Wir müssen schon für die Kleinsten gute Räume schaffen, weil die sie nachhaltig prägen.
Das Büro von Aline Hielscher hat in der Kita-Planung inzwischen einen breiten Erfahrungsschatz. Wir trafen die Architektin und sprachen über ganzheitliches Entwerfen, Normen und Grenzen.
Text: Klingbeil, Kirsten, Berlin; Kraft, Caroline, Berlin
Wir müssen schon für die Kleinsten gute Räume schaffen, weil die sie nachhaltig prägen.
Das Büro von Aline Hielscher hat in der Kita-Planung inzwischen einen breiten Erfahrungsschatz. Wir trafen die Architektin und sprachen über ganzheitliches Entwerfen, Normen und Grenzen.
Text: Klingbeil, Kirsten, Berlin; Kraft, Caroline, Berlin
Frau Hielscher, was ist eine gute Kita?
Eine gute Kita ist für mich ein Ort, an den die Kinder und die Erzieherinnen und Erzieher am Morgen gern gehen. Sie ist aber auch immer ein Ort, der seine Umgebung, sein Quartier bereichert.
In den letzten zwei Jahren haben Sie drei Kitas fertiggestellt: die Sanierung eines Plattenbaus in Halle, den Umbau einer Telefonzentrale in Merseburg und diesen Neubau hier in Leipzig. Wie entwirft man für Kinder?
Da gibt es kein allgemeingültiges Konzept. Auch Bauten für Kinder müssen zunächst auf den vorhandenen Ort reagieren. Dann ist es für uns wichtig, dass wir Räume mit viel Tageslicht und einer starken Verbindung zum Außenraum schaffen, wie hier in Leipzig: Der Innenraum geht in den Außenraum über. Es gibt außerdem Tageslichtbäder, die Lüftung erfolgt natürlich und wir versuchen, so weit wie möglich auf Haustechnik zu verzichten. Die Räume sind hell, positiv, aber auch sehr neutral. Sie sollen von den Kindern bespielt werden. Die Farbe kommt dann von allein.
Konnten Sie Erfahrungen aus einem Kita-Projekt im nächsten verwerten?
Ja und nein. In Merseburg lief das Projekt zwei Jahre später an; deshalb konnten wir von unseren Erfahrungen aus der Planung der Kitas von Leipzig und Halle profitieren. Dennoch ist jede Kita anders, jedes Konzept anders, auch die Raumprogramme unterscheiden sich: Wir hätten auch in Leipzig gern ein Kinderrestaurant integriert, was aber im Programm nicht vorgesehen war. Ich empfinde es trotzdem als Vorteil, an verschiedenen Orten, mit verschiedenen Verantwortlichen zu arbeiten, und damit auch mit unterschiedlichen Raumprogrammen und Anforderungen in Kontakt zu kommen. Man kann aus jedem umgesetzten Projekt Ideen bzw. Erfahrungen mitnehmen, das ist auch für die Auftraggebenden interessant.
Das Kinderrestaurant ist ein Beispiel, aber gibt es noch andere Aspekte, die in Ihren Kitas unterschiedlich sind?
Zum Beispiel die Kochküche, wie wir sie in Merseburg haben, obwohl dort nur 42 Kinder betreut werden. Das ist phänomenal. Wenn man hier zur Mittagszeit die Kita betritt, duftet es nach frischgekochtem Essen. Die Kinder können dem Koch bei der Vorbereitung zusehen und in ihrer Kinderküche mitmachen. Obwohl das Thema Ernährung in der Entwicklung der Kinder so zentral ist, sind Kochküchen eine absolute Ausnahme. Über solche Themen sind wir dann auch mit der Task-Force „Schulbau und Kita“ der Stadt Leipzig in Kontakt gekommen, die an unseren Erfahrungen interessiert war.
Sie haben in Merseburg bis zum Innenausbau alles entworfen – präzise Detailarbeit. Für den Architekten endet die Arbeit oft bei den Raumoberflächen, ob Möbel mitentworfen werden können, entscheidet der Bauherr. Welchen Unterschied macht es als Architektin, auch den Ausbau zu gestalten?
Es macht einen großen Unterschied. In Merseburg konnten wir einige wichtige Möbeleinbauten selbst entwerfen: das Spielplateau aus Holz, eine japanische Wand als Raumteiler, und Garderoben – das sind einfache Möbel, die handwerklich herzustellen sind. Solche Einbauten machen den Entwurf rund, auch für die spätere Nutzung. Alvar Aalto hat bis zur Türklinke alles entworfen: Wenn das Gebäude ein Ganzes ergeben soll, muss auch das Interieur mitziehen. Das finde ich in Kitas umso wichtiger, weil man dort den ästhetischen Blick von klein auf schärfen kann.
Wie war es in Leipzig?
