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Grünes Wien?

Text: Seiß, Reinhard, Wien

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Reinhard Seiß

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Reinhard Seiß


Grünes Wien?

Text: Seiß, Reinhard, Wien

In Wiens neuer Stadtregierung fällt das Planungs- und Verkehrsressort den Grünen zu. Kommt es nun zum überfälligen Paradigmenwechsel in der Stadtentwicklung?
Wiens sozialdemokratischer Langzeitbürgermeister Michael Häupl wagt erstmals in Österreich eine rot-grüne Regierungskoalition. Gesellschaftspolitisch trennt die beiden Parteien ja relativ wenig. Für Diver­genzen sorgten in den letzten Jahren vor allem das Thema Auto, dessen ungehinderter Gebrauch für die SPÖ ein sakrosanktes Bürgerrecht darstellt, und der oft intransparente und teils korrumpierbar anmutende Regierungsstil der seit 1945 unangefochtenen Partei, der sich in den vergangenen Jahren nicht zuletzt im Bereich Stadtentwicklung offenbarte. Insofern überraschte es, dass die Sozialdemokraten nach dem Verlust ihrer absoluten Mehrheit bei der Wahl im Oktober ausgerechnet das Ressort Verkehr, Stadtplanung, Klimaschutz und Energie den Grünen, sprich deren Chefin Maria Vassilakou überließen.
Die Langfristigkeit dieser Materie beschert der gebürtigen Griechin ein Erbe an Projekten ihrer Amtsvorgänger, die dem grünen Verständnis von Stadtentwicklung durchaus widersprechen. Aus urbanistischer Sicht problembehaftete Neubauviertel wie die Donau City oder das Quartier am neuen Hauptbahnhof werden kraft rechtsgültiger Bebauungspläne wäh­rend oder sogar erst nach ihrer Amtszeit fertig werden, ohne dass sie noch Substanzielles daran wird ändern können. So wird sie ihr Hauptaugenmerk darauf richten müssen, was derzeit in den magistrati­schen Planungsabteilungen zu Papier gebracht wird: seien es die Flächennutzungspläne für die großen Stadterweiterungsgebiete jenseits der Donau, allen voran für das Prestigeprojekt am ehemaligen Flugfeld Aspern, wo es endlich gelingen muss, vom monofunktionalen und autogerechten Städtebau auf der grünen Wiese wegzukommen; seien es die Planun­gen für innerstädtische Entwicklungszonen wie den alten Nordwestbahnhof, wobei eine Abkehr vom bisher gepflegten Nebeneinander baublockgroßer Wohn-, Büro- und Handelshäuser zugunsten einer kleinstrukturierten Nutzungsmischung mit vitalen Erdgeschosszonen überfällig wäre; seien es Großprojekte wie die partielle Neuüberbauung des Franz-Josefs-Bahnhofs, wo Wiens Planer unter Beweis stellen könn­ten, dass sie über mehr städtebauliche Kompetenz verfügen, als sie dies auf den geradezu beschämen­den Großbaustellen „Wien Mitte“ oder „TownTown“ zeigen.
Abseits neuer Qualitätskriterien für die maßgeblichen Bauvorhaben der nächsten Jahre bedürfte es für eine nachhaltige Stadtentwicklung auch eines grundsätzlich anderen Qualitätsbewusstseins in den Planungsämtern. So basierte in den letzten beiden Dekaden eine Vielzahl von Umwidmungen und Baugenehmigungen auf der kurzfristigen Rentabilitäts­erwartung des Grundstückseigentümers oder Projektentwicklers anstatt auf urbanistischen Zielsetzun­gen oder dem Interessensausgleich zwischen allen Akteuren. Auch das, was Wiens Planungsbeamte un­ter einer stadtverträglichen Bebauungsdichte verstehen, hat sich seit Anfang der 90er Jahre massiv nach oben verschoben. Insofern geht das Ziel der Grünen, entschieden mehr Gewicht auf die Grün- und Frei­flächen zu legen, in die richtige Richtung.
Der überfällige Paradigmenwechsel im Wiener Städtebau wird jedoch nicht im Planungsressort allein zu bewältigen sein. Gleich mehrere Stadträte – allen voran der Wohnbaustadtrat, der für die Wiener Bauordnung, die Baupolizei oder auch die Vergabe der Wohnbauförderung zuständig ist – haben stadtplanungsrelevante Kompetenzen inne und können die­sen Paradigmenwechsel begünstigen oder aber auch verhindern. Genauso braucht es die Bereitschaft von Bauträgern, Unternehmern und Investoren, ihr Wirken – viel stärker als bisher – als Beitrag für eine lebenswerte Stadt zu verstehen. Insofern ist Maria Vassilakou angehalten, in einer möglichst breiten Öffentlichkeit baukulturelles Bewusstsein zu erzeugen, zumal die Grünen um Unterstützung für gravierende Änderungen im Planungs- und Baurecht werben, etwa für die öffentliche Abschöpfung privater Widmungsgewinne nach dem Vorbild des rot-grünen München. Auch das Bewusstsein der meis­ten Abgeordneten im Stadtparlament bedürfte einer Schärfung – insbesondere was die Wahrnehmung der von ihnen selbst beschlossenen übergeordneten Ziele für die Stadtentwicklung betrifft: namentlich der Stadtentwicklungspläne, der Verkehrskonzepte, des Grünraum- oder auch des Hochhauskonzepts. Diese wurden – weil rechtlich unverbindlich – in den vergangenen Jahren oft geflissentlich übergangen, wenn es um politisch motivierte Flächennutzungs- und Bebauungspläne ging.
Schwer werden es die grünen Ambitionen für eine überfällige Verbesserung des öffentlichen Verkehrs haben, zumal dieser maßgeblich von den Wiener Linien und den Österreichischen Bundesbahnen bestimmt wird – und sich somit Vassilakous Einfluss entzieht. Dabei wäre es im Sinne einer urbanen Entwicklung Wiens von großer Bedeutung, dass nach Jahren der prestigeträchtigen, aber sündteuren U-Bahn-Offensive nun endlich auch Geld in die flächendeckende Verbesserung des stiefmütterlich behandelten Straßenbahn-, Bus- und Schnellbahnnetzes investiert wird.

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