„Handwerk ist eine kollektive Erfahrung.“
Studio Mumbai in Dornbirn und St.Gallen
Text: Aicher, Florian, Leutkirch; Jain, Bijoy, Mumbai
„Handwerk ist eine kollektive Erfahrung.“
Studio Mumbai in Dornbirn und St.Gallen
Text: Aicher, Florian, Leutkirch; Jain, Bijoy, Mumbai
Die unzähligen Artefakte, Modelle, Skizzen und Muster des legendären Baukollektivs Studio Mumbay waren bereits im Victoria & Albert Museum, auf der Biennale in Venedig, in Lausanne und Lyon ausgestellt. Nun machen sie erstmals im deutschsprachigen Raum Station.
Das Material ist so umfassend, dass ein einziger Ausstellungsort nicht ausreicht: Im vai Vorarlberger Architektur Institut in Dornbirn sind Zeichnungen, Videos, einige Muster und vor allem eine Installation zu sehen, die einen lebendigen Eindruck des Ortes vermittelt, an dem die Mitglieder von Studio Mumbai arbeiten. Im Werkstoffarchiv Sitterwerk in St. Gallen, selbst ein beeindruckender Ort der Synergien von Gießereihandwerk, Wissenschaft und Kunst, werden an die 1500 Fragmente ihres außergewöhnlichen Schaffens gezeigt, das jeden Schritt körperlich und sinnlich probt, verwirft, beglaubigt. Im vai hielt Frontmann Bijoy Jain einen Vortrag – Gelegenheit für ein Gespräch.
Bei Ihrem Vortrag fiel das Wort „Bauchnabel“...
Bijoy Jain | Das ist der Ort, von dem aus ich denke. Ich denke vom Bauch aus, nicht vom Kopf. Körper, Bewegung – das war Teil der Kultur, in der ich aufgewachsen bin. Ich wurde 1965 in Mumbai geboren und bin in einem Viertel am Rand der Stadt unter Ärzten, Anwälten, Künstlern, Kommunisten groß geworden – ein Viertel, das noch stark von der Hoffnung nach der Befreiung Indiens 1947 getragen war.
Eine kulturelle Erbschaft sozusagen?
Ja und nein. Für mich ist dieser prozesshafte Charakter universell: Architektur, verstanden als Ausdehnung unseres Raums, des inneren wie des äußeren. Da liegt die Bedeutung der Beziehung zu unserem Körper – der ist in Bewegung, im Wandel, nicht fest, nicht zentriert, sondern bewegt, mit allem.
Für europäisches Denken kein alltäglicher Ansatz...
Nur aus dieser Sichtweise heraus kann ich arbeiten; sie erlaubt mir, Raum und Material zu formen. Nichts ist gewiss, alles ist ein Prozess – und ich bin Teil davon.
Nach den Studienjahren in den USA und Praktika, unter anderem als Modellbauer am Bau des Ghetty Museums in Kalifornien, und einigen Jahren in London sind Sie 1995 nach Mumbai zurückgekehrt – und dort erst einmal gescheitert.
Der Grund dafür waren die „Hilfsmittel“, die ich mitgebracht hatte, die Planungsinstrumente, die Art zu zeichnen, das System, in dem man Pläne anfertigte. In Mumbai war viel mehr nötig, um Architektur zu machen. Natürlich zeichnen wir, aber man verschwendet Zeit, wenn man es zu weit in eine Richtung treibt. Ich musste mich darauf einstellen, auf andere Weise zu arbeiten, ich musste lernen. Ich wollte mich anpassen an das, was dem Ort angemessen ist. Gewohnheiten aufgeben – das ist hart. Aber das ist Arbeiten: Vorurteile aufgeben, offen bleiben.
Entstand da die Idee von Studio Mumbai, dieser Arbeits-, Lebens- und Lerngemeinschaft von mittlerweile rund 100 Handwerkern, Arbeitern, Experten für alles Mögliche, darunter auch einige (wenige) Architekten?
Diese Gemeinschaft entwickelte sich damals, war aber nie wirklich geplant. Sie ist einfach gewachsen und wächst immer noch. Indien ändert sich rapide, wir ändern uns auch. Flink, aufmerksam, offen muss man sein. Die Zimmerleute zum Beispiel, die seit zehn Jahren bei uns arbeiten, zeichnen jetzt, und wir skizzieren, um uns der nächsten Gruppe verständlich zu machen.
