Gespalten
Das MoMA widmet sich Frank Lloyd Wrights Verhältnis zur Stadt
Text: Schindler, Susanne, New York
Gespalten
Das MoMA widmet sich Frank Lloyd Wrights Verhältnis zur Stadt
Text: Schindler, Susanne, New York
Das ist es, was die Architekturabteilung des Museum of Modern Art am Besten kann: Ausstellungen mit Originalen aus Meisterhand. Selbst wenn man das vielleicht nicht wahrhaben will; denn zu der Art der Verehrung wie sie hier sonst dem MoMA-Hausgeist Mies zuteil wird, möchte man eigentlich Abstand halten.
Doch auch dieses Mal überwältigen die quadratmetergroßen Bleistiftzeichnungen, die so unmittelbar und vielschichtig sprechen. Die Spuren wiederholten Radierens und Korrigierens erzählen vom Werden der Entwürfe, die haarfeinen Konstruktionslinien der Perspektiven vermitteln die Prinzipien der Tragwerke. Und der Aura der riesigen Modelle mit ihren farbig gestrichenen, detailgetreuen Holzteilen, seien es Häuschen und Straßen, Fabriken und Autos oder Geschossdecken und Fensterbrüstungen, gibt man sich gerne hin. Wenn die Ausstellung dann noch in Zusammenarbeit mit einer universitären Forschungseinrichtung entstanden ist, stehen die Chancen gut, dass auch das Konzept und dessen historisches Fundament stimmen.
Ausgerechnet New York
2012 hat das MoMA in New York zusammen mit der Avery Architectural and Fine Arts Library der Columbia Universität das Archiv von Frank Lloyd Wright (1867–1959) übernommen. Der Nachlass des wohl bekanntesten amerikanischen Architekten war bis dahin in seinen beiden Wirkungsstätten im ländlichen Wisconsin und in der Wüste Arizonas verwahrt worden. Nun haben diese Schätze ausgerechnet in der profitorientierten Metropole an der Ostküste, die Wright so verhasst war, ein neues Zuhause gefunden. Vermutlich ist diese Ironie auch die Motivation für die Wahl des Thema der ersten Ausstellung einer geplanten Reihe gewesen, die das Werk des zumeist hagiografisch präsentierten Architekten unter neuen Schwerpunkten betrachten soll: Die im Februar eröffnete Schau Frank Lloyd Wright and the City: Den-sity vs. Dispersal rollt Wrights widersprüchliches Verhältnis zur Stadt auf.
Ja, Wrights Verhältnis zur Stadt war gespalten – das vermittelt sich hier auf Anhieb. In der Mitte des Ausstellungsraums ist das gut vier auf vier Meter große Modell von Broadacre City aufgebaut. In den frühen 30er Jahren entwickelte der Architekt dieses Siedlungskonzept, mit dem er zweierlei zu lösen gedachte: zum einen die wirtschaftliche Krise der USA, deren Quelle er in den industrialisierten Städ-ten sah, zum anderen die Wohnungsfrage, die sich nach dem Börsencrash von 1929 ähnlich darstellte wie während der Finanzkrise 2008, nämlich in Form massenhafter Zwangsversteigerung. Wright schlug vor, auf Basis eines Grundmoduls von 0,4 Hektar (1 acre) pro Haushalt staatliches Land an die aus den Städten umgesiedelten Menschen zu verteilen. Broadacre City sollte ein Zusammenleben ermöglichen, das einerseits, auf Selbstversorgung fußend, agrargesellschaftlicher Natur gewesen wäre, andererseits, auf dem Automobil und modernsten Telekommunikationsmitteln basierend, futuristische Ideale verfolgt hätte.
Den Kontrast zu dieser Vision geringster Dichte und maximaler Dezentralisierung, die Broadacre darstellt, bilden Wrights Hochhausprojekte, die entlang aller vier Wände des Galerieraums präsentiert werden: von weniger bekannten wie dem San Francisco Call Building, 1912, oder den St. Mark’s-in-the-Bouwerie Towers, 1927–31, über das berühmte Johnson Wax Building in Racine/Wisconsin, 1943–50, bis zu dem provokanten Mile High Tower für Chicago, 1956. Einige hat Wright realisiert, andere blieben Idee.
So unterschiedlich die beiden Konzepte von Stadt zu sein scheinen, sie haben doch Gemeinsamkeiten. Etwa die Nutzungsmischung innerhalb einer Einheit: In der vier Quadratmeilen großen Broadacre City gibt es alle für das Leben der 1400 Familien notwendigen Einrichtungen, und in vielen der Hochhausprojekte vereint Wright wie selbstverständlich Wohnen und Arbeiten. Die gleiche Faszination für die neuste Technik, die Broadacre zugrunde liegt, zeigt sich auch in den experimentellen Tragwerken der Hochhäuser mit den rund um einen einzigen Kern auskragenden Geschossdecken, den gegenseitigen Verdrehungen und den doppelgeschossigen Innenräumen. Das Ein-Meilen-Hochhaus hat Wright explizit u.a. Torroja, Nervi und Maillart gewidmet.
Wie hast du’s mit der Demokratie?
Was die Ausstellung nur am Rande streift, sind die widersprüchlichen Haltungen von Wright zur Demokratie – ein Schlagwort unter dem er seine gesamte Karriere hindurch publizierte. Er sprach sich für den privaten Landbesitz aus, lehnte jedoch den Privatbesitz „öffentlicher Bedürfnisse“ ab; vehement argumentierte er aber auch gegen einen starken Staat, wie er im Zuge des New Deal etabliert wurde und der dieses Verhältnis hätte regeln können. Warum Wright gegen Ende seines Lebens einen 1,6 Kilometer hohen Turm für 100.000 Beamte des Staates Illinois konzipierte, bleibt ein Rätsel.
Es trifft sich, dass in diesem Frühjahr gleich mehrere Veranstaltungen die Materie bearbeiten, unabhängig von Wright und doch unweigerlich auf ihn Bezug nehmend. Dazu zählt die Mitte Februar an der Princeton University stattgehabte, quer durch Rechtswissenschaften, Architektur, Geschichte und Soziologie streifende Tagung Architecture, Civic Space and Democracy. Die Historikerin Joan Ockman gestand, dass sie gescheitert sei, das Thema, das sie sich ursprünglich vorgenommen hatte – Frank Lloyd Wright und die Demokratie – zu fassen: Zu unvereinbar und multivalent seien seine Handlungen und Äußerungen hierzu, zu ähnlich in vielerlei Hinsicht dem Libertarismus der heutigen Tea-Party-Bewegung. Ende Mai wird sich das Buell Center for the Study of American Architecture der Columbia University unter dem Titel The Figure of Democracy: Houses, Housing and the Polis mit ähnlichen Fragen beschäftigen. Dass die Auseinandersetzung mit Wright heute neue Debatten anstiften kann, ist ein gutes Zeichen für die Zukunft des Nachlasses in seiner neuen städtischen Heimat.
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