Bauwelt

„Ich brauche die Industrie. Ich brauche Stifter und Spender“

Der Akademiedirektor

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

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Joachim Bühler mit Agnese Picari
Foto: Lorenz Müller-Tamm

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Abb.: Rudolf Finsterwalder/Villa Massimo

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„Ich brauche die Industrie. Ich brauche Stifter und Spender“

Der Akademiedirektor

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

Joachim Blüher lernt als Direktor der Villa Massimo in Rom alljährlich viele Künstler verschiedener Sparten kennen. Mit dem Stipendiatenjahrgang 2007 aber bestellte er ein besonderes Feld. Dass die Früchte geerntet werden können, hat die Wirtschaftskrise bislang verhindert. Ein Gespräch, das unweigerlich zum Vortrag wird.
Herr Blüher, eine Kirche für Olevano Romano – wie kamen Sie in der Villa Massimo zu diesem Projekt?
Joachim Blüher | Wir hatten damals im Jahr 2007 jeden Freitag Stipendiatenversammlungen, bei denen alles Mögliche besprochen wurde. Einmal kam es zu einer Diskussion, weil jemand die Frage nach persönlichen Ruheräumen aufgebracht hatte. Wir redeten über Evasionsbewegungen, etwa die Flucht in asiatische Religionen oder – was damals, vor der Krise, noch ein ganz anderes Thema war – die Flucht in den Konsum. „Eigentlich brauchen wir einen Raum zum Entschleunigen“, sagte der Architekt Rudi Finsterwalder. Das Grundübel schien allen die Geschwindigkeit, die kontinu­ierliche Beschleunigung des alltäglichen Lebens. Aber was ist Ruhe? Ist das nicht Konzentration, und heißt Konzentration nicht auch Meditation? Ist Meditation etwas Europäisches? Nein, überhaupt nicht. Es ist etwas ausdrücklich Asiatisches. Irgendwann sagte der Dichter Ulf Stolterfoht: „Nun eiert nicht so rum, ihr meint doch Gott, also sagt endlich Gott.“ Das war wirklich ein erstaunlicher Einwurf – Ulf ist ja nicht gerade der Kirchennähe verdächtig. Er hatte den Nagel auf den Kopf getroffen: Das Gebet ist cum grano salis die europä­ische Form der Meditation. Und ein Gebet braucht Gott, ohne Gott geht’s gar nicht. Aber was für eine Kirche?
Gab es auch Teilnehmer an diesem Gespräch, die dem christlichen Glauben nahe stehen?
Keiner der Beteiligten ist Mitglied einer Kirche. Die meisten, im Osten sozialisiert oder wie ich aus dem Norden, sind ehemalige Protestanten, aber kein einziger ist Katholik. Also wo liegt unsere Sehnsucht? Als Protestant natürlich in der Schönheit, der Sinnlichkeit – im Katholizismus. Deswegen war schnell klar, wenn es eine Kirche wird, dann wird es eine katholische Kirche. Und das auch aus einem anderen Grund: Kirchen sind Räume, zu denen die Kunst genuin gehört, lange bevor es Museen gab. Vor der Reformation gab es aber auch keine evangelischen Kirchen. Nehmen Sie nur die rheinischen romanischen Kirchen, was für ein Traum! Wir kennen kaum noch Namen der Künstler, die sie ausgestattet haben, aber wir haben ihre Kunst. Und das ist das Allerhöchste, nicht mehr den Künstler, das barocke Konzept des Eitlen im Kopf zu haben, sondern das Kunstwerk als solches. Das hat eine Unschuld und Reinheit, das ist einfach un­glaublich. Deswegen kann man einen solchen Raum so gut für sich annehmen. In dieser Tradition wollten wir bleiben. Es war zunächst gar keine Frage theologischer Gespräche.
Wie wollten Sie die Kirche realisieren?
Das wussten wir recht schnell. Ich sah zufällig im Internet ein Bild von Peter Zumthors Kapelle in der Eifel und las, dass deren Stifter, ein Bauer, mit seinem Bruder, dem Schwager und den Söhnen alles selbst gebaut hatte. Ich rief sofort Rudi Finsterwalder an und sagte: „Ich muss zu Ihnen kommen, ich muss Ihnen was zeigen.“ Wir gucken uns das an. Er sagt: „Super, stimmt, allein wir Männer in der Villa Massimo hier könnten das auch schaffen. Wir bauen das.“ Und wo? Natürlich in Olevano Romano, wo wir die Casa Baldi haben und die Stipendiaten der Villa Serpentara betreuen, denn hier in Rom gibt es keinen Platz. Ich sprach dann mit Guido Milana, dem damaligen Bürgermeister, und der antwortete: „Fan­tastisch! Olevano Romano braucht eine neue Kirche, eure Kirche wird unsere Kirche.“ Was für ein langer Weg da noch vor uns liegen würde, ahnten wir damals nicht.
