Großer Wurf im Kleinen
Wohnhochhaus am Alexanderplatz
Text: Ballhausen, Nils, Berlin
Großer Wurf im Kleinen
Wohnhochhaus am Alexanderplatz
Text: Ballhausen, Nils, Berlin
Wohnen am Alexanderplatz? Trotz hoher Frequentierung wirkt der Ort nicht ausgelastet. Die Klientel, die hier zum Bleiben animiert werden soll, möchte in sicherem Abstand auf Stadt und Platz hinabblicken. Wie kann sie verträglich untergebracht werden?
Das überregionale Feuilleton-Gewitter war heftig, aber zu erwarten: In München (SZ) zeigte man sich bestürzt über die Provinzialität, mit der sich Berlin wieder einen Gehry andrehen ließ. In Frankfurt am Main (FAS) sah man mit der übergroßen „Pfeffermühle“ aus Kalifornien den „literarischen Ort“ Alexanderplatz endgültig zerstört. Weit weg vom Bauplatz scheint der Blick auf die Realität unscharf zu werden. Aus Alfred Döblins Zeiten stammt immerhin der unter- und oberirdische ÖPNV-Knoten, der täglich von 300.000 Menschen genutzt wird. Auch mag der Alexanderplatz hart, ruppig, vielleicht sogar monströs sein – provinziell wird er durch ein Hochhaus aber nicht.
1993 konnte man in der Wettbewerbsausstellung „Masterplan Alexanderplatz“ zwei konträre Haltungen im Städtebau besichtigen. Im Siegerentwurf von Hans Kollhoff und Helga Timmermann war der neue Alexanderplatz mit zehn 150 Meter hohen Türmen umstellt, die aus gerasterten blockförmigen Sockeln hervorwuchsen – ein imposantes Bild, für dessen Realisierung die vorhandene „sozialistische“ Stadt jedoch erst hätte ausradiert werden müssen. Der zweitplatzierte Entwurf von Daniel Libeskind und Bernd Faskel setzte der damals als piefig empfundenen Ostmoderne eine chaotisch anmutende „Downtown“ unterschiedlichster Achsen und Höhen hinzu. Eben dieses heterogene Bild könnte nun doch noch Wirklichkeit werden.
Denn obwohl Kollhoffs Vision seit Jahren in rechtsverbindliche B-Pläne gegossen ist, wurde dank ausbleibender Wirtschaftsdynamik kaum etwas davon umgesetzt. Da einige der damals zur Disposition gestellten DDR-Gebäude inzwischen saniert worden sind, ist die Realisierung des alles beiseite wischenden Masterplans heute unwahrscheinlicher denn je. Senatsbaudirektorin Regula Lüscher und Hans Kollhoff haben sich bereits über die Anpassung des Plans an die Realität verständigt. Sofern das Berliner Abgeordnetenhaus dies beschließe, erklärt Lüscher, solle möglichst noch innerhalb eines Jahres eine Änderung erarbeitet werden. Der Zeitpunkt sei günstig, da die Eigentümer keinen Anspruch auf Entschädigungen bei Planänderungen geltend machen könnten, wenn sieben Jahre nach Festsetzung des Bebauungsplans nichts davon realisiert sei. Der Hochhaus-Standort solle auf jeden Fall beibehalten werden, ebenso die 150-Meter-Obergrenze. Jedoch dürfte sich die Zahl der Hochhäuser – unter Berücksichtigung des Bestands – auf vier oder fünf Türme reduzieren.
Vergangenes Jahr konkretisierte sich das erste Hochhaus. Die amerikanische Hines Immobilien GmbH will es an ihr 2009 errichtetes Geschäftshaus „die mitte“ anschließen (Architekten: RKW). Das Projekt umfasst rund 300 luxuriöse Apartments im Turm und ein Hotel mit Wellness-Bereich im Sockel. Neun Büros waren zur ersten Stufe des Gutachterverfahrens eingeladen, die Entscheidung der zweiten Phase (mit vier Büros) gab der Auslober Ende Januar bekannt. Hierbei ging der vom Bauherrn ursprünglich favorisierte Christoph Ingenhoven leer aus. Die Jury (Vorsitz: Peter Schweger) konnte, so war zu erfahren, mit dessen „überindividualisiertem“ Wohnturm und der von geräumigen Balkonen zerfransten Kontur wenig anfangen. Um dem Interesse des Investors entgegenzukommen, zeichnete sie stattdessen den international vermarktbaren Frank O. Gehry mit dem 1. Preis aus. Sein verdrehter und eingekerbter Baukörper stelle mit der beigefarbenen Natursteinfassade einen Bezug zu den denkmalgeschützten Henselmann-Bauten an der Karl-Marx-Allee her. Der Architekt nennt unter anderem Scharouns Philharmonie als Referenz – am Berliner Kulturforum weit weg und ebenso weit hergeholt.
Da es dem Bauherrn freigestellt ist, welchen der drei Preisträger er realisieren lässt, dürfen sich auch die beiden Berliner Büros Kleihues + Kleihues und Barkow Leibinger noch Hoffnungen machen. Sollte das Gehry-Projekt zu teuer werden oder am Markt zu wenig Nachfrage hervorrufen, steht mit der zweitplatzierten Arbeit ein bei der Jury wohlgelittener Kompromiss bereit: ein moderat moderner Turm, der sich in seiner Farbigkeit an den beiden Peter-Behrens-Bauten „Berolina“ und „Alexander“ orientiert. Mit dem Entwurf von Kleihues, der 2007 das ehemalige „Centrum“-Warenhaus überformt hat, bestünde dann sogar ein vager formaler Zusammenhang quer über den Alexanderplatz hinweg.
Als dritte Preisträger suchten Barkow Leibinger konsequent formale Bezüge zur anwesenden DDR-Moderne. Ihren Entwurf befand die Jury trotz der großzügigen Glasflächen und der interessanten Fassadenfaltung als zu abweisend, und es war zu hören, dass der Bauherr den Wohnungszuschnitten nur mäßige Chancen auf dem Markt einräumt.
Lüscher nimmt die Nachfrage nach Luxus-Wohnungen zum Anlass, die zweifellos notwendige Weiterentwicklung und Differenzierung des nach wie vor zu kommerzlastigen „Alex“ voranzutreiben. In den vergangenen 20 Jahren hat sich damit das Planungsleitbild komplett gewandelt. Man denkt nun von Haus zu Haus, statt an den großen Wurf. Der Senatsbaudirektorin geht es um ein schrittweises Vorgehen im „Dialog mit der Umgebung“. Die widersprüchlichen Resultate, die dieser Pragmatismus erzeugt, dürfte die Stadt aushalten.
Zweiphasiger Einladungswettbewerb nach RPW 2008
1. Preis Gehry Partners, LLP, Los Angeles
2. Preis Kleihues + Kleihues, Berlin
3. Preis Barkow Leibinger, Berlin
Engere Wahl Ingenhoven Architects, Düsseldorf
1. Preis Gehry Partners, LLP, Los Angeles
2. Preis Kleihues + Kleihues, Berlin
3. Preis Barkow Leibinger, Berlin
Engere Wahl Ingenhoven Architects, Düsseldorf
0 Kommentare