Imitate und Plagiate
Wiederaufbau der Altstadt in Frankfurt am Main
Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt am Main
Imitate und Plagiate
Wiederaufbau der Altstadt in Frankfurt am Main
Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt am Main
Die Rekonstruktionsdebatte in Frankfurt am Main kocht weiter hoch. Mit der Wettbewerbsentscheidung "DomRömer Bebauung" hat die Zukunft ein Gesicht bekommen. Was meinen Sie: Architektonisches Debakel oder Vorbild?
Am 23. März verkündete die DomRömer GmbH das Ergebnis des umstrittenen Wettbewerbs für den Wiederaufbau der Frankfurter Altstadt. Für die 27 Parzellen vergab die Jury 24 erste und 12 zweite Preise sowie 13 Anerkennungen. Wer kann in diesem Sammelsurium historischer Zitate das in der Auslobung geforderte „moderne Stück Stadt“ erkennen?
Die Erwartungen waren hoch: Gezeigt werden sollte, „wie man im 21. Jahrhundert an die Frage des Weiterbauens herangehen kann“, man wollte „der Architektur die Chance“ geben, „die Moderne weiterzuentwickeln, und sie mit der Geschichte des Ortes in Einklang bringen“, ja, die neue Altstadt Frankfurts soll zum „Vorbild für Deutschland“ werden. Dies sagten Christoph Mäckler und Arno Lederer in einem weihnachtlichen Interview der FAZ. Mäckler, der vom Lokalteil der FAZ gern der „informelle Stadtbaumeister“ der Bankenmetropole genannt wird, fungiert als Vorsitzender des ingesamt sechsköpfigen Altstadtbeirates, dessen Mitglieder neben Lederer die Architektin Petra Kahlfeldt, der Architekturtheoretiker Fritz Neumeyer, der Denkmalpfleger Björn Wissenbach und der FAZ-Architekturkritiker Dieter Bartetzko sind. Aufgabe des Gremiums ist laut einer Magistratsvorlage, „zu den Gebäude-Planungen anhand der für den Dom-Römer-Bereich vorgesehenen Gestaltungssatzung Empfehlungen abzugeben“. Sämtliche Beiratsmitglieder waren neben dem Aufsichtsrat der städtischen DomRömer GmbH auch Mitte März dieses Jahres in unterschiedlichen Rollen Mitglieder der Jury, die über den Wettbewerb zur Neubebauung jenes etwa 7000 Quadratmeter umfassenden Areals zu Gericht saß, auf dem das nun fast abgerissene Technische Rathaus (Bauwelt 27–28.09) einmal stand.
Hohe qualitative Ansprüche
„Entstehen soll ein lebendiges und authentisches Quartier, ein modernes Stück Stadt von feiner Körnigkeit und hoher Dichte“, definierte die Auslobung das Wettbewerbsziel. Und weiter: „Bei der Bebauung ist eine sensible Auseinandersetzung mit den jeweiligen Grundstücken und ihren gestalterischen, typologischen und technischen Anforderungen ebenso erforderlich wie das Befassen mit der Geschichte des Ortes und der Vorgängerbebauung.“ Schließlich: „Aufgrund dieses besonderen Standortes werden an die Gestaltung der Fassaden hohe qualitative Ansprüche gestellt. Erwartet wird eine zeitgemäße Formensprache, die in Bezug auf Maßstäblichkeit, Material, Tektonik und Farbe dem besonderen Ort sowie der städtebaulichen Gestalt Rechnung trägt.“ Als ob das nicht gereicht hätte, fügte man der Auslobung noch einen theoretischen Text von Neumeyer hinzu, ein ebenso feinsinniges wie mehrdeutiges Capriccio, das den ehrgeizigen Weg auf unbekanntes Terrain wies: Da war von der Wiedergewinnung der historischen Struktur, der „Stadttextur“ die Rede, von einer „gemeinsam gebildeten plastischen Oberfläche“ und von der „Entwicklung einer Alternative zur Rekonstruktion und zur modernistischen Geschichtsabstraktion bzw. zur fragmentarischen postmodernen Vergangenheitsreferenz“.