Wo sollte der Bau entstehen?
Milana zeigte uns eine Felszunge oberhalb der Straßenkehre hoch zur Villa Serpentara. Das schien uns sehr schön, eine schräge Situation mit den Straßen, aber trotzdem geschützt. Und dann haben die Jungs entworfen.
Haben Sie den Raum dann auch theologisch diskutiert?
Das kam ganz schnell. Das erste Modell hatte so was naiv Romanisches: Oben ein großes Loch – wir brauchten natürlich Licht –, und da kommt Gott von oben rein, und Gott ist groß, also ein großes Loch. So naiv war das Ding nach einer Nacht durchzechter Diskussionen. Aber drin war schon die Schnecke, ein Rundgang. Das war die Idee von Rudi Finsterwalder, ganz früh, das Entschleunigung ein Weg ist. Genauso wie Beschleunigung Strecke braucht, braucht Entschleunigung Strecke. Die Beschleunigung braucht die gerade Strecke, die Entschleunigung nimmt die Kurve. Diese Kurve ist in der Funktion des Labyrinths bis heute konstituierend geblieben und ist das Alleinstellungsmerkmal dieser Kirche überhaupt. Aber da­zu komme ich später. Dann haben wir uns mit Abtprimas Notker und Professor Salmann von der Benediktinischen Uni­versität getroffen. Die haben uns in Lithurgie unter­richtet, was da gefordert ist. Und Carsten Nicolai sitzt da und schreibt mit, heißt: Carsten Nicolai hat nicht diskutiert. Matthias Weischer ist sowieso ruhig, hat nicht diskutiert, Rudi Finsterwalder – sie alle haben nur mitgeschrieben. Wir alle haben gelernt.
Von wo erhielten sie finanzielle Zusagen für den Bau?
Francesco Galietti, damals rechte Hand und Redenschreiber von Wirtschaftsminister Tremonti, brachte mich mit Gruppen zusammen, die Geld hatten; mit Personen aus der italienischen Wirtschaft, die damals in führenden Positionen waren und es heute nicht mehr sind, worin eine der Miseren des Projektes liegt. Ich hatte jedenfalls schnell Zusagen über mehrere Millionen Euro – mehrere! –, und jetzt fange ich wieder ganz von vorne an. Denn diese Personen sind alle nicht unbeschadet aus der Krise gekommen. Wenn wir damals schneller hätten anfangen können, hätten wir das Geld zusammen bekommen. Aber es ist administrativ in Olevano unerträglich langsam voran gegangen, allein schon die Eigentumsfrage zu klären. Schließlich gab es einen neuen Bürgermeister, Marco Mampieri, der uns das heutige Grundstück angeboten hat.
Ein städtisches?
Ja, der ursprüngliche Bauplatz des kommunalen Schwimmbads. Den haben wir heute. Der Platz ist frei, den Bau muss nicht mal mehr der Landschaftsschutz genehmigen. Und der Ort ist viel, viel besser. Zwischen Casa Baldi und dem Friedhof gibt es eine Senke, und dort ist wieder eine Senke drin. Finsterwalder hat sofort mit Simulationen begonnen – die Kirche passt rein, perfekt. Die Lage ist unverbaubar. Sie gucken von oben auf den Horizont, und die Kirche wird von weit her gesehen.
Gibt es Pläne, die Kirche mit kleineren Spenden zu bauen?
Die gab es von Anfang an. Ich wünsche mir von Leuten, die wenig Geld haben, fünf oder zehn Euro für den Kirchenbau. Nur werde ich sie erst darum bitten, wenn ich weiß, dass ich das Geld für den Bau zusammen habe. Die Menschen, die später da rein gehen, müssen fünf oder zehn Euro gezahlt ha­ben, das gehört dazu. Aber sie dürfen nicht betrogen werden.
Seitdem das Projekt entstanden ist, sind sechs Jahre vergangen. Ist das Team noch beisammen? Halten Sie Kontakt?
Ja, klar. Wir sind noch eng verbunden, und die Jungs sind alle in Hab-Acht-Stellung.
