„Eines Tages kam der Bürgermeister mit einem Auftrag: ein Stück Mauer.“
Text: Aicher, Florian, Leutkirch
„Eines Tages kam der Bürgermeister mit einem Auftrag: ein Stück Mauer.“
Text: Aicher, Florian, Leutkirch
Ein „richtiges“ Haus zu planen, das habe ihm in seinem Bündner Heimatort am Anfang niemand zugetraut. Rund dreißig Jahre später finden sich in Soglio und Umgebung mehr als fünfzig Neu- und Umbauten aus seiner Feder. Armando Ruinelli über die Gratwanderung, die es bedeutet, in einem der besterhaltenen Bergdörfer der Schweiz Architektur zu machen.
Ein Architekt auf dem Dorf – an sich schon eine verwegene Vorstellung. Was macht ein Dorf mit einem Architekten?
Armando Ruinelli | Jahrelang gar nichts! Du spinnst, haben manche gesagt, als ich vor dreißig Jahren hier, wo ich herkomme, angefangen habe – da gibt’s doch nichts zu tun, Du verhungerst, Du träumst. Wahrscheinlich habe ich geträumt! Davon, dass Bauen soviel wert ist wie das, was der Bauer oder der Wirt macht.
Nach meiner Lehre habe ich mich hier auf die „höhere technische Lehranstalt“ vorbereitet und dann gemerkt, dass ich die falsche Schule gewählt habe. Ich wollte kein Leben als Hochbauzeichner führen. Die Lehre hat mir bautechnisch aber viel gebracht – und die Architektur hat mich gereizt. So bin ich zuerst einfach hier sitzen geblieben, habe mich dann, auch ausgiebig reisend, selbst weitergebildet. Und eines Tages kam der Bürgermeister mit einem Auftrag: ein Stück Mauer. Er zog ein Blatt Papier aus der Tasche, darauf waren Lage, Material, Maße – alles; das habe ich dann gezeichnet. Der zweite Auftrag, auch für die Gemeinde, war ein Geräteschuppen neben der Kläranlage. Das lief dann so: Ich mache das, sehr günstig, aber ich mache es, wie ich es will. Das wurde mir zugestanden. Ein Häuschen, 2x2x2 Meter, ausgeführt zur Zufriedenheit aller, mein erstes Haus und erster Abbruch, weil es die Anlage längst nicht mehr gibt.
Die Ortschaft, halb Dorf, halb Residenzstädtchen, hat eine unglaubliche Dichte, eine hohe Präsenz.
Natürlich, schon als Heranwachsender in diesem Haufendorf war das überall spürbar. Der Zwiespalt zwischen den sehr einfachen Häusern und den Palazzi. Das prägt. Was noch auf die Spitze getrieben wurde, als Anfang der 80er Jahre Michael Alder mit seinen Studenten kam und ungeheuer akribisch Bauaufnahmen machte, die er mit der immer noch beeindruckenden Publikation „Soglio. Siedlungen und Bauten“ abschloss. Da wurde ich mit einbezogen, zunächst um Türen zu öffnen, um mit den Leuten zu reden, dann in die Arbeit selbst. Die Methodik typologischer Aufnahme, das Befragen von Raum, Konstruktion, Material, die Suche nach Struktur und Proportion – das war meine Schule, der Glücksfall meines beruflichen Weges. Das Buch befrage ich noch heute, noch immer gehe ich so vor. Das ist mir besonders bewusst geworden bei einem Projekt, das nicht in einem gebauten Kontext steht, bei der Turnhalle im Nachbardorf. Da musste ich lernen, neu Anker zu werfen, musste neu Verständnis finden für das, was dort prägend ist – der Bezug zur Landschaft etwa, der für mich zuvor kaum von Belang war.
Ein typologisches Vorgehen nicht im Sinne eines Rezepts also, sondern im Sinne eines Verstehens von Lebensvorgängen, die durch Erfahrung gefestigt wurden und in Bauten Gestalt angenommen haben?