Stegreif im Baugeschichtsseminar
Der mit „Gestalterische Vorgaben für die Neubebauung“ betitelte Text mündete in dem Verlangen: „Gefordert ist eine Architektur des Weiterbauens, die von konkreten historischen Vorgängerbauten spricht und dabei sowohl das Vermögen zum Individuellen als auch zum Allgemeinen hat. Es geht um eine konkrete Architektur, die auf der Ebene des Hauses bis ins gebaute Detail hinein eine Auseinandersetzung mit Ort und Geschichte führt und in der Lage ist, das architekturgeschichtliche Erbe im Gegenwartsbezug vollumfänglich zu absorbieren.“ Man kann freilich davon ausgehen, dass der Auslober das 1974 fertiggestellte Technische Rathaus nicht zur Geschichte des Ortes zählte.
Der mit „Gestalterische Vorgaben für die Neubebauung“ betitelte Text mündete in dem Verlangen: „Gefordert ist eine Architektur des Weiterbauens, die von konkreten historischen Vorgängerbauten spricht und dabei sowohl das Vermögen zum Individuellen als auch zum Allgemeinen hat. Es geht um eine konkrete Architektur, die auf der Ebene des Hauses bis ins gebaute Detail hinein eine Auseinandersetzung mit Ort und Geschichte führt und in der Lage ist, das architekturgeschichtliche Erbe im Gegenwartsbezug vollumfänglich zu absorbieren.“ Man kann freilich davon ausgehen, dass der Auslober das 1974 fertiggestellte Technische Rathaus nicht zur Geschichte des Ortes zählte.
Über 170 Architekturbüros aus Deutschland und Europa bewarben sich für die Überbauung einer der 35 Parzellen, wovon mindestens acht mit Rekonstruktionen von zerstörten Gebäuden bebaut werden sollen. Neben 18 gesetzten Teilnehmern hatte man die 38 „vielversprechendsten“ Büros ausgewählt. Um Vielfalt zu erreichen, wählte man ein recht aufwendiges Verfahren: Die 27 zu bebauenden Parzellen wurden auf der Grundlage eines von Schneider + Schumacher erarbeiteten Masterplans in acht Lose mit teils drei, teils vier Gebäuden eingeteilt, die nicht nebeneinander liegen.
Für die einzelnen Häuschen lagen dem Preisgericht zwischen fünf und neun Entwürfe vor – unter anderem von Raffael Moneo, Maccreanor Lavington, Hans van der Heijden, Hild und K, Max Dudler und Florian Nagler. Doch trotz prominenter Namen fiel die Frühjahrsbescherung der unter Vorsitz von Mäckler tagenden Jury schlicht enttäuschend aus. Man fühlt sich an einen Stegreif in einem Baugeschichtsseminar für Anfangssemester erinnert. Bis auf wenige Ausnahmen – etwa eine reduzierte und deshalb so schmissige Holzfassade für den Markt 30 des Basler Büros Morger + Dettli – ein schlichtes Abmalen von charakteristischen Merkmalen verschiedener Epochen. Manchmal originalgetreu, manchmal – entgegen der Auslobung – versetzt mit postmoderen oder expressionistischen Elementen. Geschweifte Giebel, Rund- und Dreiecksgiebel, Zwerchhäuser und Gauben, Pilaster, verschieferte Fassaden, Kapp- und Gurtgesimse, Haupt- und Giebelgesimse – alles sorgfältig, detailfromm und unendlich brav und dröge.
Naturstein – ein historisches Faktum?
Obwohl der Wettbewerb primär auf Fassaden-Ästhetik abzielte, verzichteten die meisten preisgekrönten Entwürfe auf Ornamente wie etwa Figurenschmuck. Auffallend ist, dass viele der gekürten Büros aus eher konservativem Umfeld und aus Berlin stammen. Schon bei den Wettbewerben für die Universitäts-Neubauten auf dem Campus Westend, auf die Mäckler maßgeblichen Einfluss hatte, kamen die meisten erfolgreichen Beiträge aus der Hauptstadt. Und jedes Mal hatten sie Naturstein-Fassaden. Auch beim DomRömer-Wettbewerb wiesen die erfolgreichen Vorschläge steinerne Haussockel auf – Mäckler verklärt seine Vorliebe für den Naturstein entgegen aller Untersuchungen zum historischen Faktum. Sichtet man das Wettbewerbsergebnis, sind die Zweifel allzu berechtigt, ob es Michael Guntersdorf, dem Geschäftsführer der städtischen DomRömer GmbH, tatsächlich gelingen wird, ein urbanes und autofreies Wohnquartier zu entwickeln, an dem man auch die Frankfurter Geschichte ablesen kann. Zumal das Stadthaus, das nach monatelangen Optimierungs- und Überarbeitungsphasen nach den Plänen von Meurer Architekten/cbs, die ursprünglich den 4. Platz belegt hatten (http://www.bauwelt.de/cms/bauwerk.html?id=1208441&lang=de), realisiert werden soll, eine willkürliche Selektion der Geschichte dieses Ortes betreibt.
