aus Holz, als Monument und Geste des Dankes für den Schutz durch den Wald. Und zwar baut man ganz, massiv: Außenwände aus 40 Zentimeter Holz, die das ganze Energieprogramm erledigen; Decken und Dach, auch massives Holz. Mit einem Ausnützungsgrad von 80 Prozent, es gibt da kaum Ausschuss: Man verwendet nicht nur die feinen Stücke, auch mal einen Riss, einen Ast und bei den Fügungen nur ausnahmsweise Stahlknoten – das wird robuster, weniger Designoberfläche, mehr Stoff und Körper aus Holz.
Eine Lehre, die Sie auch im Umgang mit den Leuten hier gewonnen haben?
Wahrscheinlich schon.
Bruno Spagolla | Ich bin in Bludenz aufgewachsen, da lag das Große Walsertal sozusagen vor der Tür. Und in meiner Jugend war es regelmäßig und oft Ziel unserer Sommerfrische, die mein Vater – Schneider und Musikant, dessen Spezialität die Tracht der Musikkapellen war – im Naturaltausch für seine Dienste von den Bauern bezog. Kindheitserinnerungen. Das riss mit dem Studium in Wien ab, aber bereits als junger Architekt führte mich ein Wettbewerb für die Hauptschule in Blons wieder hierher. Daraus wurde eine Schaffens- und Lebenszeit von einem Vierteljahrhundert, Zweitwohnsitz und Jagd inbegriffen.
Die Einheimischen und der Architekt von „draußen“. Wie wuchs das zusammen?
Die Walser hatten vor dem Akademiker einen etwas altmodischen Respekt, der Distanz einschloss. Sobald sie merkten, dass man unbefangen miteinander reden kann und sie nicht in die Schublade Hinterwäldler sortiert, sind sehr gute Beziehungen entstanden, mit großer Bereitschaft für Neues. Das sind Menschen, die sehr praktisch sind, alle haben einen bäuerlichen Hintergrund. Tolle Leute, starke Charaktere, ganz wach. Was ich zu tun hatte, war Neuland für mich – und für sie. Das hat uns vereint. Wir waren Pioniere, beide. Für sie war es die erste große Schule mehrerer Gemeinden, für mich der erste Schulbau, das erste große Haus, eine Herausforderung für einen Anfänger von Mitte 30. Da schauen alle, wie sich einer reinhängt.
Wie wurde das Projekt damals kommuniziert?
Es gab den Bauausschuss, es gab die Bürgermeister der beteiligten Gemeinden, die unterschiedlichsten Personen. Der Bürgermeister von Blons war Beamter in Bregenz, viele hatten Arbeit „draußen“. Es gab die Bauern. Neben den Arbeitssitzungen war das bedeutendste „Gremium“ der Wirtshausbesuch nach diesen Sitzungen. Da haben alle teilgenommen, Bergbauer wie Kommerzienrat. Und das war intensiv! Da habe ich viel gelernt, etwa: Bevor man zur Architektur kommt, redet man über den Gebrauch. Ein Bauer will wissen: Wie benutzt man das? Darauf muss man eingehen, dann wollen die Leute auch wissen, was schön ist. Und sie wissen selber viel – Materialgerechtigkeit muss man hier nicht erklären.
Entwickelt sich das anders als draußen im breiten Tal?
Das geht hier direkter. Ein öffentliches Projekt wird diskutiert, als wär’s das eigene Haus. Auf einen Vorschlag folgen die Fragen: Wie lange hält das, wie machst Du das? Das dauert manchmal, aber dann sitzt es meist.
Und das im Wirtshaus?
Es gibt diese Anonymität überhaupt nicht. Was der politische Entscheidungsträger macht, sehen alle, und er muss dafür geradestehen. Das gilt, abgeschwächt, für alle Äußerungen – aber natürlich erst recht bei einem öffentlichen Bau.
Die Gremien der Gemeinden sind wohl auch weniger neutrale Gebilde. Spielt die Größe des Ortes eine Rolle?
Das sind natürlich Typen, das sind Köpfe. Im Wortwechsel der Lauten und Leisen wächst Einem von auswärts eine Rolle zu – oft habe ich den Katalysator spielen können. Da kann es hoch hergehen, aber aus verbalen Raufereien sind auch Freundschaften entstanden. Die Größe ist wesentlich. Weil die Gemeinschaft kleiner ist, ist die Differenziertheit der Spielregeln wahrnehmbarer, konkreter, für alle Beteiligten. Natürlich gibt es Interessen, aber die sind als Teil der Argumente erkennbar und verflüchtigen sich nicht in Abstraktionen, mit denen man manipulieren kann.
Wer führt Regie? Wie kam es zu den Aufträgen?