In Leipzig konnten wir den Innenausbau nicht planen; durch die Katalogmöbel entsteht eine Art Mischmasch – zum Beispiel verschiedener Hölzer –, der dem Gestaltungskonzept nicht folgt. Ich möchte eine Lanze dafür brechen, dass wir diese Dinge wieder mehr zusammendenken. Wir möchten die Auftraggebenden ermutigen, Architektinnen und Architekten bei der Ausstattung einzubeziehen.
Sie haben sowohl Innenarchitektur als auch Architektur studiert. Was ist Ihnen näher?
Ich kann das nicht trennen. Ich bin durch die Innenarchitektur zur Architektur gekommen, weil man – von einigen Ausnahmen abgesehen – innen nur sehr schwer etwas losgelöst vom bereits geplanten Hochbauprojekt ausbauen kann. Eine Architektin oder ein Architekt sollten das Gebäude als Ganzes betrachten. Hier steht uns oft die DIN 276 im Weg, die die Kostengruppen definiert: KG 300 vereint die Hochbaukosten, die KG 400 die Haustechnik und die 600 sieht die Ausstattung vor. Weil der Bau in diese Budgets gesplittet wird, wird die Planung der Ausstattung, die ja gerade in Kitas so wichtig ist, nicht in den Architektenleistungen berücksichtigt.
In Leipzig gab es neben Ihrem Neubau bereits eine Kita aus den Sechzigern. Können ältere Bauten die Umsetzung heutiger pädagogischer Konzepte noch gewähren?
Der Bautyp, der dort steht, ist sehr interessant, weil er sogar patioähnliche Innenhöfe hat. Wie in unserem Projekt „Kita in der Platte” in Halle gibt es hier ein Raster, aus dem sich gute Raumproproportionen ergeben. Ich bin selbst in eine solche Kita gegangen. Sie hat mich sicher positiv geprägt. Das war ein helles, freundliches, großzügiges Gebäude mit zwei Etagen und einer riesigen Außenanlage. Ein klassischer DDR-Typenbau, der – auch im Nachhinein betrachtet – sehr gut funktioniert hat.
Sie benutzen in ihren Projektbeschreibungen zum Beispiel das Wort „Kinderrestaurant“ – es fällt auf, weil es nach Erlebnis und Selbstbestimmung klingt – kann Architektur Kinder bilden?
Ja! Wir müssen schon für die Kleinsten gute Räume schaffen, weil die sie nachhaltig prägen. Deshalb wäre auch ein Schulfach „Ästhetik“ sicher eine gute Idee. Wir müssen da ansetzen, wo die Zeit der Prägung anfängt. Ich glaube, dass der gebaute Rahmen, den wir in der Kita schaffen, dafür ganz essenziell ist.
Welche planerischen Parameter sind das vor allem in Kitas?
Zum Beispiel das Thema Farbe. Meine Tochter war in einer Kita, in der fast jede Wand eine andere Farbe hatte. Ich glaube, dass das für die Kinder permanenten Stress bedeutet. Kinder brauchen auch Ruhe und einen Rahmen, in dem sie nicht ständig einer optischen Reizüberflutung ausgesetzt sind. Deswegen finde ich die Neutralität der Räume so wichtig. In Merseburg haben wir Farbe an den Fenstern und in den Bädern verwendet, wir arbeiten gerne mit farbigen Fliesen. Die Gruppenräume halten wir aber neutral, weil da erfahrungsgemäß viel hineingestellt wird. Wir sind nicht gegen Farbe, aber man muss genau schauen, wo und wie man sie einsetzt und sie muss zum Gesamtkonzept beitragen.
Hier in Leipzig gibt es einen „Durchguck“ im Wickelzimmer, der es Erzieherinnen und Erziehern ermöglicht, den Raum zu verlassen und die Kinder trotzdem im Blick zu haben. Wie schaffen Sie es mit Ihrer Architektur, sowohl den Kindern als auch denen, die hier arbeiten, gerecht zu werden?
Indem wir die Abläufe hinterfragen. Wir versuchen in jedem Projekt, die tägliche Routine zu verstehen. In Leipzig halfen Gespräche mit den Erzieherinnen und Erziehern, der Kita-Leiterin und Angestellten der Stadt. Das Ergebnis haben wir auf unsere Planung übertragen. Und wir glauben grundsätzlich, dass man Kindern gerecht wird, wenn die Räume, in denen sie sich aufhalten, zu ihrem Wohlbefinden und ihrer Entwicklung beitragen.
Bei allen drei Kitas spielt der Außenbezug der Räume eine wichtige Gestaltungsrolle. Große Fensteröffnungen, direkter Zugang zum Garten. Wie stehen die Nutzer dieser offenen Bauweise gegenüber?