Die Videos in der Ausstellung zeigen, wie stark Ihre Arbeit noch immer auf Handwerk gründet.
So ist es! Ich selbst habe mit meinen Händen gearbeitet, als Zimmerer. Man lernt, indem man es macht: Das ist ganz wichtig! Beobachten, dokumentieren, lesen – über den Rahmen der Architektur hinaus. Auf diese Weise war das Handwerk für mich eine große Inspiration, ein Fenster, das mir eröffnet hat, woher ich komme, was Indien ausmacht – ein Mikrokosmos des Landes. Handwerk ist eine kollektive Erfahrung. Es vereint verschiedene Blickpunkte, wurde durch viele Meister bereichert. Das ist universell, menschlich, wie Schmerz und Glück. Architektur geht über das bloß Sachliche hinaus, ist metaphysisch, ist mehr als Schutz, mehr als Funktion, ist wie Musik.
Und die Ausstellung zeigt: Das sind Menschen, die das machen...
Ja. Gute Architektur gründet auf der Leidenschaft für das Leben der Menschen. Das ist das einzig wichtige Material, mit dem sie arbeitet. Den Menschen im Blick, den Prozess am Leben halten. Das hat mit etwas zu tun, an dem mir sehr liegt: Mehrdeutigkeit. Man muss eine Ahnung haben, aber darf nicht ganz sicher sein; ein Bild vor Augen haben, aber es darf nicht ganz klar sein. Für die besondere Lösung darf man sich nicht an eine Idee hängen, das verengt.
Die Ausstellung zeigt eine Reihe von Skizzenbüchern – einige von Ihnen, die meisten von Mitarbeitern. Und im Vortrag haben Sie Zeichnungen aus all den Jahren gezeigt, wie die sich entwickelt haben. Welche Bedeutung haben solcherart Notizen für Sie?
Sie sind für unsere Verständigung, auch für eine kritische Überprüfung dessen, was wir machen, unerlässlich. Es ist nicht so schwer, eine Handskizze zu zeichnen – sie ist schnell, gegenwärtig, direkt, das passt zur Art, wie wir bauen. Dann folgen Modelle, Muster für Details, Probestücke, oft ganze Teile im Originalmaßstab. Die mag ich besonders, weil es Teile der Gebäude sind, die mir erhalten bleiben.
Das Studio wird getragen vom Potenzial der Mitarbeiter und Mitglieder – gibt es auch Häuser für sie?
Derzeit sind wir dabei, Häuser für die Leute zu bauen, die bei uns arbeiten. Sie entwerfen ihre Häuser selbst. Die Rollen sind getauscht: Sie sitzen jetzt am Steuer, und ich unterstütze sie.
Bei Ihrem Vortrag fiel das Wort „Bauchnabel“...
Bijoy Jain | Das ist der Ort, von dem aus ich denke. Ich denke vom Bauch aus, nicht vom Kopf. Körper, Bewegung – das war Teil der Kultur, in der ich aufgewachsen bin. Ich wurde 1965 in Mumbai geboren und bin in einem Viertel am Rand der Stadt unter Ärzten, Anwälten, Künstlern, Kommunisten groß geworden – ein Viertel, das noch stark von der Hoffnung nach der Befreiung Indiens 1947 getragen war.
Eine kulturelle Erbschaft sozusagen?
Ja und nein. Für mich ist dieser prozesshafte Charakter universell: Architektur, verstanden als Ausdehnung unseres Raums, des inneren wie des äußeren. Da liegt die Bedeutung der Beziehung zu unserem Körper – der ist in Bewegung, im Wandel, nicht fest, nicht zentriert, sondern bewegt, mit allem.
Für europäisches Denken kein alltäglicher Ansatz...
Nur aus dieser Sichtweise heraus kann ich arbeiten; sie erlaubt mir, Raum und Material zu formen. Nichts ist gewiss, alles ist ein Prozess – und ich bin Teil davon.