Anzuerkennen ist, dass mit Neumeyers Text die Diskussion über die DomRömerberg-Bebauung eine Ebene erlangt, die sie zuvor niemals erreicht hatte. Doch die preisgekrönten Entwürfe, diese Imitate und Plagiate, werden dieser Ebene keinesfalls gerecht. Entsprechen diese Vorschläge einer „zeitgemäßen Formensprache“, welche die Auslobung noch forderte? Sind sie wirklich sowohl substanzielle als auch nachhaltige Beiträge zum Thema Weiterbauen? Entwickeln sie die Moderne weiter? All das kann mit gutem Recht bezweifelt werden. Das Wettbewerbsergebnis ist ein intellektuelles wie ein architektonisches Debakel. Und es verwundert nicht, dass bereits der Ruf nach weiteren Rekonstruktionen laut wurde. Sollte das Vorbild für die Republik sein?
Vollständiges Ergebnis:
Hühnermarkt 22 | 1. Preis Hans Kollhoff, Berlin
Hühnermarkt 24 | 1. Preis ENS Architekten, Berlin | 2. Preis Karsten K. Krebs Architekten, Hannover | Anerkennung Klaus Theo Brenner, Berlin
Markt 26 | 1. Preis Eingartner Khorrami Architekten, Leipzig | Anerkennung jessenvollenweider, Basel | Anerkennung Johannes Götz und Guido Lohmann, Köln
Markt 28 | 1. Preis Helmut Riemann Architekten, Lübeck | Anerkennung Jourdan & Müller, Frankfurt am Main
Markt 30 | 1. Preis Morger + Dettli Architekten, Basel | Anerkennung ENS Architekten, Berlin
Markt 32 | 1. Preis Tillmann Wagner Architekten, Berlin | 2. Preis Helmut Riemann Architekten, Lübeck
Markt 34 | ein 2. Preis Francesco Colloti Architetto, Mailand | ein 2. Preis von Ey Architektur, Berlin
Markt 36 | 1. Preis dreibund architekten, Bochum
Markt 38 | 1. Preis Michael A. Landes Architekt, Frankfurt am Main
Markt 40 | keine Preise und Anerkennungen vergeben
Braubachstraße 29 | 1. Preis knerer und lang Architekten, Dresden | 2. Preis Meurer Architekten Stadtplaner Ingenieure, Frankfurt am Main | Anerkennung Hans Kollhoff, Berlin
Braubachstraße 27 | 1. Preis Bernd Albers, Berlin | ein 2. Preis Michael A. Landes Architekt, Frankfurt am Main | ein 2. Preis Van den Valentyn, Köln
Braubachstraße 25 | 1. Preis ENS Architekten, Berlin
Braubachstraße 23 | 1. Preis Eingartner Khorrami Architekten, Leipzig
Rebstock-Hof 2 | 1. Preis Meurer Architekten Stadtplaner Ingenieure, Frankfurt am Main | 2. Preis Hans Kollhoff, Berlin
Markt 8 | 1. Preis Jordi & Keller Architekten, Berlin | 2. Preis Helmut Riemann Architekten, Lübeck
Markt 10 | 1. Preis von Ey Architektur, Berlin
Markt 12 | 1. Preis dreibund architekten, Bochum | Anerkennung Winking Froh Architekten, Berlin
Markt 14 | ein 1. Preis Eingartner Khorrami Architekten, Leipzig | ein 1. Preis Johannes Götz und Guido Lohmann, Köln | 2. Preis jessenvollenweider, Basel
Hühnermarkt 16 | 1. Preis Van den Valentyn, Köln | Anerkennung Michael A. Landes Architekt, Frankfurt am Main
Hühnermarkt 18 | 1. Preis dreibund architekten, Bochum | 2. Preis Winking Froh Architekten, Berlin
Hühnermarkt 20 | 1. Preis von Ey Architektur, Berlin
Neugasse 4 | 2. Preis Bernd Albers, Berlin
