„Es ist eine ständige Herausforderung, im Zustand der Ungewissheit zu arbeiten“
Interview mit Toni Gironès
Text: Adam, Hubertus, Basel; Kossovskaja, Elena, Basel
„Es ist eine ständige Herausforderung, im Zustand der Ungewissheit zu arbeiten“
Interview mit Toni Gironès
Text: Adam, Hubertus, Basel; Kossovskaja, Elena, Basel
Im Sommer präsentierte das Schweizer Architekturmuseum in Basel einen Überblick über Toni Gironès’ Bauten. Die Kuratoren Hubertus Adam und von Elena Kossovskaja haben den Architekten interviewt.
Mit keiner Bauaufgabe haben Sie sich so ausdauernd beschäftigt, wie mit dem Umbau von archäologischen Ausgrabungsstätten zu öffentlich Orten. Die Spanne reicht vom Schutzraum für römische Brennöfen in Villassar de Dalt (2002–04) über die archäologischen Parks von Iesso (2008–11) und Can Tacó (2008–12) bis hin zum Ausstellungsraum für Megalithen von Seró (2007–13). Wie kamen Sie zu diesen Projekten?
Toni Gironès | In den neunziger Jahren hatte ich eine Reihe von kleinen Projekten und Ausstellungen für Universitäten und den Architektenverband realisiert, fast alle mit einem wirklich sehr kleinen Budget. Der Auftrag für mein erstes archäologisches Projekt kam zustande, weil die Gemeinde Villassar de Dalt und die staatliche Altertümerverwaltung Kataloniens das mitbekommen hatten. Ihre Überlegung: Ein Architekt, der fast ohne Budget arbeiten kann, kann vielleicht auch im Fall der benötigten Schutzräume eine gute Lösung finden. Die Ausführungszeit war äußerst knapp. Die Anfrage erreichte mich im November 2002, bereits im Mai 2003, rechtzeitig zu den Bürgermeisterwahlen, sollte die Anlage fertig sein. Das war zwar nicht zu schaffen, aber immerhin stand die Wand, die die drei römischen Brennöfen schützt. Später haben wir den Raum dann noch mit einem Dach geschlossen. Der vorgegebene finanzielle Rahmen betrug 150.000 Euro. Eine große Firma, die als Generalunternehmer angefragt war, errechnete zuerst das Dreifache der Summe. Ich fragte daraufhin eine Reihe kleinerer Firmen an und hatte dann ein Angebot von 250.000 Euro auf der Hand. Wir haben die Anlage mit diesem Betrag auch umgesetzt. Ich war als Architekt, als Koordinator und als Kontrolleur tätig – und in einem Jahr 170 Mal auf der Baustelle. Durch meine architektonischen Installationen mit vielen Beteiligten – wie etwa Passanelles in Cadaquès – war ich solch einen intensiven Kontakt gewohnt und auch den außerordentlichen Aufwand an Energie, den solche Projekte kosten.
Die späteren Arbeiten sind in vielem mit diesem ersten Bau vergleichbar: Es galt, jedes Mal, mit minimalen finanziellen Mitteln ein Maximum an architektonischer Leistung undQualität zu erzielen. Erreichen ließ sich dies nur durch eine enge Zusammenarbeit mit den Entscheidungsträgern, durch Hinzuziehung lokaler Firmen, durch die Nutzung einfacher Baumaterialien und eine starke eigene Präsenz auf den Baustellen.
Ihr Vorgehen ist ungewöhnlich, weil Sie im archäologischen Kontext mit abstrakten Gestaltungsmitteln arbeiten. Sie verzichten zum Beispiel auf das Aufmauern von historischen Grundmauern ebenso wie auf Rekonstruktionen. Auf welche Resonanz stoßen Sie mit dieser Haltung bei den Archäologen?
Für aufwändige Rekonstruktionen oder elaborierte Schutzbauten war bei allen Projekten kein Geld da – ganz abgesehen davon, dass ich Rekonstruktionen für historisch fragwürdig und spektakuläre Interventionen bei solchen Stät-ten auch für nicht angemessen halte. Wir arbeiten stets in enger Abstimmung mit den Archäologen. Sie liefern uns die Daten – wir erklären ihnen unser Vorgehen. Den Archäologen geht es wie mir um den Schutz der authentischen Relikte. In Can Tacó habe ich die Mauern unberührt gelassen und nur die Negativvolumina der Räume in Form von Steinaufschüttungen sichtbar gemacht. In Iesso habe ich weite Teile der Grundmauern durch Erdaufschüttungen überdeckt, um sie vor dem Regenwasser zu schüt-zen. Das dadurch entstehende orthogonale Raster aus Dämmen lässt auch die Struktur der römischen Stadt wieder erkennen. Schutzelemente aus Holz und Stahl über dem Verlauf der römischen Stadtmauer, dem Torturm und der Thermenanlage geben eine ungefähre und abstrakte Andeutung der einstigen Proportionen, ohne ein konkretes Bild der Vergangenheit vorzugaukeln.
Sie verbinden in ihren archäologischen Projekten die unterschiedlichen Zeitschichten. Warum?
Es geht mir darum, einen neuen Rahmen zu entwickeln, der von der Vergangenheit bis in die Gegenwart reicht. Der Park von Can Tacó ist von großen Industrieanlagen umgeben. Es wäre absurd, diesen Kontext auszublenden – man kann ihn nicht sentimentalisieren. Als Architekt vermittle ich zwischen verschiedenen Ebenen: der Zeit, der Geschichte, dem Material, den unterschiedlichen Realitäten des Ortes, dem archäologischen Nutzer und den Besuchern. Ein Architekt ist ein Mediator, der alle diese Faktoren miteinander verbindet. Er ist auch ein Psychologe, denn nicht selten muss er negative Energie, die die Projekte begleitet, in positive Energie umwandeln. Für mich ist das eine phantastische Herausforderung, dass mich das 21. Jahrhundert dazu bringt, laufend im Zustand der Ungewissheit zu arbeiten.
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