Bauwelt

Gewisse Rahmenbedingungen

Architektur von Ai Weiwei in Bregenz

Text: Meister-Klaiber, Dagmar, Ulm

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Markus Tretter, Ai Weiwei, Kunsthaus Bregenz; Courtesy Mori Art Museum, Tokyo

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Markus Tretter, Ai Weiwei, Kunsthaus Bregenz; Courtesy Mori Art Museum, Tokyo


Gewisse Rahmenbedingungen

Architektur von Ai Weiwei in Bregenz

Text: Meister-Klaiber, Dagmar, Ulm

FREE AI WEIWEI. Dieser Schriftzug, der schon bei der Biennale in Venedig auf 5000, vom Kunsthaus Bregenz verteilten Stofftaschen für Aufmerksamkeit sorgte, steht nun unübersehbar in roten Lettern auf dem Dach des Hauses. In Bregenz will man die Zeichen der Solidarität auch nach der Freilassung des regimekritischen Künstlers nicht verschwinden lassen.
Ai Weiwei darf sich öffentlich nicht äußern und Peking nicht verlassen. Dennoch oder gerade deswegen ist er derzeit in der westlichen Kunstwelt omnipräsent: Porträts des Künstlers am Haus der Kunst in München, RELEASE AI WEIWEI-Banner an der Tate Modern in London, Foto- und Videoarbeiten im Fotomuseum Winterthur. Und im Kunstmuseum Luzern spricht man vor chinesischen Landschaftsbildern nicht, wie geplant, mit ihm, sondern über ihn. Diese Solidaritätsbekundungen sind auch Beleg für die Bandbreite von Ais Werk. Sie gelten dem Konzeptkünstler, Bildhauer, Fotografen, Videokünstler, Per­former – und jetzt in Bregenz dem Architekten Ai Weiwei. Die Ausstellung hat im Grunde nichts mit den aktuellen Ereignissen zu tun, sie ist lange vorher von Ai selbst konzipiert worden, doch wird ihr nun besondere Aufmerksamkeit zuteil.
„Architektur ist das Resultat verschiedener politischer, sozialer und technischer Aspekte, ich gebe nur gewisse Rahmenbedingungen vor“, sagt Ai zu seinem Engagement in einem Bereich, zu dem er eher zufällig gefunden hat. Weil er dem Architekten seines Pekinger Studios misstraute, nahm er das Projekt 1999 selbst in die Hand und vertraute stattdessen den Handwerkern. Das Ergebnis dieses Erstlings, ein Mauerwerksbau, der auf lokale Ressourcen und mi­nimalistische Formensprache setzt, wird in Bregenz auf Video präsentiert, ebenso wie sein Atelierkomplex in Shanghai, der Anfang des Jahres von den Behörden mutwillig zerstört wurde. Ai filmte die Zerstörung und funktionierte den Willkürakt zu einer Kunstperformance um. Diese Arbeit bedarf genauso wenig eines Kommentars, wie seine filmischen Do­kumentationen über den urbanen Wildwuchs und die rasante Veränderung chinesischer Agglomerationen.
 
Luxus  – eine subversive Strategie?

Die Ausstellung präsentiert nicht alle Architektur­arbeiten Ais – es sollen über sechzig Projekte sein. Der Fokus liegt auf seinen Kooperationen mit Architekten aus dem Westen. Bekanntestes Beispiel: die Zusammenarbeit mit Herzog & de Meuron beim Olympiastadion in Peking. Zahllose Modellstudien, darunter ein chinesisches Sitzkissen, das mit seinem Rundgeflecht die spätere Gestalt des Stadions vorwegzunehmen scheint, lassen Ais Funktion als künstlerischer Berater erkennen. Im Gegenzug holte er bei dem Auftrag für das Jindong-Zentrum in Jinhua, einen Kulturpark zu Ehren seines Vaters, des Dich­ters Ai Qing, Herzog & de Meuron ins Boot, die schließlich das gesamte Stadtzentrum überplanten. Das Modell lässt den Versuch erkennen, die Rasterstadt mit den gewachsenen Strukturen möglichst natürlich zu verbinden. Mit dem jungen Schweizer Büro HHF realisierte Ai Weiwei u.a. ein zu Wohn- und Ausstellungsräumen für Kunstsammler in den USA addiertes Modulsystem (Bauwelt 15.09).
Bei der Architektur geht es Ai nicht um Perfektion im Detail. Ihn interessiert, wie bei seinen künstlerischen Arbeiten, vor allem die soziale und politische Dimension. Architektur ist für ihn ein Vehikel, um über die bildende Kunst hinaus konkrete Wirkung zu entfalten. Welches soziale und politische Ziel Ai allerdings bei dem Projekt „Ordos 100“ im Blick hatte, erschließt sich nicht ohne weiteres. Für Ordos, die „boomende Geisterstadt“ in der Inneren Mongo­-lei (Bauwelt 48.10), entwickelte er einen Masterplan für 100 Villen mit je 1000 Quadratmeter Nutzfläche auf 1200 Quadratmeter großen Grundstücken. Herzog & de Meuron suchten für die Entwürfe 100 junge, internationale Architekten aus. Ein riesiges Holzmodell nimmt das gesamte zweite Stockwerk des Kunsthauses ein. Ein Wandfries mit kühnen Entwurfsbil­dern und die versammelten hundert Hausmodelle auf der Bodenplatte zeigen ein bizarres Konglomerat exaltierter Groß-Villen, die selbstbezogen Ort und Kultur ausklammern. Das Projekt ist inzwischen auf Eis gelegten. Ai wollte damit westliches Know-how nach China bringen, als Gegenmodell zu gesichtslo­-sen Investorenbauten. Ob Architektur-Import für die Klasse der Millionäre im großen Stil eine gute Idee ist, wo Ai stets beklagt, in China würden nur die Reichen bedient und die Bedürfnisse der Mehrheit ig­noriert? Vielleicht steckt hinter „Ordos 100“ ja auch eine unerkannte subversive Strategie, die den Wandel durch Anpassung an westliche Baukultur verfolgt.
Im obersten Geschoss des Kunsthauses kann Ai Weiwei mit der Kunstinstallation „Moon Chest“ Boden gutmachen. Kästen aus chinesischem Huang­huali-Holz stehen akkurat in einer Reihe hinter­ein­ander, sind auf Vorder- und Rückfront mit runden Öffnungen versehen, die eine Sichtachse bilden. Blickt man durch die Rundungen hindurch, lassen Licht und Schatten Segmente sichtbar werden, die je nach Betrachterperspektive unterschiedliche Mondphasen darstellen. Eine abstrakte Arbeit von architektonischem Charakter und Ausdruck einer Philosophie, die das Wesen hinter den Dingen zeigen will. Das ist: kostbar, schlicht, schön und kraftvoll. So verschmelzen am Ende doch Kunst, Architektur und Politik zu einem vielschichtigen Gesamtwerk, durchaus mit Widersprüchen.
Fakten
Architekten Weiwei, Ai, Beijing
aus Bauwelt 30.2011
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