Gartenstadt im Eigenbau
„Hands-On Urbanism 1850–2012“ im AzW in Wien
Text: Novotny, Maik, Wien
Gartenstadt im Eigenbau
„Hands-On Urbanism 1850–2012“ im AzW in Wien
Text: Novotny, Maik, Wien
Die aktuelle Sonderausstellung im Architekturzentrum Wien (AzW) schildert die Geschichte der Landnahmen von unten und das wiederkehrende Aufblühen des Informellen als städtische Überlebenstechnik in Krisenzeiten.
Die große Halle des Wiener Architekturzentrums ähnelt zur Zeit mehr einem Gartencenter als einem Museum. In allen Ecken grünt es, eifrig wird gegossen, gepflanzt und gegraben. Zwischen der üppigen Botanik bietet sich eine Vielzahl kleiner, auf Bauzäune montierter Tafeln zum Thema „Recht auf Grün“, so der Untertitel der Ausstellung. Eine Ausstellung, die man sich erarbeiten muss. Großformatige Hochglanzfotos, auf denen sich das Auge ausruhen kann, sind hier nicht zu finden. Dafür eine Fülle an Informationen zu wenig bekannten Beispielen für einen „Städtebau von unten“, für die Aneignung städtischen Freiraums durch die Bewohner. Die von Kuratorin Elke Krasny ausgewählten Beispiele führen von den Anfängen der Schrebergärten in Deutschland und Österreich Mitte des 19.Jahrhunderts über kooperatives Schrottsammeln in Porto Alegre bis zum Kampf um finanziell und landwirtschaftlich lukrativen Boden im heutigen Hongkong.
Dabei macht die Ausstellung unmissverständlich klar, auf wessen Seite sie steht: auf der Seite der Benachteiligten und der Minderheiten, die sich in mutiger Eigeninitiative brachliegenden Freiraum nehmen und urbar machen. Und es ist sicher kein Zufall, dass sich unter den hier vorgestellten Aktivisten eine beachtliche Zahl von Frauen findet: Das Hull House, 1889 in Chicago von der späteren Friedensnobelpreisträgerin Jane Addams im Zuge der sozialreformatorischen Settlement-Bewegung gegründet, vereinte schon nahezu alle Aspekte, die sich in Beispielen aus dem 20. und 21.Jahrhundert finden: programmatische Beteiligung von Immigranten, Weiterbildung, Hilfe zur Selbsthilfe. Informelles Learning-by-Doing hatte Priorität gegenüber der Erstellung akademisch starrer Masterpläne. Auf Ebenezer Howards „Garden Cities of Tomorrow“ (1902) wollte man nicht warten, man fing einfach an.
Im kleineren und grüneren Rahmen tat es eine andere Frau Jane Addams gleich: Liz Christy, die 1973 auf einer Brachfläche auf der desolaten Lower East Side in Manhattan auf damals wertlosem Grund einen Community Garden begründete. Der besteht heute noch („Liz Christy Garden“) – eine Anerkennung, die leider die Ausnahme ist. Dass solche Initiativen so gut wie immer durch gegenläufige Interessen bedroht sind, zeigt der ungleiche Kampf, den Becky Au von der „Ma Po Po“-Farm in Hongkong mit der Politik und der Immobilienwirtschaft führt. In Hongkong ist informelles Siedeln seit 1980 verboten, der Verwertungsdruck auf das verbliebene Freiland steigt, 80 Prozent des Geländes um Ma Po Po gehören bereits dem kanadischen Developer Henderson.
Trotz ungewisser Zukunft der Initiativen – es ist aufschlussreich zu sehen, wie hier zwischen alten und neuen Siedlern landwirtschaftliches Know-how in urbaner Umgebung weitergegeben wird: Ein agrarisches Basiswissen, das in der Stadtgeschichte re¬gelmäßig verschüttet und vor allem in Krisenzeiten immer wieder ausgegraben oder re-importiert wird. Dass dies sogar auf Landesebene passiert, zeigt das Beispiel Kuba: Nach dem Ende der Sowjetunion von lebenswichtigen Importen abgekoppelt, kehrte man hier – aufgrund des US-Handelsboykotts ohne Öl und Maschinen – in den Städten wieder dazu zurück, ganz archaisch von Hand Gemüsebeete anzulegen. So schließt sich der Kreis zu den Schrebergärten der 1860er Jahre.