Mein Studium war von dieser Art. Typologisch kapieren, fragen: warum. Man sagt, die Leute haben früher einfach gebaut. Das stimmt schon, gleichzeitig aber auch nicht: Die haben losgebaut, aber genau gewusst, was sie taten. Was man heute nicht immer sagen kann. Sie haben experimentiert, aber ein Grundwissen gehabt, und die wichtigsten Dinge eingehalten.
Ein Grundwissen, das die Baustoffe und die angemessene Zuordnung der Räume betrifft und zu einer Ordnung führt...
Richtig! Es gibt in Soglio ein Haus, bei dem hat das Grundstück nicht ohne weiteres die gewohnte symmetrische Ordnung zugelassen. Da zeigt sich die Wertung: Wie sie an der Ordnung festhielten, eine ungewohnte Erscheinung in Kauf nahmen, das ist schon eine architektonische Haltung. Etwas ist schief, aber eigentlich stimmt es – die Stärke von Symmetrie und Proportion.
Wobei wohl die konstruktive Konvention und der geometrische Kanon eher unterschiedliche Ebenen derselben Sache sind, als dass eins vom andern abgeleitet ist.
Natürlich sind Vorgaben da – das Dach, mit Steinplatten gedeckt, der gestrickte Dachstuhl aus Rundhölzern, da sind Neigungen nur im Bereich von 22 bis 25 Grad möglich. Das ergibt Maßordnungen, die gerade bei schmucklosen, kleineren Alltagsbauten ins Auge springen. Das sollten wir bewahren, in den Orten. Aber wenn wir rausgehen aus den Orten, wo man auch andere Dimensionen zu bewältigen hat, dann sollten wir anders vorgehen: nicht verwässern und verwischen; nicht draußen ein Dach mit Steinplatten bauen, um das Gewissen zu beruhigen.
Das Wort Zwiespalt ist zu Anfang gefallen – Bauten der Bauern, Bauten der Herrn. Kann man auch Spannung sagen?
Das ist mir fast bedrückend klar geworden beim Haus mit Atelier für den Fotografen (Seite 18). Da gab es ein Raumprogramm, das hätte für einen Palazzo gereicht. Die Lage hat mir das nicht erlaubt, die umliegenden Nachbarn, die Konkurrenz zum Hauptpalazzo. Eine schwere Entscheidung, doch nun ist es ein Anwesen aus zwei Häusern unterschiedlicher Wertung im richtigen Maßstab. Der Ort hat das verlangt. Für mich die richtige Antwort.
Zwiespalt auch insofern, als das Umfeld die entwerferische Freiheit einschränkt – und sie gleichzeitig inspiriert?
Es ist beides: Eingeengt, eingespannt ist man – und deshalb wird es spannend. Auseinandersetzung, das ist ein wesentliches Mittel meines Entwerfens. Mein Weg hat mit Häusern im Dorf angefangen. Weiterreichende Beziehungen wie Landschaft oder Himmelsrichtungen, das gibt es da oft nicht. Dafür ist der Maßstab, die Größe der Bauten bestimmend. Weil wir im Ort nicht ausweichen können, wird die Materialisierung wichtiger, die Details, die architektonische Sprache.
Zwiespalt zwischen dem Dorf, einem Bauwerk der sozialen Körperschaft, und dem Bau für den individuellen Bauherrn, eine leibhaftige Person?
Das Dorf ist eine bauliche, aber auch eine menschliche Konzentration. Weil die Gestalt des Ortes so prägt, sind es eher die Objekte, die verändern. Ich bin ja von hier, kenne die Leute. Doch anfangs stieß ich auf Unverständnis. Indem ich in das Dorf hineingebaut habe, hat sich das geändert. Bei meinem eigenen Atelier etwa war mir wichtig, dass es als Holzhaus, als Wirtschaftsgebäude kenntlich wird. Ich versuchte, das dem Leiter der Baukommission zu erklären – ich wolle nicht, dass es als „Haus“ wirkt. Der sah mich an und meinte: „Da brauchst Du keine Angst zu haben.“ Ein „richtiges“ Haus hat man mir einfach nicht zugetraut. Es gab viel Gerede, jetzt nimmt keiner mehr Anstoß.
