Bauwelt

Handgemacht

Wie sich der Nachwuchs auf dem Mailänder Salone präsentierte

Text: Kasiske, Michael, Berlin

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Cay von Alexander Rehn

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2R-Armchair von Sien Estudio

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Handgemacht

Wie sich der Nachwuchs auf dem Mailänder Salone präsentierte

Text: Kasiske, Michael, Berlin

Für manche Italiener verzögert sich der wohlverdiente Ruhestand. Prominentestes Beispiel ist Staatspräsident Giorgio Napolitano. Auch beim Mailänder Salone Internazionale del Mobile bleibt die langjährige Pressechefin Marva Griffin Wilshire unermüdlich im Einsatz.
Sie wird als Förderin des Nachwuchses aus aller Welt geschätzt, der sich alljährlich auf der 1998 gegründeten Messe-Plattform Salone Satellite präsentiert. Dieses Jahr stand bei „den Jungen“ der Dialog von Entwerfen und Handwerk im Mittelpunkt.

Scheinbuche und Fischleder
Temperament, urwüchsige Natur und heterogene Bevölkerung prägen unser Bild von Südamerika. Doch welche Gestalt könnte sich daraus ergeben? Das Alltagsdesign des Kontinents ist kaum bekannt. Eine Idee davon gibt der 2R-Armchair, mit dem sich das chilenische Designbüro Sien Estudio vorstellt.
Der Name 2R ergibt sich aus zwei ineinander greifenden Teilen, die Vorderbeine und Rückenlehne sowie Hinterbeine und Sitzbasis bilden. Die geometrisch klaren Abschrägungen an Beinen, Lehne und Sitzrahmen sowie die Zuspitzungen der Standpunkte verleihen dem Stuhl eine Dynamik, die im reizvollen Kontrast zur wuchtigen Dimensionierung des verwendeten Holzes steht. Diese expressiven Elemente wie auch die unsichtbaren Dübel-Verbindungen sind Resultat handwerklichen Geschicks.
Das in Santiago ansässige, vierköpfige Team sieht sich auch ökologischen Maßstäben verpflichtet. Die Designer verarbeiten über einhundert Jahre alte Lenga-Südbuchen, eine nur in den Anden wachsende sogenannte „Scheinbuche“ mittlerer Festigkeit, die sich ideal als Vollholz im Möbelbau eignet. Das Sitzkissen ist mit eingefärbtem Lachsleder bezogen – eine bislang kaum genutzte Ressource, die wegen der ähnlichen Oberfläche eine Alternative zu Repti­lien­leder darstellt. Ob das Fischleder der Grund ist, warum die Designer raten, Katzen vom Stuhl fernzuhalten?
Besserung der Wohnsitten
Wer Cay wählt, ist einer, der – um mit dem Architekturpublizisten Adolf Behne (1885–1948) zu sprechen – „die Verpflichtung, zur Besserung der Wohnsitten beizutragen, anerkennt, der nicht am Alten hängt, nur weil es alt ist.“ Denn das „bewegliche Sofa“, wie Alexander Rehn sein Objekt bezeichnet, fordert auf, sich eine für die augenblickliche Stimmung passende Sitz- oder Liegeposition zu schaffen.
Dazu teilt der 30-jährige Münchner Innenarchitekt die Polster in unregelmäßige Polygone, die er mit seitlichen Abschrägungen versieht. Die aus Holz geschnittenen Grundflächen der Polster sind mit Scharnieren verbunden und können gegeneinander nach Innen und Außen gekippt werden. Damit die gewählte Sitz- oder Liegeform stabil bleibt, sind unter den Holzflächen schräg angeschnittene Kufen angebracht, die sich gleichsam auf dem Boden verkeilen – eine raffinierte geometrische Lösung, die verschleißanfällige Verbindungen vermeiden hilft.
Ob die Polster als flache Ebene, als eine Art Kuhle oder als asymmetrische Arm- und Rückenlehne dienen, ob allein und zu zweit sitzend, ob gerade oder diagonal liegend, Cay kann vielen Launen Gestalt geben. Rehn nennt es „Rückzugsinsel“.
Bedürfnisbefriediger
Eine gestalterische Handschrift ist Isabel Ahm unwichtig. Für die Absolventin im Fach Möbelgestal-tung an der Königlichen Kunsthochschule Kopenhagen müssen neue Möbel die vorhandenen auf sinnvolle Weise ergänzen. So auch The Secretary, der ein Stück aus ihrer für den Alltag bestimmten Kollektion „Need“ ist.
Dem Möbelentwurf gingen Studien vom Leben junger Familien voraus. Der für den Wohnraum bestimmte Schreibtisch sollte nicht nur Arbeitsfläche sein, sondern auch Lager und Display. Unter der aufklappbaren Schreibplatte befinden sich deshalb drei Kästen, um Laptop und Papiere verstauen zu können. Die zweite, höhere Ebene kann Standort für einen Bildschirm sein oder als Regal dienen.
Das Holz, geölte Eiche, verlangte handwerklich präzise Arbeit, schon um die Verbindungen zwischen den runden schlanken Beinen und dem eckigen Korpus nahtlos zu fügen. Anhand des Prototyps, der von einem Möbeltischler der Technischen Schule Kopenhagen gebaut wurde, lässt sich Ehrlichkeit im Sinn der Moderne verifizieren: Der Sekretär zeigt alles und kann dank der einnehmenden Schönheit des Materials und der Verarbeitung auf geschmäcklerische Zutaten verzichten.
Gentleman’s Leuchtfuteral
Leuchten schaffen Atmosphäre. Zum Beispiel mit ungewöhnlichen Reflektoren wie jenen aus Schichtholz, mit denen die Berliner Designer Vogt + Weizenegger vor zehn Jahren die Wärme und Struktur des Naturprodukts wortwörtlich belichteten. Mit ähnlichem Ansatz, doch einem anderen Material hat der Belgier Kenny Vanden Berghe die Leather Lamp konzipiert.
Die kleine Hängeleuchte des 28-jährigen Designers wirkt auf den ersten Blick lapidar. Zwei über eine Form gestülpte Lederstücke werden miteinander vernäht, darin befindet sich die Fassung für das Leuchtmittel. Doch das ungewohnte Material mit der breiten, materialtypischen Naht entwickelt eine kultiviert rustikale Ausstrahlung, die durch das rote Stromkabel ironisch gebrochen wird.
Die Leuchte ist Teil einer Kollektion, die an klassische Gentlemen’s Clubs der 1950er Jahre erinnern soll. Wobei Vanden Berghe, der Design zunächst im englischen Mainstone studierte und dann in Florenz abschloss, die gediegenen Einrichtungen auf den britischen Inseln vor Augen hat: hoher Komfort mit dem unerlässlichen Understatement. In diesem Kontext wirkt die Leather Lamp mit ihrer fein genarbten Oberfläche wie ein maßgeschneidertes, elegantes Futteral.

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