Hat sich der Entwurf weiter entwickelt?
Ja, es hat Varianten gegeben. Rudi Finsterwalder hat ein großes Modell gebaut, das die Architektur gut zeigt. Die Wände sind aufgeschichtete und gegeneinander verschobene Betonscheiben, denn die lassen ein amorphes Äußeres zu – amorph im Sinne von modelliert. Sie sollen aus glänzendem, weißem Beton bestehen, der das Licht reflektiert wie die gekräuselte Oberfläche eines Sees an einem windigen Tag. Innen ist die Schnecke geblieben, das ist das Labyrinth, eine Idee aus der gotischen Kathedrale. Man kommt rein in einen Trichter, der auch dadurch entsteht, dass es nur konkav/konvex gebogene Wände gibt. Sie gehen ins Dunkle, Sie wissen nicht, was da kommt. Sie spüren die Sphäre des Heiligen, die durch kanalisiertes Licht entsteht, entweder direktes, natürliches Licht oder durch Kerzen. Sie gehen hinein und gehen direkt auf das Baptisterium zu. Aber dieses Zugehen ist ein halbes Fallen, weil der Boden vom Eingang bis zum Baptisterium um 60 Zentimeter abgesenkt ist. Sie werden in diese Kirche hineingezogen – eine geradezu gegenreformatorische Technik! Nebenan ist ein längerer Raum mit einem Fenster, das aber kein Panoramafenster sein wird, sondern ein Fenster gegen den Fels, in die Natur, in die die Kirche eingebettet ist. Es gibt nur die von Gott geschaffene Natur, und so ist es ein religiös begründetes Fenster. Als nächstes erreichen Sie die Marien­kapelle, die auch der Raum für die Beichte ist, und schließlich den Raum der Messe. Bis dahin ist der Boden um 40 Zentimeter angestiegen, um dann wieder 20 Zentimeter zu fal­len, hin zur einzigen lotrechten Stelle in der Kirche: Dort ist das Allerheiligste. Sie haben bei dieser Kirche die Sphäre des Heiligen, Sie haben Licht von Osten, Sie haben die Taufe, Sie haben den Sündenfall und die Vergebung. Den Dienst an Gott und das Gebet haben Sie erst, nachdem sie durch das Labyrinth gegangen sind, das heißt, Sie haben den Herrn in seinem Haus gesucht. Mehr hat diese Kirche nicht. Sie hat alles, was der Glaube braucht. Sie hat alles, was der Gläubige braucht. Das ist die Frucht von zwei Jahren Zuhören.
Aber es gibt noch zwei Extras, über die sich die Kardinäle besonders gefreut haben. Carsten Nicolai hatte die Idee dieser zwei kleinen, senkrecht gewundenen Räume. Der eine ist ein Raum des Lichts, der andere des Tones. Von einem Ort des Tones und des Lichts zu sprechen, heißt, wir sprechen von Urmenschlichkeit. Wenn ich dieses inkorporiere in eine christliche Kirche, dann ist die Urmenschlichkeit christlich. Verstehen Sie – diese Kirche ist perfekt! Und dann war ich bei Kardinal Lajolo, damals der Governator des Vatikans, und der sagte zu mir: „Herr Blüher, wissen Sie, ich habe mich immer gefragt, wie ich Ihnen helfen kann, ich kenne mich doch im liturgischen Bauen gar nicht aus. Deswegen gebe ich Ihnen gleich die Adresse von Monsignor Ghirelli in Reggio Emilia, der kennt sich darin aus. Der wird beurteilen können, ob Ihre Kirche liturgisch gut oder schlecht ist.“ Ich habe genau das getan, ich habe diesen Pater angerufen, und dann kam er. Drei Stunden saßen wir zusammen. Ich habe über Zentralbauten promoviert, und was sagt er mir? „Zentralbauten funktionieren nicht. Aber dies ist der erste gerichtete der Architekturgeschichte.“ Hatte ich selbst nicht gesehen! Mit der Richtung funktioniert es auf einmal. Auch beim Kirchenraum selbst, der wiederum gerichtet ist. Dieses Labyrinth ist die Richtung, obwohl sie nicht gerade ist, sondern kurvig. Aber Richtung ist Richtung. Die Bewegung wird entschleunigt und die Bedeutung gleichzeitig auf die Spitze getrieben. Da war ich schlicht glücklich, damit hatte ich eine ganz andere Substanz aufzuweisen gegenüber dem Klerus. Nur – den Klerus brauche ich im Moment nicht. Ich brauche die Industrie. Ich brauche Stifter und Spender.

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