Nach den Studienjahren in den USA und Praktika, unter anderem als Modellbauer am Bau des Ghetty Museums in Kalifornien, und einigen Jahren in London sind Sie 1995 nach Mumbai zurückgekehrt – und dort erst einmal gescheitert.
Der Grund dafür waren die „Hilfsmittel“, die ich mitgebracht hatte, die Planungsinstrumente, die Art zu zeichnen, das System, in dem man Pläne anfertigte. In Mumbai war viel mehr nötig, um Architektur zu machen. Natürlich zeichnen wir, aber man verschwendet Zeit, wenn man es zu weit in eine Richtung treibt. Ich musste mich darauf einstellen, auf andere Weise zu arbeiten, ich musste lernen. Ich wollte mich anpassen an das, was dem Ort angemessen ist. Gewohnheiten aufgeben – das ist hart. Aber das ist Arbeiten: Vorurteile aufgeben, offen bleiben.
Entstand da die Idee von Studio Mumbai, dieser Arbeits-, Lebens- und Lerngemeinschaft von mittlerweile rund 100 Handwerkern, Arbeitern, Experten für alles Mögliche, darunter auch einige (wenige) Architekten?
Diese Gemeinschaft entwickelte sich damals, war aber nie wirklich geplant. Sie ist einfach gewachsen und wächst immer noch. Indien ändert sich rapide, wir ändern uns auch. Flink, aufmerksam, offen muss man sein. Die Zimmerleute zum Beispiel, die seit zehn Jahren bei uns arbeiten, zeichnen jetzt, und wir skizzieren, um uns der nächsten Gruppe verständlich zu machen.
Die Videos in der Ausstellung zeigen, wie stark Ihre Arbeit noch immer auf Handwerk gründet.
So ist es! Ich selbst habe mit meinen Händen gearbeitet, als Zimmerer. Man lernt, indem man es macht: Das ist ganz wichtig! Beobachten, dokumentieren, lesen – über den Rahmen der Architektur hinaus. Auf diese Weise war das Handwerk für mich eine große Inspiration, ein Fenster, das mir eröffnet hat, woher ich komme, was Indien ausmacht – ein Mikrokosmos des Landes. Handwerk ist eine kollektive Erfahrung. Es vereint verschiedene Blickpunkte, wurde durch viele Meister bereichert. Das ist universell, menschlich, wie Schmerz und Glück. Architektur geht über das bloß Sachliche hinaus, ist metaphysisch, ist mehr als Schutz, mehr als Funktion, ist wie Musik.
Und die Ausstellung zeigt: Das sind Menschen, die das machen...
Ja. Gute Architektur gründet auf der Leidenschaft für das Leben der Menschen. Das ist das einzig wichtige Material, mit dem sie arbeitet. Den Menschen im Blick, den Prozess am Leben halten. Das hat mit etwas zu tun, an dem mir sehr liegt: Mehrdeutigkeit. Man muss eine Ahnung haben, aber darf nicht ganz sicher sein; ein Bild vor Augen haben, aber es darf nicht ganz klar sein. Für die besondere Lösung darf man sich nicht an eine Idee hängen, das verengt.
Die Ausstellung zeigt eine Reihe von Skizzenbüchern – einige von Ihnen, die meisten von Mitarbeitern. Und im Vortrag haben Sie Zeichnungen aus all den Jahren gezeigt, wie die sich entwickelt haben. Welche Bedeutung haben solcherart Notizen für Sie?
Sie sind für unsere Verständigung, auch für eine kritische Überprüfung dessen, was wir machen, unerlässlich. Es ist nicht so schwer, eine Handskizze zu zeichnen – sie ist schnell, gegenwärtig, direkt, das passt zur Art, wie wir bauen. Dann folgen Modelle, Muster für Details, Probestücke, oft ganze Teile im Originalmaßstab. Die mag ich besonders, weil es Teile der Gebäude sind, die mir erhalten bleiben.
Das Studio wird getragen vom Potenzial der Mitarbeiter und Mitglieder – gibt es auch Häuser für sie?
Derzeit sind wir dabei, Häuser für die Leute zu bauen, die bei uns arbeiten. Sie entwerfen ihre Häuser selbst. Die Rollen sind getauscht: Sie sitzen jetzt am Steuer, und ich unterstütze sie.
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