Natürlich gibt es heute formellere Wege, die Gemeinde ist infolge Zusammenlegung inzwischen größer, es gibt professionelle Bauberater von auswärts, was sehr gut ist. Es gibt neben dem Gemeinderat regelmäßig öffentliche Versammlungen, bei denen auch Baufragen erörtert werden. Dort kommt jeder zu Wort und hat Vorschlagsrecht. Das Niveau der Erörterung hat sich deutlich gehoben. Die allgemeine Haltung ist offener. Ich bin mittlerweile wohlgelitten, wohl auch nach einigen Jahren als ehrenamtlicher Bürgermeister.
Die Spannung von Ort und Objekt kam zur Sprache, wiederholt sich das am Objekt im Verhältnis von Außen und Innen?
Das ist eine kulturelle Haltung, die ich persönlich habe. Bei einem Bauherrn, der offensichtlich sehr vermögend war, ist mir mal rausgerutscht: Man muss es ja nicht zeigen; das war mir dann unheimlich peinlich.
Das protestantische Soglio...
Vielleicht – jedenfalls hat die Gegenreformation hier nicht richtig funktioniert. Wie dem auch sei: Das Verhältnis Außen – Innen ist schon eher so wie bei einem robusten, wettergegerbten Mantel mit feinem, seidenen Futter und allerhand Taschen und Verstecken.
Das ist ein Prinzip für Sie?
Na ja, mit dem Älterwerden sieht man: Das ändert sich auch ein wenig. Die letzten Arbeiten verlassen diese Strenge. Man leistet sich auch außen Anspielungen...
Was Ihren Arbeiten anzusehen ist, beginnend mit Bauten in sauberer handwerklicher Tradition, ein wenig uninspiriert, dann die, die sich sehr entschieden allem Stil verweigern, einen schmucklosen Realismus pflegen...
Sicher, da hat Aldo Rossi über die Schulter geschaut, auch Michael Alder. Der hatte diese Haltung des Anonymen, weniger in historischen Vorbildern, viel mehr in anonymen heutigen Siedlungen. Sehr sec, in sich präzise, eigentlich schon wieder eine künstlerische Haltung. Für mich eine Phase, die mit dem eigenen Haus anhebt und sich mit dem Haus des Fotografen/Haus mit Atelier dem Ende zuneigt. Da macht sich eine Lockerung bemerkbar, die dem davor liegenden den Anstrich eines Dogmas gibt. Im Augenblick geht mir ein Projekt im Kopf herum, das hat eine artifiziellere Fassade. Was die Jahre davor nicht schmälert: Da habe ich gemerkt, wie aufwendig dieses Pure ist, vor allem, wenn es sich nicht mit Geometrie begnügt, sondern alltägliche Lebensvorgänge im Blick hat.
Womit sich die Frage stellt: Für wen bauen Sie?
Da gibt es drei Kategorien: Einheimische, die öffentliche Hand, Zugezogene. Anfangs ging es mit der öffentlichen Hand am besten – ein neutrales Gegenüber, was stärkere Entfaltung erlaubt. Das gilt auch – etwas anders gewichtet – für die Auswärtigen, weil sie zu mir als Architekt kommen. Schwierig: die Einheimischen – zunächst eher genötigt, immer drängend, dringend, pragmatisch, bereits entschieden. Dass die Aufgaben für die Auswärtigen die interessanteren waren, hat mich unheimlich gewurmt, weil ich Architekt für die Leute hier sein wollte, auch für den kleinen Geldbeutel.
Da hat sich was getan. Die Leute kommen heute mit einem Problem, sind gespannt, was macht der jetzt draus, erwarten mehr als eine Zeichnung, lassen einen projektieren. Dann erst kommt die Rede auf die Zwänge, kommen Einwände. Es hat sich gedreht; zuerst: Mach einen Vorschlag, dann: Was kostet es, wie lässt sich das machen?