Markt 7 | Anerkennung ENS Architekten, Berlin | Anerkennung Morger + Dettli Architekten, Basel
Markt 9+11 | 1. Preis dreibund architekten, Bochum | Anerkennung Winking Froh Architekten, Berlin
Markt 13 | 1. Preis von Ey Architektur, Berlin
Markt 15 | 1. Preis Walter A. Noebel, Berlin | Anerkennung Christoph Kohl, Berlin | Anerkennung Helmut Riemann Architekten, Lübeck
Hühnermarkt 24 | 1. Preis ENS Architekten, Berlin | 2. Preis Karsten K. Krebs Architekten, Hannover | Anerkennung Klaus Theo Brenner, Berlin
Markt 26 | 1. Preis Eingartner Khorrami Architekten, Leipzig | Anerkennung jessenvollenweider, Basel | Anerkennung Johannes Götz und Guido Lohmann, Köln
Markt 28 | 1. Preis Helmut Riemann Architekten, Lübeck | Anerkennung Jourdan & Müller, Frankfurt am Main
Markt 30 | 1. Preis Morger + Dettli Architekten, Basel | Anerkennung ENS Architekten, Berlin
Markt 32 | 1. Preis Tillmann Wagner Architekten, Berlin | 2. Preis Helmut Riemann Architekten, Lübeck
Markt 34 | ein 2. Preis Francesco Colloti Architetto, Mailand | ein 2. Preis von Ey Architektur, Berlin
Markt 36 | 1. Preis dreibund architekten, Bochum
Markt 38 | 1. Preis Michael A. Landes Architekt, Frankfurt am Main
Markt 40 | keine Preise und Anerkennungen vergeben
Braubachstraße 29 | 1. Preis knerer und lang Architekten, Dresden | 2. Preis Meurer Architekten Stadtplaner Ingenieure, Frankfurt am Main | Anerkennung Hans Kollhoff, Berlin
Braubachstraße 27 | 1. Preis Bernd Albers, Berlin | ein 2. Preis Michael A. Landes Architekt, Frankfurt am Main | ein 2. Preis Van den Valentyn, Köln
Braubachstraße 25 | 1. Preis ENS Architekten, Berlin
Braubachstraße 23 | 1. Preis Eingartner Khorrami Architekten, Leipzig
Rebstock-Hof 2 | 1. Preis Meurer Architekten Stadtplaner Ingenieure, Frankfurt am Main | 2. Preis Hans Kollhoff, Berlin
Markt 8 | 1. Preis Jordi & Keller Architekten, Berlin | 2. Preis Helmut Riemann Architekten, Lübeck
Markt 10 | 1. Preis von Ey Architektur, Berlin
Markt 12 | 1. Preis dreibund architekten, Bochum | Anerkennung Winking Froh Architekten, Berlin
Markt 14 | ein 1. Preis Eingartner Khorrami Architekten, Leipzig | ein 1. Preis Johannes Götz und Guido Lohmann, Köln | 2. Preis jessenvollenweider, Basel
Hühnermarkt 16 | 1. Preis Van den Valentyn, Köln | Anerkennung Michael A. Landes Architekt, Frankfurt am Main
Hühnermarkt 18 | 1. Preis dreibund architekten, Bochum | 2. Preis Winking Froh Architekten, Berlin
Hühnermarkt 20 | 1. Preis von Ey Architektur, Berlin
Neugasse 4 | 2. Preis Bernd Albers, Berlin
Markt 7 | Anerkennung ENS Architekten, Berlin | Anerkennung Morger + Dettli Architekten, Basel
Markt 9+11 | 1. Preis dreibund architekten, Bochum | Anerkennung Winking Froh Architekten, Berlin
Markt 13 | 1. Preis von Ey Architektur, Berlin
Markt 15 | 1. Preis Walter A. Noebel, Berlin | Anerkennung Christoph Kohl, Berlin | Anerkennung Helmut Riemann Architekten, Lübeck
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