„Im Grunde arbeiten wir daran, Begeisterung zu wecken“
Interview mit Mark Brearly und Peter Carl
Text: Schultz, Brigitte, Berlin
„Im Grunde arbeiten wir daran, Begeisterung zu wecken“
Interview mit Mark Brearly und Peter Carl
Text: Schultz, Brigitte, Berlin
Welche Strategien entwickelt London? Mark Brearley, Leiter von Design for London und Peter Carl, Professor für Architektur und Raumplanung an der London Metropolitan University, über kleine Schritte, lange Straßen und den Nutzen von Olympia und sozialen Unruhen für die Stadtplanung.
Wo steht London heute?
Mark Brearley | London ist eine wachsende Stadt, aber wir wollen keine weitere Zersiedlung. Also müssen wir verdichten. Im Lauf der letzten Jahre wurde deutlich, dass es nicht mehr reicht, Lücken zu finden, die sich schließen lassen. London ist wie die meisten „erwachsenen“, reifen Städte in der Welt durch eine Phase des großen Strukturwandels gegangen. Das Ergebnis war eine Vielzahl versprenkelter Flächen, wo vorher Hafenanlagen, Gasanstalten und Kraftwerke waren, die aus der Stadt verschwunden sind. Viele dieser Dinge haben einst die Stadt ausgemacht. Zurück blieb unbelebter Raum, der anders genutzt werden konnte. Dieser Prozess ist in London nahezu abgeschlossen. Der bisherige Wachstumsmodus des Freiziehens und wieder Auffüllens, wie etwa bei Canary Wharf oder King’s Cross, ist zu Ende.
Sie beraten den Bürgermeister in Sachen Stadtentwicklung. Was raten Sie ihm: Nach welcher Art von Stadt sollte er die Politik ausrichten?
MB | In einer ausgewachsenen Stadt wie London ist ein fundamentaler Stadtumbau weder wünschenswert noch wirtschaftlich. Wir haben keine Wahl. Ob es uns gefällt oder nicht, wir müssen mit dem vorhandenen Gewebe der Stadt arbeiten. Das führt uns zu einem besonderen Modell von Stadt: Es muss verschiedene Verkehrsmodi akzeptieren, den öffentlichen Raum teilen, Fußgänger und Radfahrer fördern … In meinen Augen ein wirklich attraktives Stadtmodell! Und es ist beruhigend zu wissen, dass es auch das einzige ist, das wir verfolgen können. Es geht nicht mehr um ein paar Dutzend Großprojekte, sondern um Tausende bescheidener Korrekturen.
Inwieweit beeinflusst das die Planung?
MB | Ich glaube immer noch an die Idee, mit einem demokratisch legitimierten Plan die öffentliche Macht als Hebel zu nutzen, um die Entwicklung der Stadt zu beeinflussen. Aber in der heutigen Zeit ist das ein eher exzentrischer Glaube, der mit unserer täglichen Arbeit nicht soviel zu tun hat. Tatsächlich hat eine Planung dieses Typs heute nur noch beschränkten Einfluss, weil sich so viele Widerstände auftun, wenn man für einen bestimmten Ort so etwas wie ein Gesamtkonzept durchsetzen möchte. Deshalb haben wir unsere Anstrengungen auf Bereiche verlagert, in denen wir glauben, eher etwas bewirken zu können. Man könnte es einen mehr unternehmerischen, opportunistischen Ansatz nennen: Wir stellen Ideen vor und werben um Unterstützung, überreden die Leute,
erzählen Geschichten, schieben Fördermittel hin und her ... Im Grunde arbeiten wir daran, Begeisterung zu wecken.
Peter Carl | Der Ansatz, den Marks Team verfolgt, unterscheidet sich sehr von dem Ansatz, dem meine Generation lange nachgegangen ist. Sie wollte aus nackten Zahlen oder ästhetischen Theorien eine „städtische Form“ generieren, was immer das eigentlich heißen sollte. Heute wissen wir, dass es vieler zäher Verhandlungen und konkreter Diskussionen bedarf, und man muss mit dem arbeiten, was da ist, was möglich ist, und was man bezahlen kann. Design for London arbeitet mit der Stadt als lebendiger Topografie, zu der eben auch die Bürger gehören.
erzählen Geschichten, schieben Fördermittel hin und her ... Im Grunde arbeiten wir daran, Begeisterung zu wecken.