Hat das auch Sie verändert?
Ja ich merke, es ist einfacher, wenn ich es persönlicher angehe. Oft habe ich den Ort an den Anfang der Argumente gesetzt, die Verantwortung für den schönen, schützenswerten Ort. Und gespürt, dass das als anmaßend empfunden wurde. „Schon gut, aber wir leben heute“, kam zurück. Es hilft wenig, den Leuten die Verantwortung für den Ort aufzubinden. Wenn ich ohne Vorrede spreche, zeigt sich viel mehr Verständnis, viel mehr Interesse am Gespräch, es wird intensiver. Man muss nicht überzeugen, Tricks anwenden, sondern man muss sich einander annähern. Danach muss auch ich zurück an den Zeichentisch, verarbeiten und zur Kenntnis nehmen, was da gesagt wurde, ist gar nicht falsch, mal anders hinsehen, was wäre wenn... Ich spreche mit den Leuten heute anders.
Die Leichtigkeit, die Lockerung, die bei Ihren Arbeiten der letzten Zeit zu beobachten ist, die wachsende Reichhaltig-keit – verdanken Sie das auch diesen Gesprächen?
Ja, man ist weniger puristisch, weniger reduziert; wird gelöster, erlaubt sich was. Im letzten Projekt, einem umgebauten Stall (Seite 20), sind wir mit großem Respekt vor diesem traumhaften Gebilde, doch ebenso selbstbewusst mit einer ganz neuen Raumskulptur eingezogen. Da helfen natürlich auch die eigenen Erfolge.
Nochmals zum Ort. Nicht mehr: Das Dorf macht etwas mit dem Architekten. Auch nicht: Der Architekt macht etwas mit dem Dorf. Sondern: Der Architekt ist Teil eines vitalen, spannungsreichen Ortes. Der Ort ist heute sowenig ohne ihn denkbar, wie ohne den Wirt oder den Bauern?
Ich versuche meinen Beitrag beizusteuern und den Ort weiterzubauen, zu zeigen, er lebt weiter, braucht Neues, zeitgenössisch, klar, im Dialog. Ein zeitgeistiger, modischer Paukenschlag macht so wenig Sinn wie die Kopie von Vergangenem – Architektur ist und bleibt eine Gratwanderung. Ich versuche, Lösungen zu finden, die passen – und erlaube mir heute mehr, auch mehr baukünstlerische Inspiration.
Armando Ruinelli | Jahrelang gar nichts! Du spinnst, haben manche gesagt, als ich vor dreißig Jahren hier, wo ich herkomme, angefangen habe – da gibt’s doch nichts zu tun, Du verhungerst, Du träumst. Wahrscheinlich habe ich geträumt! Davon, dass Bauen soviel wert ist wie das, was der Bauer oder der Wirt macht.
Nach meiner Lehre habe ich mich hier auf die „höhere technische Lehranstalt“ vorbereitet und dann gemerkt, dass ich die falsche Schule gewählt habe. Ich wollte kein Leben als Hochbauzeichner führen. Die Lehre hat mir bautechnisch aber viel gebracht – und die Architektur hat mich gereizt. So bin ich zuerst einfach hier sitzen geblieben, habe mich dann, auch ausgiebig reisend, selbst weitergebildet. Und eines Tages kam der Bürgermeister mit einem Auftrag: ein Stück Mauer. Er zog ein Blatt Papier aus der Tasche, darauf waren Lage, Material, Maße – alles; das habe ich dann gezeichnet. Der zweite Auftrag, auch für die Gemeinde, war ein Geräteschuppen neben der Kläranlage. Das lief dann so: Ich mache das, sehr günstig, aber ich mache es, wie ich es will. Das wurde mir zugestanden. Ein Häuschen, 2x2x2 Meter, ausgeführt zur Zufriedenheit aller, mein erstes Haus und erster Abbruch, weil es die Anlage längst nicht mehr gibt.
