Bauwelt

Für eine bessere Zukunft

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

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Das sanierte Wohnhaus in der Galerie
Courtesy Galerie Patrick Seguin

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Das sanierte Wohnhaus in der Galerie

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Centre Pompidou, Bibliothèque Kandinsky, fonds Jean Prouvé

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Centre Pompidou, Bibliothèque Kandinsky, fonds Jean Prouvé


Für eine bessere Zukunft

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

Das Projekt der „Maison des jours meilleurs“ von Abbé Pierre und Jean Prouvé wurde in Zeiten größter Not geboren – für Wohnungslose in den fünfziger Jahren. Der Pariser Galerist Patrick Seguin hat eines dieser Fertighäuser, von denen nur fünf Exemplare gebaut wurden, bei Metz entdeckt, demontiert, saniert und in seiner Ausstellungshalle wieder aufgebaut.
„Zur Hilfe! Helft uns sofort, sie unterzubringen!“ Mit diesem Aufruf im Radio hatte sich Abbé Pierre im harten Pariser Winter 1954 an die Politik und die Öffentlichkeit gewandt, um auf die miserable Lage der Obdachlosen aufmerksam zu machen. Der Aufruf und die mangelnde Reaktion der Politik bekamen Brisanz, nachdem ein Kind und eine alte Frau erfroren waren. Erst dann entwickelte sich eine landesweite Unterstützung für sein Projekt, schnell Unterkünfte zu schaffen.
Abbé Pierre war ein französischer Pater des Kapuzinerordens – immer mit Pilgerstab und Baskenmütze unterwegs. Nach dem Krieg gründete er die Vereinigung „Chiffonniers d’Emma­üs“ (Emmaus Lumpensammler), die Unterkünfte für Obdachlose baut. Heute gibt es seine Vereinigung in über vierzig Ländern. Der Pater starb 2007 im Alter von 91 Jahren. Er war viele Jahrzehnte lang eine Institution in Frankreich, wenn es um die Linderung der Wohnungsnot mittelloser Menschen ging.

Persil und Prouvé
1954 wandte sich der Pater auch an Jean Prouvé, der bereits zehn Jahre zuvor für die Geschädigten des Kriegs in Lothringen einfache Häuser entworfen hatte und in seinem Unternehmen bauen ließ. Prouvé sollte für die Obdachlosen ein besonders günstiges Haus konzipieren, das einer Einfachwohnung der damaligen Zeit mit etwa 50 Quadratmetern Fläche entsprach. Das „Maison des jours meilleurs“ (Haus für die besseren Tage) wurde zunächst zu Demonstrationszwecken gebaut, auch um damit die Industriealisierung des Wohnungsbaus insgesamt voranzutreiben. Der Aufruf von Abbé Pierre fand Gehör beim Waschmittelkonzern Persil, der eine große, in Frankreich für Aufsehen sorgenden Anzeigenkampagne „La grande quinzaine de Solidarité Persil“ startete. Mit „10 Francs für die Wohnungslosen“, so stand es auf den Waschpulverpackungen, unterstützte die Firma das Vorhaben Abbé Pierres. Das Geld wurde seiner Vereinigung zur Verfügung gestellt.
 1956 entstand schließlich ein Prototyp des Hauses von Jean Prouvé, das im Rahmen einer Publikumsmesse am Quai Alexandre III. gezeigt wurde. Das 57 Quadratmeter große Haus wurde von Tausenden besucht und bestaunt. Am 29. Februar 1956 war auch Le Corbusier dort gewesen und er war begeistert: „Jean Prouvé a évelé sur le Quai Alexandre III la plus belle maison que je connaisse: le plus parfait moyen d’habitation, la plus étincelante chose construite ...“
Das Gebäude wurde in sieben Stunden errichtet, für die damalige Zeit revolutionär. Es basiert auf einem Konzept, das Prouvé bereits 1952 mit dem Architekten Maurice Silvy ent­wickelt hatte. Auf einen Betonsockel, der eine Vertiefung aufweist, wird zunächst ein zentraler, vorgefertigter Baukörper aus Eisen gesetzt, für den es beim Entwurf unterschiedliche Ausformungen gab. Er birgt das Möbel für die offene Küche und den Nassraum. Auf ihm liegt außerdem der zentrale Dachträger des Gebäudes auf. Die Fassaden setzen sich aus Holz-Sandwichpaneelen zusammen, die geschlossen, mit Schiebefenster oder mit Tür produziert wurden. Die Ecken sind abgerundet. Das Dach besteht aus Aluminiumblech, das auf allen Seiten 50 Zentimeter übersteht. An der Eingangsseite schiebt es sich auf ganzer Länge bis auf ca. 1,50 Meter vor. Innen werden zwei Räume abgetrennt.

Keine Serie
Blickt man auf die gesamte Entwicklung der Fertigteil-Häuser von Jean Prouvé zurück wird deutlich, das keiner der Haustypen erfolgreich produziert wurde. Auch das Haus für Abbé Pierre bekommt durch die Behörden keine offizielle Bauzulassung, was Voraussetzung für eine Produktion in Serie gewesen wäre. Es wurden lediglich fünf Exemplare gebaut. Die Beamten genehmigten nicht, dass der Sanitärraum mitten im Wohnraum seinen Platz hat. Allein dies führt vor Augen, wie mutig die Entwürfe von Prouvé für die fünfziger Jahre waren. Das Konzept einer großen Produktionskette war für viele faszinierend, kam aber nicht richtig in Gang. Prouvé hatte zudem Mühe, die Kosten eines Hauses präzis zu schätzen und zu garantieren. Das zuständige Ministerium für Städtebau und Wiederaufbau nahm daraufhin Abstand vom Projekt.

Wochenendhaus bei Metz
Die Galerie Patrick Seguin liegt etwas verborgen in einer schmalen Pariser Seitenstraße, nur wenige Schritte östlich der Place de la Bastille. Schon seit Jahren sammelt Seguin Werke von Prouvé und stellt sie aus. Bei seinem Exemplar der Maison pour les jours meilleurs kann er eine besondere Geschichte erzählen.
Das Haus stand als Domicil fürs Wochenende in einem Garten bei Metz. Es war in schlechtem Zustand und zudem  innen umgestaltet worden. Die Eigentümer wollten es aufgeben. Seguin konnte das Haus erwerben, ließ es demontieren und Stück für Stück sanieren. Nähere Angaben dazu waren nicht zu recherchieren. Auch Fotos vom Gebäude im Ferienhauszustand wurden von der Galerie nicht zu Verfügung gestellt. Der nächste Schritt war dann die Präsentation in der Galerie. Das Gebäude passt knapp hinein. Es gelang, nahezu alle Details wieder herzustellen oder zu ergänzen, um ein Gesamtbild zu gewinnen.
Ein Haus, als ganz einfache Unterkunft für Mittellose gedacht und produziert, wird in den Räumen einer Galerie präsentiert – in der Rezeption des Werks von Prouvé scheint heute die Ästhetik seiner Arbeiten alle anderen Facetten seines Schaffens zu überblenden. Die Galerie Patrick Seguin zeigt die Ausstellung „Jean Prouvé, Maison des jours meilleurs pour l’Abbé Pierre“ mit einer Reihe von Modellen und Zeichnungen, die bereits in ihrem Besitz waren noch bis zum 29. September in der Rue des Taillandiers 5.  

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