Peter Carl | Der Ansatz, den Marks Team verfolgt, unterscheidet sich sehr von dem Ansatz, dem meine Generation lange nachgegangen ist. Sie wollte aus nackten Zahlen oder ästhetischen Theorien eine „städtische Form“ generieren, was immer das eigentlich heißen sollte. Heute wissen wir, dass es vieler zäher Verhandlungen und konkreter Diskussionen bedarf, und man muss mit dem arbeiten, was da ist, was möglich ist, und was man bezahlen kann. Design for London arbeitet mit der Stadt als lebendiger Topografie, zu der eben auch die Bürger gehören.
Wenn man über Stadtentwicklung spricht, geht es oft um die Frage „bottom-up“ oder „top-down“. Wo sehen Sie sich in dieser Diskussion?
MB | Wir stehen dazwischen, denn wir finden zuerst Lösungsmöglichkeiten und suchen dann nach Anhängern, um sie bottom-up zu machen, auch wenn wir ja vielleicht die eigentlichen Urheber sind. Es gibt einfach nicht genügend Ideen für einen guten Stadtumbau, die vollkommen von unten kommen. Nicht allzu viele Leute haben eine klare Vorstellung davon, was möglich ist. Gedanken müssen von außen eingebracht werden, aber diesen Vorgang des Ideengebens würde ich nicht als top-down bezeichnen. Es ist kein schlichtes Oktroyieren, es ist ein Angebot, für das man Anhänger findet, die diesen Impuls weitertragen.
PC | Für jemanden, der an traditionelle Planung glaubt, muss sich das anhören, als könne es nie im Leben funktionieren. Aber Design for London hat bewiesen, dass dieser Ansatz erfolgreicher ist, er verursacht weniger Lärm, und wenn Sie mich fragen, er wirkt auch länger. Die Ergebnisse sind keine spektakulären Objekte, zu deren Eröffnung alle pilgern können. Vielmehr wird die Entwicklungsrichtung dessen, was bereits da ist, modifiziert. Das ist auf den ersten Blick schwer vorstellbar, noch schwerer ist es herauszufinden, wie es in Gang gesetzt werden kann. Aber das ist es gerade: Es geht darum, etwas zu ermöglichen und nicht, etwas zu gestalten. Man bringt die Leute dazu, sich für ihre Stadt einzusetzen.
Können Sie ein Beispiel dafür nennen?
MB | London ist um einige hundert High Streets herum aufgebaut, lineare Zentren mit einer ausgeprägten Mischnutzung, in denen sich das öffentliche Leben konzentriert. Als die Rezession zuschlug, gab es eine weitverbreitete Beunruhigung, die Leute fragten „Stirbt die High Street?“. Sie fühlten, dass die Existenz dieser Orte, die sie eher unterbewusst schätzten, bedroht war. Also dachten wir uns: Jetzt ist es an der Zeit, sich näher damit zu beschäftigen, was dieses urbane Phänomen ausmacht, die Geschichte dieser Orte zu erzählen und herauszufinden, wie wichtig sie wirklich für London sind.
Was haben Sie herausgefunden?
MB | Auf einer Folge von High Streets zwischen Uxbridge und Romford haben wir 6500 Geschäfte und Einrichtungen gefunden, 80.000 Leute haben ihren Arbeitsplatz in diesem Korridor. Das entspricht den Arbeitsplätzen in Canary Wharf, aber ausgestreckt über ganz London! Selbst außerhalb des Zentrums arbeiten 1,5 Millionen Menschen an solchen Orten. Das ist ein Beispiel dafür, wie wir ein Thema angehen und eine überzeugende Geschichte formulieren, die Unterstützung erfährt und Begeisterung weckt. Wenn alles gut läuft, führt das dann dazu, dass auch etwas Geld ins Spiel kommt. So war es in diesem Fall. Jetzt gibt es aus dem Hause des Bürgermeisters eine Reihe von Erneuerungsprogrammen für Wachstum und Wiederbelebung dieser Teile der Stadt, die dieser Erzählung folgen: Wir sollten gerade auf diese Orte einen Großteil unserer – gegenwärtig ziemlich bescheidenen – Gelder konzentrieren. Auch wenn das Wachstum hier komplizierter ist und weit mehr verhandelt werden muss als auf den immer seltener werdenden und ungünstiger gelegenen Brachen.
Sie sind gegen den Verbrauch großer Flächen in der Stadt. Was ist dann mit den Olympischen Spielen? Tun die nicht genau das?