Die Ortschaft, halb Dorf, halb Residenzstädtchen, hat eine unglaubliche Dichte, eine hohe Präsenz.
Natürlich, schon als Heranwachsender in diesem Haufendorf war das überall spürbar. Der Zwiespalt zwischen den sehr einfachen Häusern und den Palazzi. Das prägt. Was noch auf die Spitze getrieben wurde, als Anfang der 80er Jahre Michael Alder mit seinen Studenten kam und ungeheuer akribisch Bauaufnahmen machte, die er mit der immer noch beeindruckenden Publikation „Soglio. Siedlungen und Bauten“ abschloss. Da wurde ich mit einbezogen, zunächst um Türen zu öffnen, um mit den Leuten zu reden, dann in die Arbeit selbst. Die Methodik typologischer Aufnahme, das Befragen von Raum, Konstruktion, Material, die Suche nach Struktur und Proportion – das war meine Schule, der Glücksfall meines beruflichen Weges. Das Buch befrage ich noch heute, noch immer gehe ich so vor. Das ist mir besonders bewusst geworden bei einem Projekt, das nicht in einem gebauten Kontext steht, bei der Turnhalle im Nachbardorf. Da musste ich lernen, neu Anker zu werfen, musste neu Verständnis finden für das, was dort prägend ist – der Bezug zur Landschaft etwa, der für mich zuvor kaum von Belang war.
Ein typologisches Vorgehen nicht im Sinne eines Rezepts also, sondern im Sinne eines Verstehens von Lebensvorgängen, die durch Erfahrung gefestigt wurden und in Bauten Gestalt angenommen haben?
Mein Studium war von dieser Art. Typologisch kapieren, fragen: warum. Man sagt, die Leute haben früher einfach gebaut. Das stimmt schon, gleichzeitig aber auch nicht: Die haben losgebaut, aber genau gewusst, was sie taten. Was man heute nicht immer sagen kann. Sie haben experimentiert, aber ein Grundwissen gehabt, und die wichtigsten Dinge eingehalten.
Ein Grundwissen, das die Baustoffe und die angemessene Zuordnung der Räume betrifft und zu einer Ordnung führt...
Richtig! Es gibt in Soglio ein Haus, bei dem hat das Grundstück nicht ohne weiteres die gewohnte symmetrische Ordnung zugelassen. Da zeigt sich die Wertung: Wie sie an der Ordnung festhielten, eine ungewohnte Erscheinung in Kauf nahmen, das ist schon eine architektonische Haltung. Etwas ist schief, aber eigentlich stimmt es – die Stärke von Symmetrie und Proportion.
Wobei wohl die konstruktive Konvention und der geometrische Kanon eher unterschiedliche Ebenen derselben Sache sind, als dass eins vom andern abgeleitet ist.
Natürlich sind Vorgaben da – das Dach, mit Steinplatten gedeckt, der gestrickte Dachstuhl aus Rundhölzern, da sind Neigungen nur im Bereich von 22 bis 25 Grad möglich. Das ergibt Maßordnungen, die gerade bei schmucklosen, kleineren Alltagsbauten ins Auge springen. Das sollten wir bewahren, in den Orten. Aber wenn wir rausgehen aus den Orten, wo man auch andere Dimensionen zu bewältigen hat, dann sollten wir anders vorgehen: nicht verwässern und verwischen; nicht draußen ein Dach mit Steinplatten bauen, um das Gewissen zu beruhigen.
Das Wort Zwiespalt ist zu Anfang gefallen – Bauten der Bauern, Bauten der Herrn. Kann man auch Spannung sagen?
Das ist mir fast bedrückend klar geworden beim Haus mit Atelier für den Fotografen (Seite 18). Da gab es ein Raumprogramm, das hätte für einen Palazzo gereicht. Die Lage hat mir das nicht erlaubt, die umliegenden Nachbarn, die Konkurrenz zum Hauptpalazzo. Eine schwere Entscheidung, doch nun ist es ein Anwesen aus zwei Häusern unterschiedlicher Wertung im richtigen Maßstab. Der Ort hat das verlangt. Für mich die richtige Antwort.