Natürlich gehen manche voran – der Bürgermeister, die Leute vom Bauausschuss. Aber die Aufträge kamen ganz unterschiedlich zustande. Mal ein Wettbewerb, mal eine Direktvergabe nach langen Erörterungen über die Gemeindeentwicklung, mal ein Folgeauftrag nach einer „Notoperation“ an einer vermasselten Baumaßnahme, mit der man der Gemeinde aus der Klemme helfen konnte. Immer wieder Wettbewerbe, Gutachten. Vertrauensbildung spielt die entscheidende Rolle, man hilft sich, gewinnt Aufmerksamkeit. Und immer: die stark fundierte persönliche Kommunikation.
Da ergaben sich doch sicher auch private Aufträge?
Eigentlich nicht. Wenn nicht die vielen Gespräche und Beratungen gezählt werden, die an solche Anlässe angedockt sind: ein Tipp hier, eine Unterstützung für den Kontakt mit der Planungsstelle dort. Wir haben gut zusammengespielt, konnten vieles unkompliziert verbessern. Aber sonst habe ich mich aus privaten Planungen herausgehalten.
Private Bauherren exponieren sich mit ihrem Architekten, Unternehmen schärfen ihr Profil mit ihm. Was treibt eine Körperschaft wie eine Gemeinde um?
Man sieht sich im Vergleich zur Nachbargemeinde, die Einzelnen identifizieren sich über Bauten, das überträgt sich auf die Institution, die als Projektionsfläche eigener Identitätsbedürfnisse gesucht wird. Es geht um Außenwirkung, ganz stark aber auch um Innenwirkung: Wir, jetzt, hier! Das hat ganz elementare Auswirkungen, etwa für Jüngere, wenn die sich entscheiden, hier zu bleiben. Da bewirkt Bauen viel, es belebt die dichten Netze persönlicher Bindung.
Hier, jetzt – Präsenz, Intensität. Steht statt fragmentierter Eindrücke das Zusammenspiel in leibhaftigem Erleben im Vordergrund?
Zeit spielt hier eine ganz andere Rolle: Spontane Entscheidungen ruhen auf langer Lebenserfahrung, weniger auf kausal verkürzten Sequenzen. Werte spielen eine deutliche Rolle, ebenso Emotion, Sentiment. Der Begriff Heimat, mit dem man hier wenig Probleme hat, zeigt Inhalt, wenn auch nicht nur rational bilanzierte Argumente, persönlich beglaubigt. Anders als in der Stadt ist das hier personifizierbar. Immer wieder erstaunt und fasziniert mich das Potenzial an hervorragenden Köpfen in den kleinen Gemeinden.
Was bedeutet das für das Entwerfen? Wieder einmal haben Methoden „objektiven Gestaltens“ Konjunktur, diesmal unter dem Titel: parametrisch. Ist so etwas hier denkbar?
Na ja, was steckt in dieser Pseudo-Objektivität an subjektiven Vorannahmen! Die subjektiven Faktoren liegen offen zutage; auch ich bin ein solcher Faktor: Wenn ich das Spiel mitspiele, kann ich nicht draußen stehen. Eine Hypothese: Die ganz ungekünstelte Gebrauchsfähigkeit liefert einen Parameter, der archaisch, evident und für alle nachvollziehbar verdichtet.
Verdichtung, ein wichtiges Stichwort. Spitzen Ihre Gemeindebauten im Wechsel von Streusiedlung und Ortsbildung die Verdichtung nicht geradewegs zu? Stehen sie nicht immer neben der Kirche?
Die Siedlungsgeschichte kennt hier keine historischen Ortskerne. Sakrale Orte in Tages-Geh-Distanz strukturieren und rhythmisieren das Tal. Ausgesuchte Plätze sind das: Nie wurde eine Kirche Opfer von Lawinen, den Tragödien des Tals. Spä-ter kam ein Wirtshaus, kam die Dorfschule dazu – das war’s. Nun ändern sich die Lebensformen und mit ihnen die sozia-len Strukturen, neue Themen werden wichtig, darunter ganz sicher: die Wahrnehmbarkeit des Ortes. Das ist ein siedlungsstruktureller Quantensprung. Der Siedlungsrhythmus verstärkt sich, die Hierarchie wird prägnanter, wird baulich akzentuiert.
Bereits die Position eines Gebäudes gibt das zu erkennen?
Ja, das klassische Walserhaus, das Wohnen und Arbeiten vereint, steht mit dem First senkrecht zum Hang. Dagegen legen sich die neuen Gemeindebauten, mit einer Ausnahme, parallel dazu. Bereits das hebt sie heraus.