Ein überaus reichhaltiges und in seiner erstaunlich beharrlichen Kontinuität bislang kaum gewürdigtes Stück Stadtgeschichte an der Schnittstelle von Landwirtschaft, Urbanismus, Stadtsoziologie und Wirtschaftspolitik fächert das AzW hier auf. Ein sprödes aber lohnendes Sujet, für das man sich vielleicht einen weniger kryptischen Titel als „Hands-On Urbanism“ gewünscht hätte – aber das ist nur ein klei¬ner Wermutstropfen in einem überzeugenden Plädoyer für das Lernen vom Informellen.
Dabei macht die Ausstellung unmissverständlich klar, auf wessen Seite sie steht: auf der Seite der Benachteiligten und der Minderheiten, die sich in mutiger Eigeninitiative brachliegenden Freiraum nehmen und urbar machen. Und es ist sicher kein Zufall, dass sich unter den hier vorgestellten Aktivisten eine beachtliche Zahl von Frauen findet: Das Hull House, 1889 in Chicago von der späteren Friedensnobelpreisträgerin Jane Addams im Zuge der sozialreformatorischen Settlement-Bewegung gegründet, vereinte schon nahezu alle Aspekte, die sich in Beispielen aus dem 20. und 21.Jahrhundert finden: programmatische Beteiligung von Immigranten, Weiterbildung, Hilfe zur Selbsthilfe. Informelles Learning-by-Doing hatte Priorität gegenüber der Erstellung akademisch starrer Masterpläne. Auf Ebenezer Howards „Garden Cities of Tomorrow“ (1902) wollte man nicht warten, man fing einfach an.
Im kleineren und grüneren Rahmen tat es eine andere Frau Jane Addams gleich: Liz Christy, die 1973 auf einer Brachfläche auf der desolaten Lower East Side in Manhattan auf damals wertlosem Grund einen Community Garden begründete. Der besteht heute noch („Liz Christy Garden“) – eine Anerkennung, die leider die Ausnahme ist. Dass solche Initiativen so gut wie immer durch gegenläufige Interessen bedroht sind, zeigt der ungleiche Kampf, den Becky Au von der „Ma Po Po“-Farm in Hongkong mit der Politik und der Immobilienwirtschaft führt. In Hongkong ist informelles Siedeln seit 1980 verboten, der Verwertungsdruck auf das verbliebene Freiland steigt, 80 Prozent des Geländes um Ma Po Po gehören bereits dem kanadischen Developer Henderson.
Trotz ungewisser Zukunft der Initiativen – es ist aufschlussreich zu sehen, wie hier zwischen alten und neuen Siedlern landwirtschaftliches Know-how in urbaner Umgebung weitergegeben wird: Ein agrarisches Basiswissen, das in der Stadtgeschichte re¬gelmäßig verschüttet und vor allem in Krisenzeiten immer wieder ausgegraben oder re-importiert wird. Dass dies sogar auf Landesebene passiert, zeigt das Beispiel Kuba: Nach dem Ende der Sowjetunion von lebenswichtigen Importen abgekoppelt, kehrte man hier – aufgrund des US-Handelsboykotts ohne Öl und Maschinen – in den Städten wieder dazu zurück, ganz archaisch von Hand Gemüsebeete anzulegen. So schließt sich der Kreis zu den Schrebergärten der 1860er Jahre.
Ein überaus reichhaltiges und in seiner erstaunlich beharrlichen Kontinuität bislang kaum gewürdigtes Stück Stadtgeschichte an der Schnittstelle von Landwirtschaft, Urbanismus, Stadtsoziologie und Wirtschaftspolitik fächert das AzW hier auf. Ein sprödes aber lohnendes Sujet, für das man sich vielleicht einen weniger kryptischen Titel als „Hands-On Urbanism“ gewünscht hätte – aber das ist nur ein klei¬ner Wermutstropfen in einem überzeugenden Plädoyer für das Lernen vom Informellen.
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