Zwiespalt auch insofern, als das Umfeld die entwerferische Freiheit einschränkt – und sie gleichzeitig inspiriert?
Es ist beides: Eingeengt, eingespannt ist man – und deshalb wird es spannend. Auseinandersetzung, das ist ein wesentliches Mittel meines Entwerfens. Mein Weg hat mit Häusern im Dorf angefangen. Weiterreichende Beziehungen wie Landschaft oder Himmelsrichtungen, das gibt es da oft nicht. Dafür ist der Maßstab, die Größe der Bauten bestimmend. Weil wir im Ort nicht ausweichen können, wird die Materialisierung wichtiger, die Details, die architektonische Sprache.
Zwiespalt zwischen dem Dorf, einem Bauwerk der sozialen Körperschaft, und dem Bau für den individuellen Bauherrn, eine leibhaftige Person?
Das Dorf ist eine bauliche, aber auch eine menschliche Konzentration. Weil die Gestalt des Ortes so prägt, sind es eher die Objekte, die verändern. Ich bin ja von hier, kenne die Leute. Doch anfangs stieß ich auf Unverständnis. Indem ich in das Dorf hineingebaut habe, hat sich das geändert. Bei meinem eigenen Atelier etwa war mir wichtig, dass es als Holzhaus, als Wirtschaftsgebäude kenntlich wird. Ich versuchte, das dem Leiter der Baukommission zu erklären – ich wolle nicht, dass es als „Haus“ wirkt. Der sah mich an und meinte: „Da brauchst Du keine Angst zu haben.“ Ein „richtiges“ Haus hat man mir einfach nicht zugetraut. Es gab viel Gerede, jetzt nimmt keiner mehr Anstoß.
Natürlich gibt es heute formellere Wege, die Gemeinde ist infolge Zusammenlegung inzwischen größer, es gibt professionelle Bauberater von auswärts, was sehr gut ist. Es gibt neben dem Gemeinderat regelmäßig öffentliche Versammlungen, bei denen auch Baufragen erörtert werden. Dort kommt jeder zu Wort und hat Vorschlagsrecht. Das Niveau der Erörterung hat sich deutlich gehoben. Die allgemeine Haltung ist offener. Ich bin mittlerweile wohlgelitten, wohl auch nach einigen Jahren als ehrenamtlicher Bürgermeister.
Die Spannung von Ort und Objekt kam zur Sprache, wiederholt sich das am Objekt im Verhältnis von Außen und Innen?
Das ist eine kulturelle Haltung, die ich persönlich habe. Bei einem Bauherrn, der offensichtlich sehr vermögend war, ist mir mal rausgerutscht: Man muss es ja nicht zeigen; das war mir dann unheimlich peinlich.
Das protestantische Soglio...
Vielleicht – jedenfalls hat die Gegenreformation hier nicht richtig funktioniert. Wie dem auch sei: Das Verhältnis Außen – Innen ist schon eher so wie bei einem robusten, wettergegerbten Mantel mit feinem, seidenen Futter und allerhand Taschen und Verstecken.
Das ist ein Prinzip für Sie?
Na ja, mit dem Älterwerden sieht man: Das ändert sich auch ein wenig. Die letzten Arbeiten verlassen diese Strenge. Man leistet sich auch außen Anspielungen...
Was Ihren Arbeiten anzusehen ist, beginnend mit Bauten in sauberer handwerklicher Tradition, ein wenig uninspiriert, dann die, die sich sehr entschieden allem Stil verweigern, einen schmucklosen Realismus pflegen...