Sie schätzen die großzügige Fassade zum Garten sehr. Der Wechsel der Jahreszeiten ist sehr unmittelbar erlebbar und der Innenraum wirkt durch die Verlängerung mit der Balkonanlage weitläufiger. Dennoch müssen die Kinder auch vor Blicken geschützt werden. Dieser Schutz darf im Außenbereich permeabel sein, also zum Beispiel durch einen Zaun oder durch Vegetation. In Leipzig haben wir einen Zaun und zusätzlich einen Teil des alten Baumbestandes an der Straße erhalten; in dem Bauvorhaben in Merseburg ging das nicht, weil die Kita dort direkt vor einem Wohnheim liegt. Ich habe das aber nicht als Dilemma wahrgenommen. Auch die Erzieherinnen und Erzieher schätzen es sehr, wenn ein Bezug zwischen Innen- und Außenraum besteht; besonders im Sommer. Genau wie die Ausstattung sind der Außenraum und das Grün für das Gesamtkonzept wichtig. Ein schöner Außenraum ist für eine Kita unabdingbar.
Sie haben lange Zeit in Frankreich gelebt und gearbeitet. Welchen Einfluss hat diese Erfahrung auf Ihre Architektur genommen?
Die zehn Jahre in Paris waren eine wichtige Zeit für mich. In jedem Fall hat mich die französische Kultur sehr geprägt. Leben, Wohnen und Arbeiten finden in Paris sehr verdichtet statt. Deshalb stören mich zum Beispiel kleine Räume im Wohnungsbau nicht: So haben wir letztes Jahr einen Wohnungsbau fertiggestellt, mit Fünf-Zimmer-Wohnungen, die eine Wohnfläche von 125 Quadratmetern haben; das ist für hiesige Verhältnisse wenig für fünf Personen. Vor solchen Grundrissen habe ich keine Angst. Wir brauchen keine Paläste zum Wohnen.
Was für einen Platzbedarf nimmt man in einer Kita pro Kind an?
In den Gruppenräumen sind das 5 Quadratmeter für die Null- bis Dreijährigen, 2,5 Quadratmeter für die Älteren und zehn im Außenraum. Eine passende Umgebung für ein Kind zu schaffen und eine gute Kita zu bauen, ist nicht allein von Flächenbedarfen abhängig. In Merseburg hatte der Bestand ein 3,5-Meter-Raster; wir haben erstmal eine Machbarkeitsstudie durchgeführt, um herauszufinden, ob das Raumprogramm integriert werden kann. Am Ende war das möglich. Auch bei dem Umbau in Halle, der im Flächenangebot deutlich restriktiver war, ist es am Ende aufgegangen.
Das Raumprogramm in Leipzig besteht aus fünf gleichen Gruppenräumen; es gibt wenig Rückzugsmöglichkeiten für die Kinder.
Ja, das fehlte im Raumprogramm: kleine Räume, in denen die Kinder für sich sein können, zum Beispiel, um ein Hörspiel zu hören. Solche Orte sollten in den Raumprogrammen stärker berücksichtigt werden. Da besteht aus unserer Sicht Justierungsbedarf. Aber jede Kita ist auch anders. Es gibt Räume, die wiederkehren, aber es gibt auch immer Sonderthemen.
Mit drei Kita-Bauten haben Sie eine gewisse Expertise in dieser Typologie entwickelt. Schwierig ist immer, an den ersten Auftrag zu gelangen. Wurde für die Kita in Leipzig ein Wettbewerb ausgelobt?
Nein, wir haben den Auftrag über eine beschränkte Vergabe erhalten. Wettbewerbe werden von der Stadt Leipzig sehr selten ausgeschrieben. Es gibt VgV-Verfahren, über die wir das Projekt wegen fehlender Referenzen nie bekommen hätten. In Merseburg war es ähnlich. Ich habe von Wettbewerben weitestgehend Abstand genommen, weil ich das hiesige Wettbewerbssystem kritisch sehe. Kleine Büros können sich die Wettbewerbsplanung oft schlicht nicht leisten.
Wie könnte die Auftragsvergabe in Deutschland besser gehandhabt werden?
Ich würde mir für die Wettbewerbe ein ähnliches System wie in Frankreich wünschen: Vier bis fünf eingeladene – darunter auch junge und kleine – Büros werden für diesen Entwurf angemessen vergütet. Architektinnen und Architekten erbringen auch im Wettbewerb eine hochkomplexe, intellektuelle Leistung, die eine Vergütung verdient. VgV-Verfahren werden zu Recht kritisiert, weil man ohne die entsprechenden Referenzen nicht teilnehmen kann. Gerade junge oder kleine Büros haben damit keine Chancen, Aufträge der öffentlichen Hand zu erhalten. Dennoch sind die VGVs – in bereichernder Zusammenarbeit mit größeren Büros – aktuell für uns die beste Akquisemöglichkeit. Auf Kitas können wir uns nun meist bewerben, aber der Weg dorthin war weit.
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