MB | Das ist ein besonderer Fall, in den viel Geld gesteckt wurde. Und zwar nicht, um die Brache zu finden, sondern um sie zuerst einmal zu schaffen. Aber es wird in dieser Stadt kein weiteres Olympia geben oder verrückte Investitionen olympischen Ausmaßes. Das heißt, daraus kann man keinen Trend ableiten. Das olympische Experiment ist ein sehr außergewöhnliches Ding, aber da ich Optimist bin, habe ich das Gefühl, dass dabei am Ende irgendetwas Positives herauskommen wird. Natürlich gibt es auch Dinge, die verpfuscht wurden. Das ist normal, aber die übergreifende Idee war etwas Positives, und vieles von dem, was erreicht wurde, ist ausgezeichnet. Das Projekt Olympia bemüht sich sehr darum, seine Infrastruktur in die Stadt zu integrieren. Das ist eine ungewöhnliche Idee für ein Gelände, auf dem ein vorübergehendes Großereignis stattfindet. Sie ist zwar irgendwie naheliegend, aber längst nicht selbstverständlich. Die Verantwortlichen haben ganz schön dafür gekämpft und das schätze ich sehr.
PC | Auf jeder Seite des Olympiaparks liegen gut durchmischte Quartiere. Der Park wird keine Ansammlung von überdimensionalen Wohnhäusern und riesigen Sportstätten bleiben, keine spektakuläre Welt, die scheinbar nur für schöne Luftaufnahmen entworfen wurde. Ich glaube, wenn man dem Park Zeit zu reifen gibt, wird er urbaner werden und sich in die städtische Topografie eingliedern.
Welches sind die größten Chancen, die Olympia der Stadt bietet?
MB | Auf jeden Fall ein gute Portion Lokalpatriotismus. Das wird im Allgemeinen für etwas Besorgniserregendes oder Einfältiges gehalten, aber ich bezweifle, dass das immer stimmt. Es ist gut, London ins Gespräch zu bringen, und ich halte es für klug, die Spiele so eindeutig zu Londons Spielen zu machen. Dies fördert den Stolz auf unsere Stadt und den Sinn für das spezifisch „Londonsche“. Solche Momente sind wichtig dafür, wie sich die Leute in ihrer Stadt fühlen, was sie von ihrer Stadt halten. Die Bombenattentate 2005 waren ein anderes einschneidendes Ereignis. Danach wurde eine Werbekampagne ins Leben gerufen, um London zu vereinen. Und auf einmal fühlte jeder: „Yes, we are London!“
PC | Dasselbe ist nach den Unruhen im letzten Jahr passiert, plötzlich hörte man überall: „We love Tottenham“, „We love Croydon“.
Soziale Unruhen als Motor der Stadtentwicklung?
PC | Es gab beträchtliche Verluste, man würde das nicht als Stadtentwicklungsstrategie empfehlen. Auf der anderen Seite: Auf eine verquere Weise waren die Riots hilfreich. Die Reaktionen darauf waren wahrscheinlich weitaus bedeutender als die Aufstände selbst.
MB | In den Reaktionen liegt auch viel Bejahendes, das Verlangen, das Alltagsleben so, wie es ist zu bewahren, indem man sagt: „Wir wollen so etwas nicht in unserer Stadt. Das ist nicht in Ordnung“. Über Nacht waren die Leute vollkommen davon überzeugt, dass es einem Ort wie Tottenham hilft, das Positive zu verteidigen. Sicher gibt es dort viele Probleme – Kriminalität, Versagen der Familie, Bildungsdefizite usw. – die nicht einfach im Handumdrehen beseitigt werden können. Aber genauso gibt es dort jetzt ein wachsendes Vertrauen in das eigene Viertel.
Sind sowohl die Unruhen als auch die Olympischen Spiele Ereignisse, die diesen Stolz auf die Stadt hervorrufen?
PC | Es ist nicht so, dass die Unruhen diesen Gemeinsinn hervorgerufen hätten, genausowenig wie die Olympischen Spiele … Es ist eher wie beim Jiu-jitsu, wo ein noch so schwerer Brocken durch sich selbst bezwungen werden kann. Man muss ihn nur dazu bringen, sich in die gewünschte Richtung zu bewegen.
MB | Wir verwenden einen erheblichen Teil unserer Zeit darauf, Talente zu suchen. In Wirklichkeit ist alles schon da und wartet nur darauf, in die richtige Richtung bewegt zu werden. Dabei hilft es, wenn immer mehr Menschen die Idee von „London“ teilen, und ganz gewiss unterstützen die Olympischen Spiele dieses Ziel.
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