Sicher, da hat Aldo Rossi über die Schulter geschaut, auch Michael Alder. Der hatte diese Haltung des Anonymen, weniger in historischen Vorbildern, viel mehr in anonymen heutigen Siedlungen. Sehr sec, in sich präzise, eigentlich schon wieder eine künstlerische Haltung. Für mich eine Phase, die mit dem eigenen Haus anhebt und sich mit dem Haus des Fotografen/Haus mit Atelier dem Ende zuneigt. Da macht sich eine Lockerung bemerkbar, die dem davor liegenden den Anstrich eines Dogmas gibt. Im Augenblick geht mir ein Projekt im Kopf herum, das hat eine artifiziellere Fassade. Was die Jahre davor nicht schmälert: Da habe ich gemerkt, wie aufwendig dieses Pure ist, vor allem, wenn es sich nicht mit Geometrie begnügt, sondern alltägliche Lebensvorgänge im Blick hat.
Womit sich die Frage stellt: Für wen bauen Sie?
Da gibt es drei Kategorien: Einheimische, die öffentliche Hand, Zugezogene. Anfangs ging es mit der öffentlichen Hand am besten – ein neutrales Gegenüber, was stärkere Entfaltung erlaubt. Das gilt auch – etwas anders gewichtet – für die Auswärtigen, weil sie zu mir als Architekt kommen. Schwierig: die Einheimischen – zunächst eher genötigt, immer drängend, dringend, pragmatisch, bereits entschieden. Dass die Aufgaben für die Auswärtigen die interessanteren waren, hat mich unheimlich gewurmt, weil ich Architekt für die Leute hier sein wollte, auch für den kleinen Geldbeutel.
Da hat sich was getan. Die Leute kommen heute mit einem Problem, sind gespannt, was macht der jetzt draus, erwarten mehr als eine Zeichnung, lassen einen projektieren. Dann erst kommt die Rede auf die Zwänge, kommen Einwände. Es hat sich gedreht; zuerst: Mach einen Vorschlag, dann: Was kostet es, wie lässt sich das machen?
Hat das auch Sie verändert?
Ja ich merke, es ist einfacher, wenn ich es persönlicher angehe. Oft habe ich den Ort an den Anfang der Argumente gesetzt, die Verantwortung für den schönen, schützenswerten Ort. Und gespürt, dass das als anmaßend empfunden wurde. „Schon gut, aber wir leben heute“, kam zurück. Es hilft wenig, den Leuten die Verantwortung für den Ort aufzubinden. Wenn ich ohne Vorrede spreche, zeigt sich viel mehr Verständnis, viel mehr Interesse am Gespräch, es wird intensiver. Man muss nicht überzeugen, Tricks anwenden, sondern man muss sich einander annähern. Danach muss auch ich zurück an den Zeichentisch, verarbeiten und zur Kenntnis nehmen, was da gesagt wurde, ist gar nicht falsch, mal anders hinsehen, was wäre wenn... Ich spreche mit den Leuten heute anders.
Die Leichtigkeit, die Lockerung, die bei Ihren Arbeiten der letzten Zeit zu beobachten ist, die wachsende Reichhaltig-keit – verdanken Sie das auch diesen Gesprächen?
Ja, man ist weniger puristisch, weniger reduziert; wird gelöster, erlaubt sich was. Im letzten Projekt, einem umgebauten Stall (Seite 20), sind wir mit großem Respekt vor diesem traumhaften Gebilde, doch ebenso selbstbewusst mit einer ganz neuen Raumskulptur eingezogen. Da helfen natürlich auch die eigenen Erfolge.
Nochmals zum Ort. Nicht mehr: Das Dorf macht etwas mit dem Architekten. Auch nicht: Der Architekt macht etwas mit dem Dorf. Sondern: Der Architekt ist Teil eines vitalen, spannungsreichen Ortes. Der Ort ist heute sowenig ohne ihn denkbar, wie ohne den Wirt oder den Bauern?
Ich versuche meinen Beitrag beizusteuern und den Ort weiterzubauen, zu zeigen, er lebt weiter, braucht Neues, zeitgenössisch, klar, im Dialog. Ein zeitgeistiger, modischer Paukenschlag macht so wenig Sinn wie die Kopie von Vergangenem – Architektur ist und bleibt eine Gratwanderung. Ich versuche, Lösungen zu finden, die passen – und erlaube mir heute mehr, auch mehr baukünstlerische Inspiration.
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