Zum Beispiel in Blons, wo es drei Gemeindebauten gibt: Die Gemeindeverwaltung mit Wirtshaus liegt als „Balken“ parallel zum Tal, gut sichtbar und umgekehrt mit weiter Aussicht übers Tal. Auch die Hauptschule, vom ganzen Tal genutzt, liegt so. Kontrapunktisch in der Mitte, unter dem Kirchturm: die Grundschule; für die Kinder das erste Haus nach dem Elternhof. Also, wie das Elternhaus, ein „richtiges“ Haus, Kubus, Fenster, Dach, Giebel zum Tal. In Marul gab es ein Schulhaus, das sich mit seinen großen Fenstern klar zu erkennen gab. Das wurde durch den neuen Hallen- und Vereinsbau akzentuiert, mit dem es ein Rückgrat erhielt, das sich zum neuen Platz öffnet, Ulme und Kirche inbegriffen. In Thüringerberg: Kirche, Linde, Saalbau, zurückgesetzt und offen zu Platz und Aussicht, Gasthaus – in der Ferne abgeschlossen vom Giebel des Kindergartens mit Feuerwehr.
Das ist mir das Schönste: Raum schaffen. Und wenn es gut geht, durch ein Gebäude Raum, der schon längst da war, hereinholen. Entwerfen ist für mich: Im Kopf den Raum finden, ein Bild, das zum Film wird. Schön ist dann, wenn ich wo hingehe und denke: Den Film habe ich schon gesehen.
Landschaftsraum und Gebäude – das ist mehr als landschaftsbezogenes Bauen?
Da ist dieses enge Tal, und da ist die Frage der Wahrnehmbarkeit. Indem ich ein Gebäude drehe, mache ich einen Unterschied. Dazu erlaubt es die Öffnung zum Tal. Und ich kann einen Teil des oft voluminösen Bauprogramms im Berg verschwinden lassen, ohne den Gebrauch zu beeinträchtigen, ohne den Maßstab zu sprengen – anders also, aber nicht laut!
Das wirkt sich auch auf die Wahrnehmung von innen aus. Die Gemeinde erhält ein Bild: den Blick von außen auf die Gemeinde und den Blick hinaus. Fast ein Fenster, das sagt: Seht her, das ist unser Tal, und das ist unser Haus. Heute wissen die Bewohner: Diese Landschaft ist unser Kapital. Das haben sie auch durch diese Bauten gelernt.
Ein Wechselspiel, das sich durch alle Projekte hindurchzieht, von der Raumanordnung bis zur Konstruktion.
Freilich, Öffentlichkeit soll sich öffnen! Zum Berg verschlossen, zum Dorfplatz offen. Und: konstruktiv so offen, wie ein einheimischer Bau nie war. Etwa indem ich den Raumabschluss durch den Rhythmus der feingliedrigen Pfostenfassade bilde wie in Marul. Oder in Blons durch die großzügige Belichtung der öffentlichen Räume. Das macht das Bauernhaus nicht, der Bauer braucht kein besonderes Landschaftserlebnis – wir heute vielleicht schon.
Die Konstruktion Ihrer Häuser gibt sich ruppig, rau, geradlinig, expressiv. Spricht sich da auch ein Unbehagen am Gewundenen, am Künstlichen aus?
Artifizielle Verfremdung stößt mir immer ärger auf, zumindest hier. Auch Überfeinerung. Beton, der aussieht wie vom Uhrmacher, Zimmererarbeit, die Möbelschreinerei sein will. Da fehlt mir der händische Abdruck auf dem Material. Um ein Haus zu bauen, reichen zwei Finger nicht, für ein Nachtschränkchen manchmal schon.
Das vorwiegende Material: Holz. Auch eine direkte Wahl?
Ich mach das ja seit 35 Jahren, damals keineswegs selbstverständlich! Doch was ist das mittlerweile mit Beschönigungen geschmückt – wer mit Holz baut, ist wahrhaft ein guter Mensch. Und dann zerschnipselt man den Stoff, klebt ihn mit Chemie wieder zusammen, um ihm die Eigenschaften, die man vorne herum hochhält, auszutreiben. Ohne mich. Ich mag Holz, und ich mag es glaubwürdig.
Das kann ganz dicht werden, wie in Blons, dem Ort der Lawinenkatastrophe von 1954. Die Katastrophe hatte ja auch mit dem mangelhaften Schutzwald zu tun, was man intensiv durch Aufforstung angegangen ist. Und da war Nacharbeit nötig: Auslichtung und erneute intensive Bewirtschaftung, was viel Holz beschert hat. An so einem Ort baut man das Gemeindehaus aus Holz, als Monument und Geste des Dankes für den Schutz durch den Wald. Und zwar baut man ganz, massiv: Außenwände aus 40 Zentimeter Holz, die das ganze Energieprogramm erledigen; Decken und Dach, auch massives Holz. Mit einem Ausnützungsgrad von 80 Prozent, es gibt da kaum Ausschuss: Man verwendet nicht nur die feinen Stücke, auch mal einen Riss, einen Ast und bei den Fügungen nur ausnahmsweise Stahlknoten – das wird robuster, weniger Designoberfläche, mehr Stoff und Körper aus Holz.
Eine Lehre, die Sie auch im Umgang mit den Leuten hier gewonnen haben?
Wahrscheinlich schon.
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